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Boëndals faltiges Gesicht wurde verschlossen, er stellte das Gepäck ab, warf den langen Zopf über die Schulter und wartete, bis der Tobsuchtsanfall vorüber war.

»Das hat er gelegentlich. Seine Lebensesse glüht heißer, als es üblich ist, und wenn sie einen Funkenstoß aussendet, bricht bei ihm der Ingrimm aus«, erklärte er dem überraschten Tungdil. »Das brachte ihm den Beinamen Ingrimmsch.«

»Eine heißere Lebensesse?!«

»Vraccas mag wissen, wozu es gut ist. Kommt er in diesem Zustand in deine Richtung, geh ihm aus dem Weg und wage es nicht, die Waffe zu heben«, lautete sein Ratschlag. »Das Rasen lässt bald nach, wenn sein inneres Feuer niedergebrannt ist.«

Der Stamm war rasch durchgehauen. »So, nun geht es mir besser. Verdammte Elben!« Ohne eine Erklärung für sein Handeln abzugeben, reinigte er die Klingen von Harz und Spänen und ging weiter. »Wir müssen dir noch einen anderen Namen geben«, grummelte er vor sich hin. »Bolofar, das ist so gut wie Lissemiff, Praddelquatsch oder Blüffdümüff. Es ist dumm, sinnlos und beileibe kein Ehrenname eines Zwerges. Es wird sich unterwegs schon was ergeben.« Er schaute Tungdil an. »Was kannst du gut?«

»Lesen …«

»Lesen? In Büchern?«, brach es aus Boëndal belustigt hervor. »Ja, das hat man vorhin deutlich gemerkt, Herr Gelehrter. Aber es taugt nicht wirklich als Ehrenname, wenn wir dich Seitenblätterer oder Buchfresser nennen.«

»Wissen ist wichtig!«

»Ja, gegen Orks hilft es ungemein, wie wir gesehen haben«, neckte er ihn weiter. »Du hättest sie mit dem richtigen Vers töten können.«

Boïndil kniff die Augen zusammen. »Ein guter Kämpfer bist du jedenfalls noch nicht. Aber du hast ein breites Kreuz und breite Hände, es könnte was aus dir werden.«

Tungdil seufzte. »Ich schmiede gern und gut.«

»Das tun viele unseres Volkes.« Boëndal wollte noch etwas sagen, stattdessen sog er prüfend die Luft ein, und sein Bruder tat es ihm nach. »Rauch«, meinte er alarmiert.

»Und verbranntes Fleisch. Das riecht nach einem Überfall.« Boïndil zog seine Beile und verfiel in leichten Trab. Die anderen beiden folgten ihm.

Der Waldweg beschrieb eine leichte Biegung, ehe die Bäume auseinander fächerten und eine Lichtung preisgaben, auf der vor nicht allzu langer Zeit Häuser gestanden hatten. Die Elbin hatte sich inmitten der Harmonie Grünhains ein Refugium geschaffen, das größtenteils in einem Feuer vergangen war. Die Reste ließen erahnen, wie anmutig die mehrgeschossigen Bauten ausgesehen hatten. Sie standen um besonders große Bäume herum platziert; geschnitzte Holzbögen, sorgsam geglättete Balken, mit elbischen Motiven verzierte Fronten, in denen sich hier und da noch schimmernde Goldplättchen fanden, fügten sich geradezu vollkommen in den Hain ein.

Aber die Pracht war durch brachiale Gewalt vernichtet worden. Wieder einmal waren die Orks Tungdil zuvorgekommen. Er spürte nichts mehr von dem Einklang, der Harmonie. Grünhain war geschändet worden. »Bei Vraccas«, stöhnte er entsetzt. »Wir müssen nachsehen …«

»… ob noch ein paar Orks herumlaufen«, ergänzte Boïndil glücklich. »Ho, die Plattnasen haben es den Spitzohren ganz ordentlich gezeigt. Wir hätten es nicht besser machen können.«

»Genau«, meinte Boëndal gänzlich unberührt und fasste den Stiel seiner Waffe. »Sie haben ganze Arbeit geleistet.« Der Anblick berührte die Zwillinge nicht sonderlich, denn als wahre Kinder des Schmieds empfanden sie kaum Mitleid für Elben.

Tungdil erging es anders. Er wandelte durch die glimmenden Holzruinen und hob da ein Brett und dort einen Balken an, um nach Gorén zu suchen. An seiner statt entdeckte er viele Leichen, die teilweise grausam verstümmelt waren. Das Grauen mischte sich mit den Erinnerungen an Gutenauen, er wich zurück und schloss die Lider, doch die Bilder wichen nicht, und seine Phantasie machte sie noch schrecklicher.

Nimm dich zusammen, verlangte er von sich selbst. Wenn Gorén sich unter den Opfern befindet, wie erkenne ich ihn? Und wenn ihm die Flucht gelang, wohin rettete er sich? Seine Augen richteten sich auf das halbwegs intakte Haupthaus. Dort? »Gebt auf die Umgebung Acht«, rief er. »Ich will herausfinden, was mit Gorén geschehen ist.«

»Also, unter diesen Umständen betrete ich die Siedlung«, hörte er Boïndil heiter sagen. »Vielleicht treffen wir hier auf die eine oder andere Schweineschnauze.«

Während die Zwillinge ihm auf die Lichtung folgten und die Ruinen sicherten, erklomm Tungdil vorsichtig die halb eingestürzte, angebrannte Treppe des Haupthauses; die Stiegen ächzten unter seinem Gewicht, doch er erreichte unbeschadet die rußgeschwärzte Plattform und betrat den ersten Stock.

Das Haus war fünfeckig um den gigantischen Baum herum gebaut worden; die Gänge, die von Raum zu Raum führten, waren zum Stamm hin offen gelassen, sodass man ihn von allen Seiten aus sah. Kleinere Hängebrücken führten zu den dicken Ästen, wo die zerschlagenen Überbleibsel von bunten Lampions traurig hin und her pendelten.

Die ersten großen Blätter lösten sich von den Zweigen und schwebten der Erde entgegen, als trauerte der Baum um die Toten, mit denen er jahrelang in enger Verbundenheit gelebt hatte.

Tungdil riss sich von dem Anblick des fallenden Laubes los und durchsuchte die Zimmer, ohne auf Überlebende zu stoßen. Dafür entdeckte er in der vom Feuer weitgehend verschonten Bibliothek einen gesiegelten Umschlag mit Lot-Ionans Namen darauf und einen in Tücher eingewickelten Gegenstand.

Der Zwerg zögerte. Es ist eine Notlage, sagte er sich und brach das Siegel, las die Zeilen und seufzte. Noch mehr Dinge, die ich überbringen soll. Gorén bedankte sich in dem Brief dafür, die Bücher gelesen haben zu dürfen. Er hatte sie wohl bereit gelegt, um sie einem Boten anzuvertrauen. Dieser Bote hieß ab sofort Tungdil.

Der Zwerg fand darin außerdem einen weiteren Brief, der in der für ihn unverständlichen Sprache der hochgradigen Gelehrten abgefasst war; diese Nachricht konnte nur sein Magus lesen. Er verstaute die neue Last in seinem Rucksack und suchte weiter.

Ein Beben lief durch das Haus. Es begann mit einem Zittern, das sich verstärkte und die Balken ordentlich durchschüttelte. Krachend und knackend protestierte das Gebäude, dann endete das Beben so unvermittelt, wie es angefangen hatte. Der Zwerg verstand es als Zeichen, das Baumhaus zu verlassen.

Er trat hinaus auf den Gang und staunte. Der Baum hatte seine Position verändert, seine kahlen Äste stemmten sich gegen die Pfeiler und drückten dagegen, wie er am Knarren vernahm. Der Stamm neigte sich hölzern aufstöhnend nach links, ein knorriger Ast schwenkte in die Richtung des Zwerges.

»Was soll das?! Boïndil hat den jungen Baum vorhin zerhackt, nicht ich!«

Doch das kümmerte den zornigen Baum nicht, und er schlug nach ihm. Tungdil bückte sich rechzeitig. Das keulenartige Endstück verfehlte ihn und zerstörte die Bretterwand hinter ihm. Er hastete zur Treppe und stand vor einer Wand aus Weiß. Zuerst dachte Tungdil, er stünde in einem Schneesturm, bis er begriff, dass es die abgeworfenen Blüten und Blätter sämtlicher Pflanzen des Hains waren, die um ihn herumwirbelten. Der Wald rauschte und schleuderte sein Laub von sich, die zerstörte Harmonie wandelte sich zu Hass.

Wieder erbebte das Haus, Balken brachen, Teile stürzten in die Tiefe. Der Zwerg lief die Stufen hinunter, um auf sicheren Boden zu gelangen.

Die Zwillinge wunderten sich genauso wie er. Sie hatten ihre Waffen gepackt und verfolgten die wundersame Veränderung skeptisch.

»Das muss verfluchte Elbenmagie sein«, rief Boïndil gegen das laute Rauschen. »Sie haben den Hain gegen uns aufgehetzt!«

»Wir müssen von hier weg«, rief Tungdil ihnen zu. »Die Bäume wollen jeden bestrafen, der …« Es verschlug ihm die Sprache, als eine Palandiell-Buche ihr welkes Grün um sich herum verteilte und den Blick auf ihre nackten Äste freigab. Sie zeigte ihm Grausiges.

Er hatte die Elbin gefunden. Ihr schneeweißes, anmutiges Antlitz hob sich ohne den Schutz der blickdichten Blätter gegen die dunkle Rinde ab. Vom Hals abwärts war sie nur mehr ein blutrotes, feucht glitzerndes Skelett, an dem kein Stückchen Fleisch hing; lange Nägel steckten in ihren dünnen Knochen und hielten sie aufrecht stehend am Stamm.