Eiden drückte sich ab und warf sich im Fallen gegen Ingrimmsch, der ihn mit einem Zwergenschrei begrüßte, die Arme mit den Waffen angriffsbereit erhoben. Er wich dem Körper aus, die Klingen zuckten nach vorne und trennten dem Langen den linken Unterarm ab. Eiden schrie und tobte, rutschte vorwärts und kroch Zähne fletschend auf die Brüder zu.
»Sieh dir das an. Er gibt nicht auf! Sein Hass gegen das Leben muss grenzenlos sein.« Boïndil schlug ihm den Kopf ab, und augenblicklich kehrte Ruhe in den Körper ein.
Die Zwillinge rannten durch die Tunnel, um Tungdil beizustehen. Sie waren sich sicher, dass es mehr als nur eines dieser Ungeheuer gab, und somit bestand für den möglichen Thronfolger höchste Lebensgefahr.
Als sie vor der Tür ankamen und einen Blick in die Kammer warfen, entdeckten sie einen jungen Mann in einer malachitfarbenen Robe, der neben dem Ohrensessel stand und den Sack mit den Artefakten ihres Schützlings in den Händen hielt.
Wegen des Lärms, den ihr Kampf gegen den Untoten verursacht hatte, hatte er sie wohl erwartet. »Ich werde euch Pack verbrennen!«
Sein Mund öffnete sich, der rechte Arm schnellte gestikulierend in die Höhe und deutete auf die Zwerge, dann klappte die Tür zu.
Die Brüder blinzelten sich an. »Hat er dafür einen Zauberspruch gebraucht?«, wunderte sich Boïndil.
»Magi sind seltsam. Ich hätte die Tür ohne den Aufwand zugemacht.«
»Machen wir sie eben wieder auf!« Boïndil rammte die Schulter gegen das Holz und stürmte brüllend in den Raum.
Der Lange lag rücklings im Schrank und regte sich nicht mehr, mehrere Regale waren aus ihren Halterungen gerutscht und samt Inhalt auf ihn geprasselt. Die Bretter und die gestapelten Gegenstände hatten ihm eine Platzwunde geschlagen.
Tungdil stand vor ihm und rieb sich den Schädel. »Jetzt weiß ich, warum man einen Helm anzieht, wenn man dem Gegner den Kopf in den Bauch rammt«, grinste er.
»Habe ich dir nicht gesagt, dass die Übungsstunden sich lohnen?«, meinte Ingrimmsch anerkennend. »Du bist auf dem besten Weg, ein Zwerg zu werden.«
»Und jetzt erkläre uns, was hier los ist. Was hat es mit deinem Magus auf sich, der sich Untote in den Tunneln hält und Menschenfleisch kocht?«, wollte Boëndal wissen.
»Es ist nicht Lot-Ionan.« In aller Eile berichtete Tungdil das Wichtigste von der Unterhaltung zwischen dem Zauberlehrling und Nudin, die er belauscht hatte. Die Brüder erzählten ihrerseits von dem Gesehenen in der Küche. Beides zusammen ergab die traurige Gewissheit, dass der Wissbegierige die Behausung erobert und auf die ein oder andere Weise alles Leben vernichtet hatte.
Tot? Tiefe Trauer und Bestürzung packten Tungdil, und er musste sich setzen. Die vielen Menschen, die Mädge, die Famuli, Frala, Sunja und Ikana, sie sollten dem wahnsinnig gewordenen Wissbegierigen zum Opfer gefallen sein? Er wehrte sich gegen die Vorstellung, dass der zaubermächtige Lot-Ionan auf diese Weise geendet war. Er lebt. Er muss leben! Sicher entkam er und versammelt die besten Schüler um sich, um Nudin zu bekämpfen. Ich muss ihn finden.
»Wir brechen sofort auf«, entschied Boëndal. »Die Ereignisse sind nun auch für den Rat der Zwerge von größter Bedeutung.«
»Nein«, weigerte sich Tungdil trotzig. »Ich muss wissen, was aus Lot-Ionan …« Er schaute auf den ohnmächtigen Famulus. »Er wird es uns sagen.« Schon kniete er neben ihm und erteilte ihm mehrere kräftige Ohrfeigen, um ihn zu wecken. Die Lider des jungen Mannes flatterten.
Boïndil sicherte die Tür, während sein Bruder die Spitze des stählernen Krähenschnabels exakt zwischen den Augenbrauen des Gefangenen platzierte. »Wenn du auch nur an einen Zauber denkst, treibe ich dir den guten Stahl ins Hirn«, versprach er ihm rau und blickte mehr als grimmig. »Knochen knacke ich wie du leere Eierschalen.«
»Wo ist Lot-Ionan?«, verlangte Tungdil aufgeregt zu wissen und fürchtete sich gleichzeitig vor der Antwort.
»Die Zwerge aus Grünhain?!«, keuchte der Famulus benommen. »Ihr … Ich dachte, ihr seid …«
»Wo ist Lot-Ionan!?«, polterte Tungdil. Boëndal drückte ein wenig stärker auf das Ende des Krähenschnabels. Spielerisch durchstach er die Haut; Blut sickerte hervor, während das Metall unnachgiebig auf die Stirn drückte. »Rede. Oder stirb.«
»Nein, ich sage alles! Nôd’onn hat ihn getötet«, brach es angsterfüllt aus dem Mann hervor.
»Der Herrscher über das Tote Land?«
»Er hat sie alle getötet, in Porista.« Und so erfuhren sie die unglaubliche Wahrheit über die Ereignisse in Lios Nudin. Es gab im Geborgenen Land niemanden mehr, der es mit dem letzten Magus aufnehmen konnte. »Nôd’onn hat die magischen Felder verändert, sodass ausschließlich er sie nutzen kann«, stammelte der Famulus.
Eine eisige Faust packte Tungdils Herz und drückte es, als er Gewissheit bekam. »Der Wissbegierige ist Nôd’onn?! Er ist der Gebieter über das Tote Land?« Er hatte die Wahrheit schon vor Wochen gewusst und nicht durchschaut. Ihm war zum Schreien zumute, und er verspürte nicht übel Lust, dem Gefangenen die Axt in den Kopf schlagen. »Was hat es mit dem Buch und den Artefakten auf sich?«, herrschte er ihn an. »Rede!«
»Ich habe keinen blassen Schimmer! Nôd’onn sucht sie, mehr weiß ich nicht«, behauptete er.
Tungdil schlug ihm die flache Seite seiner Axt gegen den Kopf und schickte ihn zurück in die Bewusstlosigkeit. Dann fesselten sie ihn und sperrten ihn in den Schrank. Bevor sie gingen, berieten sie über sein Schicksal. Im Grunde, das war den drei Zwergen klar, mussten sie ihn töten. Jeder gegnerische Zaubermächtige galt als Gefahr, und solange sie den Famulus auf so einfache Weise ausschalten konnten, wäre es geradezu sträflich töricht, ihn am Leben zu lassen.
Die Anspannung fiel von Tungdil ab und machte dem Schmerz über den Verlust seiner Freunde, seiner Familie Platz. Tränen rollten über seine Wangen in den Bart. Er wischte sie sich mit Fralas Halstuch aus den Augen; aus dem Talisman war ein Andenken geworden. Ich werde dich und deine Töchter rächen, schwor er seiner großen Schwester finster.
Ein bekannter Geruch stieg in seine Nase; er hob den Kopf und blickte zu den Zwergenbrüdern. Sie rochen das saure, ekelhafte Unschlitt, wie es nur die Orks verwendeten, ebenso wie er. Tungdil packte die Axt und stemmte sich hoch. »Lasst uns sehen, ob ich meine Kampflektionen gelernt habe«, sagte er rau und schritt zum Ausgang.
Das Gerücht machte die Runde, der Großkönig läge im Sterben. Es ging sogar so weit, dass offen vermutet wurde, Gundrabur sei bereits von Vraccas’ Hammer niedergeschmettert worden und in die Ewige Schmiede eingezogen.
Es war nicht schwierig zu erkunden, wer die Verbreiter solcher Neuigkeiten waren. Sie stammten von den Clans aus dem Stamm Goïmdil, die es nicht abwarten konnten, ihren König auf dem Marmorthron sitzen zu sehen. Der Krieg gegen das Elbenreich Âlandur sollte geführt werden, ganz gleich, ob es einen Sinn ergab oder nicht.
Bislipur fand sich überall, wo mehrere Zwerge auf einem Haufen standen. Der hinkende Mentor Gandogars benötigte anscheinend keinen Schlaf und schmiedete die Eisen, so lange sie warm waren. Er gönnte sich ebenso selten eine Rast wie Balendilín, der Berater des Großkönigs, den er als seinen ärgsten Widersacher empfand.
»Vraccas möge mit dem Hammer dreinschlagen«, fluchte Bislipur, als er die Kammer betrat, die ihm die Zweiten als Unterkunft zugeteilt hatten. Es geht nicht voran, ärgerte er sich und setzte sich auf sein Bett. Immer mehr Angehörige der eigenen Clans gerieten über den Feldzug gegen die Elben in Zweifel. Balendilín ruiniert mir alles. Ich muss etwas gegen ihn unternehmen.
»Meister, ich habe Neuigkeiten für Euch«, sprach eine dünne Stimme unter seiner Schlafstätte, »auch wenn ich nur ungern zu Euch zurückkehre. Eigentlich wollte ich gar nicht.«