Boïndil roch an der Seife, kratzte ein Stück davon ab und kostete es. »Bah, waschen! Es schmeckt nicht einmal.« Achtlos packte er sie ein.
»Das Tote Land ist auf dem Vormarsch?«, hakte sein Bruder indes nach.
»Das kann man so annehmen. Die Elben sitzen im letzten Stück ihres Reiches Âlandur und verteidigen es gegen die unaufhörlichen Attacken der Albae, heißt es. Angeblich sind die ersten Elben geflüchtet und suchen Schutz in der Ährenebene von Tabaîn.« Der Mann packte die Geschenke in groben Stoff ein. »Die Albae gewinnen langsam, doch stetig die Oberhand, will man meinen. Âlandur wird fallen, wenn ihr mich fragt, und dann gibt es keine Elbenreiche mehr im Geborgenen Land.« Er übergab Tungdil das Bündel. »Macht einen silbernen Münzling, werter Herr Unterirdischer.«
»Zwerg«, verbesserte ihn Tungdil.
»Bitte?«
»Wir sind Zwerge, keine Unterirdischen.«
»Richtig, ich vergaß«, entschuldigte Sami sich eilends und schaute misstrauisch zu Boïndil, der seine geschorenen Kopfseiten prüfend in einem Spiegel betrachtete.
Tungdil machten die Neuigkeiten betroffen. »Ich bin gespannt, was der Rat der Zwergenstämme dazu sagt.«
»Er wird jubeln«, zuckte Ingrimmsch mit den Achseln. »Die einen Spitzohren sind erledigt, und die anderen machen wir umso leichter fertig, wenn sie sich in unseren Bergen herumtreiben sollten. Ich werde keine Elbenfratze in unserem Blauen Gebirge dulden, weder Alb noch Elb. Sollen die Flüchtlinge sehen, wo sie bleiben.«
Tungdil kratzte sich am braunen Bart. »Und die Orks?«
»Oh, sie müssen sich an drei Orten gleichzeitig aufhalten, wenn man den Geschichten über sie Glauben schenken will.« Sami verzog das Gesicht zu einer Leidensmiene. »Es ist unsicher auf den Straßen. König Bruron gelingt es nicht, Tions Kreaturen zu stellen und zu vernichten. Dafür plündern sie weiter, und unsereins muss sich Sorgen um Leib und Ware machen.«
Boïndil blickte verlangend und leckte sich die Lippen. Tungdil hörte ihn »Oink, oink« murmeln.
Schließlich verabschiedeten sie sich von dem Krämer und ritten weiter.
Um Münzen in die Beutel zu bekommen, schmiedete Tungdil unterwegs; die Zwillinge gingen ihm entweder zur Hand oder versahen die Fenster- und Türstürze der Bauern und Dörfler mit wunderschönen Gravuren. Damit hatten sie ausreichend Schinken und Käse im Beutel und näherten sich ihrem ersten Ziel, dem Stollen.
»Du hast Käsekrümel im Bart«, machte Tungdil Boïndil während einer Rast aufmerksam.
»Und?«
»Es sieht … nicht gut aus«, bemühte er sich um einen diplomatischen Hinweis.
Ingrimmsch strich einfach nur durch die Gesichtshaare, um die größten Brocken herauszuschütteln.
»Da ist noch …«
»Alles andere bleibt, wo es ist«, meinte er unwirsch. »Das sorgt dafür, dass der Bart immer schön geschmeidig ist.« Wie zur Untermauerung seiner Worte landete ein Brotkrümel in dem krausen Barthaar.
Tungdil stellte sich vor, wie die Haare ihr eigenes Leben entwickelten und die Reste verschlangen. Das war gewiss der Grund, weshalb sich kein Ungeziefer darin einnistete. Es krabbelte hinein und wurde einfach gefressen. »Was sagen denn die Zwerginnen, wenn ihr so ungepflegt …?«
»Fängst du schon wieder mit den Weibern an?« Boïndil grinste dreckig. Käsestückchen hingen zwischen seinen Zähnen, und er schlug Tungdil aufmunternd auf den Rücken.
»Geduld, Gelehrter. Bald bist du um eine Weisheit reicher, wenn du es geschickt anstellst. Der Hässlichste bist du meiner Meinung nach nicht. Es wird sich schon eine für dich finden«, lautete der Ratschlag Boëndals.
»Und … was mache ich dann?«
Der andere rempelte ihn in die Seite. »Du machst ihr schöne Augen. Danach singst du ihr ein Lied und schmiedest ihr einen Ring, um ihr Herz zu gewinnen. Du küsst ihre Füße, reibst sie ordentlich mit ihrem Lieblingskäse ein und drehst sie viermal im Kreis. Dann öffnet sich die Pforte, die in ihr Geborgenes Land führt.«
»Das ist … so steht es nicht in den Büchern«, meinte Tungdil hilflos. Er blickte Boëndal an, in dessen braunen Augen der Schalk funkelte. Im selben Moment prustete Ingrimmsch los und schüttete sich aus vor Lachen.
»Albernes Pack.« Tungdil verzog den Mund. »Ich finde das nicht lustig«, beschwerte er sich beleidigt. »Ich kann nichts dafür, dass ich keine Zwerginnen kenne.«
Boïndil wischte sich die Heiterkeitstränen aus den Augenwinkeln. »Nimm es ihm nicht krumm. Aber mein Bruder hatte auf diese Weise immer Erfolg.«
Jetzt dröhnte das Lachen beider Geschwister über die sanften Hügel Ionandars.
»Sei einfach du selbst«, sagte Boëndal eine Spur ernster. »Ich kann natürlich nicht für alle sprechen, aber ich habe gelernt, dass sie eine Maskerade sehr schnell durchschauen.«
»Er wollte immer ein Poet sein«, gluckste sein Bruder. »Es hat ihm aber niemand abgenommen. Bei dir würde das funktionieren.«
»Welche Geschenke mögen sie?«
»Oh, geschickt! Du versuchst es mit Bestechung?! Um das Herz einer unvergebenen Zwergin zu erreichen, gibt es keine Rezeptur, die man aus Büchern lernen kann, Gelehrter«, sagte Boëndal. »Entweder sie mag dich und lässt dich das spüren, oder sie mag dich nicht.«
»Das lässt sie dich dann auch spüren«, rief Ingrimmsch gut gelaunt.
»Und frage nicht, wie sehr«, lachte Boëndal. »Wenn sie dich mag, kann dir alles geschehen. Doch jetzt genug von den Frauen.«
Sie zogen weiter. Nach mehreren Sonnenumläufen erkannte Tungdil die Gegend, also näherten sie sich mehr und mehr dem Stollen seines Magus.
Freudig malte er sich das Wiedersehen mit den Famuli und vor allem mit seiner lieben Frala und ihren Töchtern aus. Sie werden Augen machen, wenn sie hören, was das Volk der Zwerge von mir will. Damit sie sah, dass er sie nicht vergessen hatte, band er sich ihr Halstuch um.
Die Gruppe kam an den Fluss. Auf der anderen Seite schaukelte eine Fähre, und auf der Böschung stand das Haus des Schiffmeisters. Rauch stieg aus dem Schornstein.
Tungdils Hand streckte sich nach der Glocke aus, die neben dem Anlegeplatz an einem Ast baumelte, um dem Fährmann ein Zeichen zu geben, damit er kam und sie holte.
Ingrimmsch hielt seine Hand fest. »Was machst du?«
»Ich rufe den Fährmeister«, antwortete der Zwerg. »Oder hast du beim Laufen und Reiten gleich schwimmen gelernt und möchtest so ans andere Ufer gelangen?«
Boïndil betrachtete den Strom, die Wellen gluckerten und schwappten gegen das Ufer. »Wir suchen uns einen anderen Weg«, entschied er. »Mir ist es hier zu tief. Wir könnten vom Boot fallen und ertrinken.«
»Du kannst auch vom Pony fallen und dir das Genick brechen«, hielt Tungdil bissig dagegen. »Die Reise zur nächsten Furt kostet uns mindestens zwei Umläufe!« Er blickte in die verschlossenen Gesichter der Zwillinge und wusste, dass er sich weitere Worte sparen konnte. »Da lang«, seufzte er und deutete flussaufwärts. »Warum wollt ihr nicht übers Wasser?«
Boëndal erzählte ihm die zwergische Legende, warum das Wasser die Zwerge nicht leiden konnte.
»Die Göttin Elria, die sich selbst aus dem Wasser erhob und sich dem Element zutiefst verbunden fühlte, mochte uns Zwerge nicht. Die Kinder des Schmiedes, die mit Feuer und Flammen zu tun hatten, waren für sie der Fleisch gewordene Gegensatz zu ihren Schöpfungen, die sich im Wasser tummelten.
Damit wir nicht mit ihren Kreaturen in Berührung kommen, warf sie einen Fluch über die Zwerge. Sobald wir uns außerhalb der Zwergenreiche in Wasser begeben, sollen wir unweigerlich darin ertrinken.«
Egal ob Meer, See, Fluss, Teich oder Bach, selbst größeren Pfützen unterstellten die Geschwister Mordabsichten. Die beiden mieden alles, was nach tiefem Wasser aussah.
»Jedenfalls ist es eine sehr gute Ausrede, um sich nicht waschen zu müssen«, meinte Tungdil.
Sie ritten den Rest des Tages den Fluss entlang und erreichten nach einem Nachtlager die Furt. Die Zwillinge bewegten sich sehr vorsichtig durch das schnell fließende Wasser, das ihre Oberschenkel so heftig umspülte, als wollte es sie tatsächlich von den Beinen reißen und ersäufen.