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»Ich wünsche dir viel Glück bei deinem hoffnungslosen Unterfangen und den Segen von Vraccas dazu«, meinte er leichthin, trat auf die Seite und ging an Balendilín vorüber.

Der Berater des Großkönigs schloss kurz die Augen und schluckte. Er hatte so fest mit einem Zweikampf gerechnet, dass er es noch gar nicht fassen konnte, ungeschoren auf die andere Seite der Brücke zu gelangen. Er hörte Bislipur ein Lied pfeifen, das Echo hallte und machte aus den wenigen Tönen einen Kanon.

Wenigstens wusste Balendilín nun, woran er mit ihm war. Erleichtert lief er über den festen Boden des Berges und beeilte sich, zum vereinbarten Treffpunkt mit den Zwergen der Vierten zu gelangen.

Er bog eben um die Ecke des Ganges, als die Erde unter seinen Füßen leicht bebte. Ein Mensch spürte solche Schwingungen nicht, doch sein Volk hatte gelernt, die Bewegungen der Berge zu fühlen. Etwa Schweres kam durch den Tunnel, in dem er stand.

Dann hörte er das Donnern vieler Hufe und aufgeregtes Muhen. Etwas musste die Kühe seines Stammes auf dem Rückweg in die Stallungen in Angst versetzt haben.

Verflucht. Balendilín blickte sich um, entdeckte jedoch nirgends eine Nische, die breit genug gewesen wäre, um darin Schutz vor den Hörnern des Viehs zu suchen. Es gab nur eine Möglichkeit für ihn: Er musste zurück zur Brücke und über die Brüstung auf den schmalen Rand klettern.

Hastig drehte er sich um und rannte los. Er hörte das Rumpeln der Hufe und das Schaben der Hörner an den behauenen Steinwänden, und das Geräusch verlieh ihm zusätzliche Kräfte. Keuchend erreichte er das Ende des Ganges und sah die rettende Brücke; hinter ihm schnaubten die Tiere dicht in seinem Nacken.

Der Zwerg hüpfte aus dem Lauf über die Brüstung auf den äußeren Brückenrand und balancierte sich auf den Steinen aus. Der Schwung drohte ihn nach vorn und damit in die Tiefe kippen zu lassen, doch das Kunststück gelang. Die Herde trampelte hinter seinem Rücken vorbei die Brücke entlang.

Ich danke dir, Vraccas.

Ein lautes Knistern lief durch das Bauwerk. Erste Risse zeigten sich auf der Brüstung, auf der er stand.

Balendilín erinnerte sich, dass die Brücke gewöhnlich nicht dazu diente, die Kühe zu tragen. Sie war für die Zwerge und nicht für deren Vieh errichtet worden. Das tonnenschwere Gewicht der Herde belastete die Konstruktion zu stark; die Schwingungen, die von den Bewegungen der Tiere stammten, wirkten vernichtend.

Die Brücke brach an der dünnsten Stelle in der Mitte an; die Seitenstützen knickten weg und läuteten die nächste Etappe der Katastrophe ein.

Ein vier Schritt langes Stück sackte mitsamt den Tieren, die sich darauf befanden, in den Abgrund. Die Zerstörung nahm von dort ihren Lauf, Stück um Stück brach die Brücke weg. Die Kühe verschwanden in der Tiefe, ihr Muhen wurde leiser und leiser, ohne dass der Zwerg einen Aufschlag vernahm.

Ich muss fort! Balendilín befand sich in großer Gefahr, denn die Bruchkante rückte näher, während hinter ihm die Herde starb und vor ihm die Schwärze lauerte.

Endlich blieb das Vieh stehen, und der Zwerg wagte es, einen Sprung mitten in ihre Reihen zu machen, um auf sicheren Boden zu gelangen.

Doch das Glück war ihm nicht hold. Kaum berührte er den Boden, gab der Fels unter seinen Füßen nach, im Fallen erhaschte er einen hervorstehenden Stein und klammerte sich mit aller Macht daran fest.

Hätte Balendilín einen zweiten Arm besessen, so hätte er sich ohne Schwierigkeiten in die Höhe und auf festen Boden ziehen können; so aber pendelte er über dem Abgrund, unfähig, sich selbst zu helfen und auf Beistand angewiesen. Ewig würden es seine Muskeln und Sehnen nicht aushalten.

»Ho, hört mich jemand?«, rief er laut, um auf sich aufmerksam zu machen. Er baute all seine Hoffnungen darauf, dass die Hirten nach der durchgebrannten Herde schauten. »He, hier bin ich!«

Die Kühe beruhigten sich und antworteten auf sein Schreien mit leisem, einfältigem Muhen. Zwei der Tiere wagten sich bis an die Kante, schnupperten an seiner Hand und leckten sie ab. Ihr Speichel bildete eine kleine Lache und machte den Fels noch rutschiger.

Balendilín dachte, er wöge so viel wie drei ausgewachsene Orks. Sein Arm wurde immer länger und seine Stimme heiser.

Plötzlich bewegten sich die Kühe, denn jemand bahnte sich einen Weg durch ihre Leiber.

»Hierher!«, rief er erleichtert, denn seine Finger drohten abzurutschen. »Ich brauche Hilfe!«

Es raschelte, Staub rieselte von oben auf ihn herab und setzte sich in seinem Bart und den Haaren fest. Der Zwerg schaute in das dunkelgrüne Gesicht des Gnoms, auf dessen stattlicher Nase eine noch stattlichere Warze prangte. Die großen Augen musterten ihn gierig, und die klauenartigen Finger befühlten seinen Arm.

»Da ist er ja!« Swerds Oberkörper lehnte weit über der Kante, dann machte er sich am Gürtel des Zwergs zu schaffen. »Warte kurz, gleich habe ich es«, beruhigte er den Unglücklichen.

Es klickte, die Schnalle löste sich, und zufrieden zog Swerd sich zurück. Er hielt den gestohlenen Geldbeutel und die kostbare Gürtelschließe vor Balendilíns Augen. »So! Jetzt kannst du loslassen«, verkündete er, lachte meckernd und suchte das Weite.

»Warte! Komm zurück!«, brüllte der Zwerg fassungslos. »Du kannst mich doch nicht …« Seine Finger glitten ab. Alles Nachgreifen fruchtete nicht, denn die Lache aus schmierigem Speichel nahm ihm den Halt. Die Tiefe zog ihn zu sich hinab.

Da stieß plötzlich eine Axt von oben herab. Der kurze Stahlsporn bohrte sich in das Ringgeflecht seines Kettenhemds und verhakte sich, dann ging es aufwärts. Sein unbekannter Retter zog ihn mit der Waffe wie an einem Anker über die Kante.

Aufatmend sank er neben seinen vor Anstrengung keuchenden Helfer.

»Gandogar?!« Die Überraschung darüber, dass ausgerechnet der König der Vierten ihn vor dem Tod bewahrt hatte, stand Balendilín deutlich ins Gesicht geschrieben.

»Wir sind Gegenspieler, aber keine Feinde«, erklärte Gandogar mit einem schiefen Lächeln. »Wir sind ein Volk, die Kinder des Schmieds. Unsere Feinde sind die Kreaturen Tions, nicht unsere eigenen Stämme und Clans. Das habe ich über unserem Streit nicht vergessen.« Er stemmte sich in die Höhe und half auch dem Einarmigen aufzustehen. »Was ist geschehen?«

Dankbar ergriff der Zwerg die dargebotene Hand. Der Thronanwärter sprach und handelte voller Aufrichtigkeit, daran zweifelte er nach dieser Großtat keinen Lidschlag mehr. »Die Herde muss ihrem Hirten durchgegangen sein«, schätzte Balendilín.

Mehr wollte er nicht preisgeben. Ehe er Anschuldigungen aussprach, benötigte er sichere Beweise, dass Swerd und damit Bislipur hinter dem Anschlag steckten, der gewiss alles andere als ein Zufall war. Das allzu rasche Auftauchen des Gnoms hatte ihn davon überzeugt, dass Gandogars Mentor es auf sein Leben abgesehen hatte, denn Swerd tat wiederum nichts ohne das Geheiß seines Herrn.

»Ich verdanke dir mein Leben«, sagte er ernst. »Ich werde in unserem Streit um den Krieg gegen die Elben genauso unnachgiebig sein wie zuvor, aber ich stehe zutiefst in deiner Schuld.«

»Etwas anderes habe ich nicht von dir erwartet«, antwortete Gandogar freundlich. »Du hättest in der gleichen Lage dasselbe für mich getan.«

»Sei dir da nicht allzu sicher«, gab Balendilín schmunzelnd zurück. »Ich hätte schließlich eine sehr gute Ausrede gehabt, dir nicht beizustehen.«

»So?«

»Wie sollte ich dich hochziehen, mit nur einem Arm?«, lachte der Zwerg, und der König stimmte nach kurzem Stutzen mit ein. Balendilín bedauerte es sehr, dass sie unterschiedlicher Meinung waren. Sonst, das sagte ihm sein Gefühl, wäre Gandogar genau der richtige Thronfolger.

Als er in seine Unterkunft zurückkehrte, war er sich sicher, von Anfang an in eine Falle gelaufen zu sein. Die Vierten, die sich mit ihm treffen wollten, gab es nicht.

Dafür lagen seine Gürtelschnalle und sein Geldbeutel vor der Tür. Offenbar hatte sich der Gnom eines Besseren besonnen, um keinen Beweis seiner schändlichen Tat zu liefern. Balendilín nahm seine Sachen an sich. Noch einmal wird es euch nicht gelingen.