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Die erschrockenen Vierbeiner machten einen Satz nach hinten. Die Männer, die gerade absteigen wollten und in nur einem Steigbügel standen, verloren das Gleichgewicht und fielen in den Staub.

Tungdil wartete nicht, sondern rannte nach rechts in den dichten Wald hinein. Die Pferde nützten den Söldnern zwischen den dicht beieinander stehenden Stämmen nichts, und wegen des Gestrüpps würden sie auch zu Fuß nicht gut vorwärts kommen. Seine geringe Größe war hier ausnahmsweise von Vorteil. Unter dem dichten Blätterdach schwand die Helligkeit des Tages zudem schneller als im Freien, doch das machte Tungdil keine Schwierigkeiten.

»Fangt den Zwergenbastard!«, brüllte ihr Anführer. »Das gibt eine fette Prämie!«

Der Zwerg hetzte durch den Forst und blieb gelegentlich stehen, um nach seinen Verfolgern zu lauschen. Sie gaben nicht so leicht auf, wie er am Knacken der Äste und am Fluchen erkannte, aber sie fielen zurück; irgendwann hörte er ihre schweren Schritte nicht mehr, er hatte sie abgehängt.

Keuchend lehnte sich Tungdil an einen Baumstamm und rang nach Luft. Ausdauer war gut und schön, aber mit Gepäck auf dem Rücken um sein Leben zu rennen stellte eine gewaltige Anstrengung dar. Hastig kontrollierte er alles; der Sack mit den Artefakten, in dem es seit dem Schlag des Orks merkwürdig klirrte und klapperte, baumelte da, wo er hingehörte.

Tungdil nahm einen Schluck Wasser, während er horchte. Sie jagen mein Volk wegen einer Belohnung! Er konnte das Gehörte nicht fassen, es übertraf alles, was ihm bislang unterwegs zugestoßen war. Gold auf Zwergenköpfe auszusetzen stand nicht mit den Gesetzen des Geborgenen Landes im Einklang, und er mochte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was man mit seinem Schädel anstellen wollte.

Nach kurzer Rast hetzte er weiter in gerader Linie durch den Wald, um auf den nächsten Weg zu gelangen. Seine Überraschung war groß, als Boïndil und Boëndal ihm entgegenkamen.

»Da ist er ja!«, begrüßte ihn Boïndil. »Du hast dich wohl verlaufen.«

»Nein, ihr habt euch verlaufen. Ihr wart nicht auf dem Weg nach Porista«, keuchte er.

Boëndal betrachtete ihn genauer. »Was ist los, Gelehrter? Gab es Ärger?«

»Hoffentlich nicht, weil ich ihn dann nämlich verpasst hätte«, grummelte sein Bruder. »Oder wollte ein Eichhörnchen an deine …«

»Es waren Kopfgeldjäger«, unterbrach Tungdil ihn. »Sie jagen Zwerge und schneiden ihnen die Köpfe ab, weil ihnen jemand dafür Geld bezahlt.«

»Was?!«, brüllte Boïndil und rollte mit den Augen; sein stattlicher Bart bebte. »Wohin sind sie?«

»Ich habe keine Ahnung, und um ehrlich zu sein, war ich sehr froh, dass sie nicht mehr hinter mir her waren«, gestand er.

Sie suchten sich eine kleine Lichtung abseits der Straße, um zu beratschlagen.

»Haben sie gesagt, wer ihnen Gold bezahlt?«, erkundigte sich Boëndal.

»Nein. Sie sind mir schon einmal begegnet, aber damals unternahmen sie nichts. Es waren wohl zu viele Menschen auf dem Gehöft.« Ich bin um Haaresbreite dem Tod entronnen.

»Mh … Es könnte eine neue List der Dritten sein, die anderen Stämme auf diese Weise jagen und vernichten zu lassen. Oder sie wollen erreichen, dass wir mit den Langen ähnlich verfeindet sind wie mit den Elben und das Ganze in einen Krieg mündet.« Boëndal schaute in die Runde. »Auf jeden Fall gibt es eine Menge zu bereden, wenn wir das zweite Zwergenreich erreichen.«

Tungdil breitete seine Decke über sich aus und verbrachte die Nacht unter dem Blätterdach der Eiche. Aufs Feuer verzichteten sie, denn Flammenschein sah man in der Dunkelheit meilenweit, und selbst das Knacken eines dünnen Astes tönte in der nächtlichen Stille laut. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, fühlte einen Käfer in seinem dichten Haar und zog ihn heraus. »Es ist merkwürdig«, sinnierte er laut, »dass dieses Kopfgeld ungefähr zur gleichen Zeit ausgesetzt wurde, als ihr mich suchtet.«

Boïndil, der es sich gemütlich machte und den langen, schwarzen Zopf zu einem Kopfkissen rollte, runzelte die Stirn. »Du meinst, es ist keine List Lorimbur? Jemand hätte es auf uns abgesehen?«

Sein Bruder schüttelte den Kopf. »Nein, du bist auf der falschen Fährte. Unser Gelehrter meint, dass man es in erster Linie auf ihn abgesehen hat, richtig?«

»Es ist abenteuerlich, ich weiß«, räumte Tungdil seufzend ein. »Aber ihr hattet erwähnt, dass es noch einen Anwärter auf den Thron gibt.«

Boëndal verstand seine Andeutung. »Niemals«, lehnte er strikt ab. »Ein ehrenwerter Zwerg spinnt keine Intrigen. König Gandogar Silberbart ist weit von dem entfernt, was du ihm unterstellen möchtest.«

»Du verteidigst ihn, als käme er aus unserem Stamm«, murmelte sein Bruder ein wenig vorwurfsvoll.

»Ich verteidige ihn, weil er ein Zwerg ist. Ein aufrichtiger Zwerg mit falschen Ansichten«, beharrte der Zwilling entschieden. »Außerdem hat der Rat erst nach unserer Abreise etwas von dir erfahren.« Er dachte nach. »Nein«, wiederholte er fest. »Das Kopfgeld ist eine Heimtücke Lorimburs. Und das ist schon schlimm genug. Alles andere wäre noch viel schlimmer. Wenn wir uns gegenseitig verrieten, bräche alles zusammen. Deshalb darf es nicht so sein.«

Nachdenklich begaben sie sich zur Ruhe.

Tungdil träumte wirre Sachen. Heerscharen von Orks und Albae verfolgten ihn mit Rasierseife und Messer, um ihm seinen mittlerweile ansehnlichen Bart zu schneiden. Sie schafften es tatsächlich, ihn einzuholen, niederzuringen und zu scheren. Es war ein demütigender und verstörender Anblick, im Gesicht nackt wie ein kleines Kind zu sein.

Das weckte ihn aus seinem keinesfalls erholsamen Schlummer. Er aß von seinem Proviant und betete noch inbrünstiger als sonst zu Vraccas, damit er allen Kopfgeldjägern Gauragars entkäme und seine Aufgabe erfüllte.

Du machst es mir nicht leicht, Vraccas. Tungdil sehnte sich nach seinem Heimatstollen und Frala, Sunja und Ikana. Fast war er so weit, dass er sich sogar mit dem Wiedersehen von Jolosin angefreundet hätte.

Das gemeinsame Wandern brachte die Zwerge einander näher. In jedem freien Augenblick nahm ihn Boïndil zur Seite und wies ihn tiefer in die Kunst des Kämpfens ein.

»Na«, fragte ihn Boëndal eines Abends am Lagerfeuer leise, als sein Bruder eingeschlafen war. »Was hältst du von den ersten Zwergen, die dir in deinem Leben begegnet sind?«

Tungdil grinste. »Soll ich ehrlich sein?«

»Ich bitte darum, Gelehrter.«

»Boïndil ist der Aufbrausendere von euch beiden. Seine Gedanken benötigen dagegen länger als seine Fäuste, bis sie in Bewegung kommen. Steht ein Entschluss fest, ist er durch nichts mehr davon abzubringen; und er tut meistens das, was ihm gerade in den Sinn fällt.«

»Das war einfach. Und?«

»Aus seiner Ablehnung von Orks und Elben machte er keinerlei Hehl, das Höchste für ihn ist der Kampf, in den er sich mit einem Eifer stürzt, den ich so noch niemals erlebt habe.«

»Bei Vraccas! Du hast meinen Bruder schon gut beobachtet«, lachte der Zwilling. »Aber lass es ihn nicht hören. Und was meinst du zu mir?«, fragte er neugierig und reichte ihm eine angerauchte Pfeife.

»Du bist etwas sanfter veranlagt, denkst schneller und lässt dich durchaus von anderen Vorschlägen überzeugen«, sagte Tungdil und nahm einen Zug. »Deine braunen Augen blicken freundlich, aber der Ausdruck in den Augen deines Bruders ist … unbeschreiblich.«

Boëndal klatschte leise Beifall. »Nicht schlecht, Gelehrter.«

»Wie kam es eigentlich, dass ihr beiden Krieger geworden seid?«

»Weil wir im Umgang mit Marmor und anderem Gestein kein übergroßes Geschick aufwiesen, entschieden wir uns, die Wachmannschaften zu verstärken«, grinste er. »Unser Stamm beschützt die Hohe Pforte, wie wir unseren schluchtartigen Durchgang nennen. Der Weg beträgt eine Breite von fünfzig Schritt, die Steilhänge ragen eintausend Schritt senkrecht nach oben und neigen sich ab einer Höhe von achthundert Schritt einander zu. Nur wenn die Sonne genau senkrecht über dem Einschnitt steht, fällt Licht in die Schlucht.«