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Der Anblick ging selbst den beiden hart gesottenen Zwergen unter die Haut. »Bei den Feuern von Vraccas’ Esse, was geht hier vor?«, meinte Boëndal.

»Weg hier«, stimmte sein Bruder zu, »bevor das Gleiche mit uns geschieht.«

»Erst muss ich wissen, was mit Gorén ist. Ich sehe mich weiter um.« Tungdil konnte nicht anders, das Grauen zog ihn an, und notgedrungen blieben seine beiden Beschützer bei ihm. »Vielleicht liegt seine Leiche in ihrer Nähe.«

Die Knochen der Elbin wirkten regelrecht abgenagt. Die Angreifer hatten ihr zum Abschied einen langen Nagel durch den Mund und den Hinterkopf getrieben, der sie mit dem Stamm verband. Dort, wo sicher einmal ein paar wunderschöne Augen gewesen waren, gähnten schwarze Löcher.

»Schaut euch das an«, rief Boïndil. »Da hat sie jemand zuerst an den Baum genagelt und danach bei lebendigem Leib verspeist. Für Orks ist das hier viel zu aufwändig, sie hätten das Spitzohr an Ort und Stelle gefressen. Und das Mark ausgesaugt.«

Tungdil schluckte und betrachtete ihr Gesicht, das selbst im Tod und in der Qual die Schönheit behielt. Sein Inneres sagte ihm, dass er keine Elben mochte, aber er verspürte keine Genugtuung über ihren erbarmungslosen Tod.

Währenddessen umrundete Boëndal den Baum, fand weitere Leichen und gebogene, schwarze Abdrücke in der Erde. »Hufspuren«, sagte er, »wie in den Boden eingebrannt. Was glaubst du, was das bedeutet, Gelehrter?«

Tungdil erinnerte sich an die beiden Reiter, welche die Orks in jener Nacht vor dem Angriff auf Gutenauen besucht hatten. »Albae«, sagte er leise. »Die Hufe ihrer Nachtmahre schlagen Funken und versengen die Erde.« Nun wurde ihm die Verstümmelung der Elbin klar. Den Albae bereitete es besondere Freude, ihre Verwandten grausam zuzurichten.

»Albae?«, wiederholte Boïndil. Das Feuer in seinen Augen flammte auf, die Begeisterung loderte empor. »Hussa, das wäre doch mal was anderes als die tumben Schweineschnauzen. Hast du gehört Bruder, wir bekommen Tions Spitzohren vor die Klingen!«

Ihr Schützling schaute auf das Skelett, seine Vorstellungskraft gaukelte ihm vor, wie die Nachtmahre um die festgenagelte Herrscherin Grünhains herumstanden und sie auffraßen, während sie sich unter Schmerzen wand und schrie. Der Drang, sich zu übergeben, wuchs; rasch hielt er sich die Hand vor den Mund, weil er das bisschen Achtung, das die Zwillinge vor ihm hatten, nicht vollkommen verlieren wollte.

Eine männliche Leiche, die in der Nähe der Elbin kauerte, fanden sie besonders auffällig. Sie lag pfeilgespickt auf einem kleinen Flecken unversehrter Erde, doch um sie herum hatte kreisförmig ein Flammenmeer gewütet, wie sie an dem versengten Boden erkannten. In dem exakten schwarzen Kreis zählten sie sieben verschmorte Orks.

Tungdil nahm einen Zauberspruch als Ursache an. »Das könnte Gorén gewesen sein. Mit dem magischen Feuer versuchte er, sich vor den Angreifern zu schützen.«

Er durchsuchte mit zitternden Fingern die Kleider des Toten und entdeckte eine kleine Blechdose mit Zuckermalzbrocken, in die sein Name eingraviert war: Gorén.

»Ein Schild hätte ihm mehr geholfen«, stellte Boïndil trocken fest. »Magie lässt dich im Stich, wenn es darauf ankommt.«

Sein Bruder musterte die tobenden Bäume, die mitten im Sommer herbsteten. »Der Elbenhain ist mir nicht geheuer. Wir gehen«, befahl er. »Es klingt, als wollten sie ihre Wurzeln aus dem Boden reißen und auf uns los marschieren.«

»Was ist mit den Toten?«, meinte Tungdil. »Wir sollten sie …«

»Sie sind tot«, erwiderte Boïndil kühl.

Boëndal setzte sich in Bewegung. »Bestien, Elben und Elbenfreunde. Sie gehen uns nichts an.«

Tungdil sah ein, dass er bei ihnen auf taube Ohren stieß, also lief er neben ihnen durch die Ruinen, um auf den Weg zurückzukehren und Grünhain zu verlassen.

Es tat ihm Leid, dass er die Elbin und Gorén wie totes Vieh zurück ließ, und er drehte sich nach ihnen um, um sich mit Blicken bei ihnen zu entschuldigen. Da sah er zwischen den Überresten etwas Bizarres.

Eine Staffelei! Sie stand in den Trümmern eines Hauses, als hätte der Maler eine Pause eingelegt und wäre kurz weggegangen. Der Anblick rührte Tungdil. Er konnte sich sehr gut vorstellen, was sich ereignet hatte. Die kunstbeflissene Elbin oder einer ihrer Vertrauten wurde bei seiner Arbeit von Orks unterbrochen und hinterließ ein unvollendetes Werk, ein stummes Stück Erinnerung an die Gräueltaten.

Was sie wohl gemalt hat? »Ich bin gleich zurück.« Er stieg über die Ruinen, denn er wollte wissen, was die Pinsel zu Stande gebracht hatten.

Boëndal stieß die Luft aus, der Bart über seiner Lippe zitterte. »Es ist nicht leicht mit ihm.«

»Nein, wirklich nicht«, grummelte Boïndil und nutzte seinen schwarzen Haarzopf, um sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Grummelnd folgten sie ihm.

Ihr Schützling stand vor dem Bild, mit dem etwas sehr Auffälliges nicht stimmte. Es zeigt die Lichtung in ihrem vernichteten Zustand.

Die Hand, welche den Pinsel geführt hatte, gehörte einem Meister. Der Künstler hatte ausschließlich Rottöne benutzt, um die Zerstörung auf die glatte weiße Leinwand zu bannen. Jede noch so kleine Einzelheit spiegelte sich peinlich genau wider: Leichen, Gebäudereste, Bäume.

Tungdil betrachtete die Leinwand genauer. Das sieht nicht wie Linnen aus. Er umrundete die Staffelei und erschrak. Die Hinterseite war rot, nass, und als er sie vorsichtig berührte, zog er die Hand angewidert zurück. Haut! Der Maler hatte Haut verwendet, um sein Motiv aufzutragen. Der Makellosigkeit nach zu urteilen hatte er die Herrin des Hains gewählt. Der Zwerg ahnte, dass es sich bei dem Rot nicht um gewöhnliche Farbe handelte. Er rief die Zwillinge herbei.

Ein wenig abseits davon standen zwei weitere, kleinere Bilder. Eines zeigte das leidende Gesicht der Elbin, deren Augen voller Angst und Qual leuchteten, während das andere ihren abgenagten Leib mit aller Genauigkeit darstellte. Angewidert ließ er die grausamen Werke fallen.

»Das Bild ist noch nicht getrocknet«, sagte Boëndal, nachdem er es genauer betrachtet hatte. »Sein wahnsinniger Schöpfer kann jeden Augenblick zurückkehren.«

»Darauf freue ich mich«, knurrte sein Bruder. »Wir ziehen ihm auch bei lebendigem Leib die Haut ab.«

»So etwas Widerliches darf nicht sein«, befand Tungdil voller Abscheu, obwohl er eingestand, selten eine solche Kunstfertigkeit zu Gesicht bekommen zu haben. Er nahm das Malgestell und warf es ins Feuer, die beiden fertigen Bilder folgten.

Sie machten sich schweigend auf, den Pfad aus der Siedlung zu betreten, als sie das Schnauben hörten. Es war ein streitbarer, feindlicher Laut, dann folgte ein wütendes, schneidendes Wiehern.

Zwanzig Schritt zu ihrer Rechten verließ ein Rappe den kahlen Wald; die Augen leuchteten Rot, und mit jedem Schlag seiner Hufe stoben weiße Funken auf und umspielten seine Fesseln.

Der Nachtmahr trug eine schlanke Albin mit langen, dunkelbraunen Haaren auf seinem Rücken. Ihr Körper steckte in einer Rüstung aus gehärtetem schwarzem Leder, die zur Zier mit polierten Tioniumstücken besetzt war.

»Stinkende Unterirdische?« Hinter ihrem Rücken ragte der Griff eines Schwertes in die Höhe, ihre Rechte hielt einen geschwungenen Bogen, die dazugehörigen, langen Pfeile befanden sich in einem Sattelköcher. Tungdil erinnerte sich noch sehr gut an die Geschosse.

»Ihr habt meine Bilder vernichtet! Also brauche ich frisches Blut, um neue zu malen.« Sie richtete sich ein wenig auf, um die Zwerge besser sehen zu können. Mit ihrem wohlgestalteten, feinen Antlitz glich sie einer Elbin trügerisch genau und wäre als Geschöpf der Göttin Palandiell durchgegangen, wenn die schwarzen Augenhöhlen sie nicht verraten hätten.