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»Ich entscheide, wann ich höflich bin«, gab der gemaßregelte Zwerg beleidigt zurück und warf den Zopf über die Schulter. »Und komm mir nicht in die Quere«, richtete er sich an den Krieger, ehe er sich an die Spitze der Gruppe setzte. »Die Orks gehören mir. Du wirst dich schön anstellen.«

Der Marsch begann. Tungdil lief hinter Andôkai. Ich werde mich mit ihr am Lagerfeuer unterhalten, beschloss er. Er wollte mehr Einzelheiten erfahren, die nicht für die Ohren der Zwillinge gedacht waren.

»Wie ist Lot-Ionan gestorben, ehrwerte Maga?«, fragte Tungdil die Zauberin, die ein wenig abseits vom Feuer auf ihrem Mantel saß und in die Flammen starrte. Er wählte die einfache Gelehrtensprache, um ihr seine Bildung zu zeigen und ihr zu verdeutlichen, dass er mehr als ein einfacher Zwerg war.

Es hatte lange gedauert, bis er seinen Mut zusammennahm und näher an sie heran rückte, um sie unter vier Augen zu sprechen.

Neben ihr hockte der Krieger, den Rücken an einen Baumstamm gelehnt. Die Waffen lagen rechts und links neben ihm, fein säuberlich der Länge nach geordnet und sofort griffbereit. Der Zwerg konnte nicht sagen, ob der Mann unter seinem Helm schlief oder wachte.

»Lot-Ionan hat dich einiges gelehrt, wie ich höre«, antwortete sie langsam und ohne den Blick abzuwenden. »Ein gebildeter Zwerg, das ist selten im Geborgenen Land. Noch seltener als ein Zwerg.« Sie schwieg. »Soll ich uns beide quälen, in dem ich dir von dem Abend berichte, an dem der Verrat begangen wurde? Was bringt es dir zu wissen, wie dein Herr ums Leben kam?«

»Ich versuche zu verstehen, warum Nudin sich geändert hat.«

»Das versuche ich auch, Tungdil.« Andôkai drehte ihm ihr herbes Gesicht zu. »Mir gelingt es nicht.« Sie erzählte, wie es ihr an jenem Abend ergangen war. »Nudin griff mich ohne Vorwarnung an und schlug mich mit einem magischen Hieb nieder, dass meine Sinne schwanden.« Ihre Hand fuhr an ihr Kinn. »Ich streckte ihn mit einem Schwerthieb nieder, aber er durchbohrte mich mit seinem Stab. Danach erinnere mich nur noch an die Geräusche jener Nacht, die durch meine Ohnmacht drangen.« Die Frau atmete tief ein, streckte die Beine aus und legte den Kopf in den Nacken, um die Sterne zu betrachten. »Sie müssen sich sehr gewehrt haben, ihre Todesschreie werde ich mein restliches Leben nicht vergessen. Ich fühlte, wie mein Blut aus meinem Körper lief, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte.«

»Wie gelang es Euch zu überleben?«

Sie schaute zärtlich auf den regungslosen Krieger. »Djerůn. Nôd’onn vergaß, dass ich ihn mit in den Palast gebracht hatte. Er stahl sich in den Raum, als der Irre gegangen war, und behandelte meine Wunde. Ich war zu geschwächt, um mich dem Verräter zu stellen. Djerůn nahm sich eine Leiche aus einer Begräbnisstätte in der Stadt, zog ihr meine Sachen an und legte sie stattdessen ins Zimmer zu den anderen Toten, damit Nôd’onn annahm, ich sei keine Gefahr mehr für ihn.« Sie langte nach einem Ast und warf ihn ins Feuer. Knisternd tanzten die Funken in den schwarzen Himmel. »Ich bin auch lebend keine Gefahr für ihn«, sagte sie niedergeschlagen.

»Und … Lot-Ionan?«, verlangte Tungdil zu wissen.

»Als mich Djerůn wegbrachte, war dein Herr zu Stein erstarrt«, antwortete sie leise. »Nôd’onn hat ihn in eine Statue verwandelt.« Eine Träne der hilflosen Wut rann ihr aus dem Augenwinkel.

»Eine Statue«, wisperte der Zwerg, während er näher ans Feuer rutschte. »Ist es möglich, den Zauber …«

Die blonde Frau schüttelte den Kopf und verzichtete auf weitere Erklärungen. Sie saßen stumm nebeneinander, in den Gedanken an die Ermordeten versunken. Die Sterne drehten sich über ihnen, die Zeit verrann.

»Ihr wollt das Geborgene Land verlassen? Wohin? Was wird aus Eurem Reich?«, erkundigte sich Tungdil müde. Seine Augen brannten, weil er nicht einziges Mal geblinzelt, sondern das Farbenspiel des Lagerfeuers betrachtet hatte. Die Wärme der Flammen brachte seine Tränen zum Verdampfen, das Salz reizte die empfindliche Innenhaut. »Meint Ihr, in der Ferne wäre es besser, ehrwürdige Maga?«

»Es ist nicht klug, sich einem rollenden Fels in den Weg zu stellen, wenn man allein ist«, gab sie leise zurück. »Mir widerstrebt es, Leiden unnötig zu verlängern, also gebe ich mein Reich freiwillig auf. Was würde ich erreichen, böte ich Widerstand? Ich werde sehen, was hinter den Gebirgen ist. Das Geborgene Land hat seine Namen nicht mehr verdient.« Sie bedeutete Tungdil, dass er sich zurückziehen solle. »Ich möchte schlafen.«

»Meinen Dank, ehrenwerte Maga.« Tungdil kehrte zu den Zwillingen zurück und berichtete von den Vorfällen in der Hauptstadt Lios Nudin.

»Also sind die anderen Zauberer wirklich tot?«, staunte Ingrimmsch, während er sich ein Stückchen Käse aus seinem schier unerschöpflichen Vorrat grillte. »Dabei hat man sich die tollsten Geschichten über ihre Fertigkeiten erzählt.«

»Gegen einen verräterischen Dolch bringt der stärkste Schild nichts«, meinte sein Bruder und schob sich geröstetes Brot zwischen die Zähne. »Die Langen sind schon ein trauriges Volk. Da hatten die Götter einen schlechten Tag, als sie erschaffen wurden«, sagte er kauend. »Aber noch trauriger ist, dass sie das gesamte Land mit ins Verderben reißen.«

Tungdil nahm den angebotenen Käse und schob ihn sich in den Mund. Inzwischen liebte er den strengen Geschmack geradezu, was er als Zeichen dafür deutete, dass er immer mehr zu einem seines Volkes geworden war.

Boïndil stieß ihm in die Seite, sein Stöckchen deutete auf das seltsame Paar auf der anderen Seite des Lagers. »Schau, er hat seinen Topf immer noch auf dem Kopf«, lachte er. »Er ist bestimmt festgewachsen.«

Boëndal zeigte ein wenig mehr Erfurcht. »Einen solchen Langen habe ich noch nie gesehen«, räumte er ein. »Sicher, ich war noch nicht so oft unter Menschen, aber das ist mit Abstand das größte Exemplar, das mir je begegnet ist. Da kriegt selbst ein Ork Angst.«

»Du meinst, es ist gar kein Mensch? Ein junger Oger vielleicht?«, fürchtete sein Bruder. »In seiner Rüstung könnte alles Mögliche stecken.« Und schon machte er Anstalten, hinüberzugehen und ihn zu fragen. »Wenn das eine Grünhaut oder eine andere Bestie ist, stirbt sie auf der Stelle«, verkündete er. »Und seine Herrin gleich mit. Mir doch egal, ob sie eine Zauberin ist oder nicht, die Langen benötigen sie ja ohnehin nicht mehr.«

Tungdil überlief es siedend heiß. Er traute der Maga durchaus zu, dass sie ein Scheusal Tions an ihrer Seite hatte. Ich muss verhindern, dass er einen Streit vom Zaun bricht. Wenn er den Krieger zum Kampf reizt, wird Andôkai sich auf die Seite Djerůns stellen, und das könnte böse enden.

»Nein, warte, das ist ein Mensch«, beruhigte er den Zwerg mit Nachdruck in der Stimme. »Es gibt Menschen im Geborgenen Land, die so groß werden. Ich habe gelesen, dass sie sich in eigenen Heeren sammeln, vor denen die Orks großen Respekt haben.«

Ihm brach der Schweiß aus, als er Angehörige seines eigenen Volkes anlog, aber schließlich diente es einem guten Zweck.

»Und warum werden sie so groß?« Boïndil ließ nicht locker; er spielte mit seinem Beil und hoffte noch immer einen Grund für einen Streit mit dem Gerüsteten zu finden, damit sie die Kräfte messen konnten.

»Die … Mütter …« Tungdil suchte fieberhaft nach einer Ausrede, die nicht unbedingt logisch sein musste, »binden … die Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt mit ein paar Stricken am Rumpf und an den Beinen … und ziehen sie lang. Das machen sie alle Tage, morgens und abends«, redete er drauf los. »Und es wirkt, wie ihr seht. Sie sind als Kämpfer berühmt. Sie wachsen in den Rüstungen und sind untrennbar mit ihnen verbunden.«

Die Brüder schauten ihn fassungslos an. »So etwas machen Menschen?« Ingrimmsch konnte es nicht fassen. »Ziemlich grausam, oder?«

»So steht es in den Büchern.«

Boëndal ließ den Blick über den eisernen Kämpfer schweifen. »Ich würde zu gern wissen, wie viel er wiegt und wie viel er tragen kann.«