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»Deine wohl gewählten Worte ehren dich, Tungdil, aber du hattest niemals einen Anspruch«, eröffnete Gundrabur ihm. »Die Geschichte über deine Abstammung ist von uns erfunden worden. Wir baten Lot-Ionan unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dieses Spiel mitzumachen. Wir wissen nicht mal, ob du ein Vierter bist.«

Die Nachricht traf Tungdil bis ins Mark. »Weshalb … habt Ihr mich dann rufen und den ganzen weiten Weg gehen lassen?«

»Es war gut, oder etwa nicht? So erhielten wir die Gelegenheit, womöglich etwas gegen das Tote Land zu unternehmen«, erwiderte Balendilín. »Andernfalls lägst du nun von Orks erschlagen in Grünhain.«

»Sicher, aber …« Er suchte nach Worten. »Die Gesandten, die Versammlung der Stämme und Clans, das lange Warten, bis ich endlich eintreffe … und dann besitze ich nicht einmal einen Anspruch?«

Er fühlte sich, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Nachdem er sich nach all den Strapazen und schrecklichen Erlebnissen endlich zu Hause fühlte, stieß man ihn wieder in die Ungewissheit zurück.

»Du musst uns verstehen. Wenn der neue Großkönig Gandogar heißt, wird er gegen die Elben ziehen«, erklärte Gundrabur. »Eben das wollen wir verhindern, indem wir seine Wahl so lange wie möglich verzögern, um den Rat gegen einen solchen Krieg einzuschwören. Wir erhielten den Brief des Magus und erfanden eine Geschichte, um dich und deine scheinbar edle Abstammung als Grund für das Warten anzugeben.«

»Wir hofften, in der Zwischenzeit einen Ausweg zu finden – eine Gesetzespassage oder etwas in der Art«, fuhr Balendilín fort. »Diese Schlacht bringt niemandem etwas, aber keiner möchte es einsehen und verstehen. Wir betrügen nur aus einem einzigen Anliegen heraus wie die Kobolde: um möglichen Schaden für unser Volk abzuwenden.«

Tungdil verzichtete auf eine Antwort, weil nur Gift und böse Worte über seine Zunge gekommen wären. Er goss sich Bier nach und leerte den Becher in einem Zug. »Hattet ihr wenigstens Erfolg?«

»Nein. Das heißt, nur zur Hälfte«, gestand der Großkönig. »Daher wollten wir dich bitten, an unserer Verschwörung teilzuhaben und dich dennoch gegen Gandogar zur Wahl zu stellen.«

»Wieso?« Tungdil zuckte mit den Schultern. »Ich würde nicht bestehen.«

»Ganz recht. Aber ich kann«, hob Gundrabur zu einer weiteren Erklärung an, »den neuen Anwärter gegen die Stimmen des Rates ablehnen, wenn ich der Meinung bin, dass mein Nachfolger nichts taugt.«

»Und dann? Du richtest einen Bruderkrieg an«, schätzte Tungdil. »Ist das besser, als gegen die Spitzohren zu ziehen?«

»Dazu wird es nicht kommen. Unsere Ahnen haben ein Gesetz erlassen, das es dem Anwärter erlaubt, in einem Zweikampf gegen den Mitbewerber anzutreten. Dazu benötigt der zweite Anwärter die Unterstützung eines Teils der Clans«, führte Balendilín aus. »Ich habe in den letzten Wochen ungefähr ein Drittel der Stammesabgesandten für unsere friedliche Sache gewinnen können. Das reicht aus.«

»Und dann teilt Gandogar mich in der Mitte entzwei?«, brummte Tungdil missmutig. »Ich verstehe noch immer nicht, was das unserem Volk bringt.«

Die beiden Zwerge wechselten einen schnellen Blick.

»Du musst schwören, dass du niemandem etwas davon berichtest«, verlangte Balendilín mit ernstem Gesicht. Tungdil tat, wie ihm geheißen. »Wir suchen in der Zwischenzeit einen Weg, Bislipur und Swerd aus Gandogars Kreis zu entfernen«, eröffnete er ihm. »Bislipur ist besessen von dem Gedanken, die Elben zu vernichten, und hat ihn auf seinen Schützling übertragen. Von morgens bis abends flüstert er es ihm ein, sodass Gandogar keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen kann.« Balendilín schaute grimmig drein. »Ich weiß, dass er versucht hat, mich umzubringen, aber beweisen kann ich es nicht. Noch nicht.«

»Und wenn es dir gelingt, wird man Gandogar dann von seinem Vorhaben abbringen können?«, fragte Tungdil zweifelnd.

»Wir öffnen ihm die Augen, damit er die Niedertracht seines scheinbaren Freundes und die Falschheit seiner Ratschläge erkennt. Gandogar ist kein schlechter Zwerg, er hat nur den falschen Berater«, erwiderte Balendilín. »Aber ich brauche Zeit – die du uns mit deinem Koboldtheater verschaffen kannst.« Er schaute dem Zwerg fest in die Augen.

»Du leistest deinem Volk einen Dienst, dessen Wert es erst später erkennen wird«, meinte Gundrabur. »In den Geschichtsbüchern wird geschrieben stehen, dass Tungdil, ein verlorener Zwerg, wie aus dem Stein gemeißelt erschien, um die Kinder des Schmieds vor der Zwietracht und dem Untergang durch die eigene Hand zu bewahren.«

»Ich bin bereit«, beteuerte Tungdil. »Aber ich werde all eure Unterstützung benötigen.«

»Sie ist dir sicher, mein lieber Tungdil. Ehrenvoller als du kann niemand handeln«, pries ihn Balendilín. »Verzeih, dass wir dir keine Ruhe gönnten und dich erst zu uns bestellten, aber die Klärung dieses Sachverhaltes hatte Vorrang vor allem anderen. Ruhe dich nun aus! Einen Tag räumen wir dir ein, damit du dich erholst. Danach wartet der Rat auf dich, um deinen Anspruch zu prüfen.« Der Einarmige lächelte ihm aufmunternd zu.

»Verschaffe uns Zeit, Tungdil«, verabschiedete ihn der Großkönig, »damit wir in eine bessere Zukunft ohne Bislipur gehen können.« Er nahm den Zeremonienhammer und hielt ihn dem Zwerg entgegen. »Schwöre auf diesen Hammer, mit dem uns Vraccas erschuf, dass du niemandem etwas darüber erzählst!«

Tungdil kam der Aufforderung nach und wandte sich zum Gehen. Als er die Versammlungshalle verließ, warteten Andôkai und Djerůn immer noch auf ihn.

»Man hat uns angeboten, ein wenig zu bleiben«, erklärte sie mit gleichgültiger Miene. »Das kommt mir sehr gelegen. Die letzten Reisetage mit dir waren sehr anstrengend.«

»Mir erging es ähnlich«, meinte Tungdil grinsend und ließ sie darüber im Unklaren, ob sich seine Anmerkung auf sie oder die Ereignisse bezog.

Ein Zwerg führte sie zu ihren Gemächern. Der Weg dorthin brachte den Thronanwärter zum Staunen. Die Steinmetzen hatten die Wände mit enormer Akribie bearbeitet, Landschaften aus dem Stein gehauen und Worte eingemeißelt. Zwergische Schmucksymbole waren mit Edelmetallen ausgelegt, die golden, silbern, rot und gelb schimmerten.

Noch etwas fiel ihm auf. Die Treppen, die er kannte, waren rechteckig, glatt, einfach.

Hier nicht. Keine Stufe glich der anderen. Ornamente zierten die Trittflächen, die senkrechten Teile dazwischen trugen in den Stein getriebene Silben.

Zuerst verstand er den Sinn nicht, doch als er die Buchstaben beim Erklimmen zusammensetzte, ergab sich am Ende einer jeden Treppe daraus eine Geschichte. Auf diese Weise versüßten sich die Zweiten das anstrengende Treppensteigen. Tungdil bemerkte am neugierigen Ausdruck in Andôkais Augen, dass sie es ebenfalls bemerkt hatte und mitlas.

Es handelte sich um Abenteuer aus der glorreichen Zeit seines Volkes, eines glorreicher als das andere. Tungdil freute sich über jede Stiege, bis sie vor ihren Unterkünften angelangten.

Die Maga verschwand so schnell in ihrem Zimmer, dass er sie nicht mehr nach den Büchern fragen konnte. Womöglich hatte sie darin etwas entdeckt oder war einer Lösung auf der Spur, anders konnte er sich ihren Stimmungswandel nicht erklären.

Vielleicht erwirkt Gundrabur bei ihr mehr als ich, hoffte er und betrat müde seine Kammer.

»Es ist schön, wenn man unter Freunden ist. Da muss man sein Zimmer nicht abschließen«, wurde Tungdil von einer dunklen Stimme geweckt.

Verschlafen richtete er sich in seinem Bett auf und erkannte Bislipur, der unmittelbar neben seinem Lager stand.

»Guten Morgen, Tungdil«, grüßte er ihn nicht unbedingt freundlich. »Wir werden uns später noch einmal im Rat gegenüberstehen, doch ich dachte mir, es wäre eine gute Idee, wenn wir uns vorher ein wenig unterhielten. Siehst du das anders?«

»Es kommt ein wenig unvermittelt«, räumte der Zwerg ein, dem das unangemeldete Eindringen von Gandogars Berater nicht passte. Wenn er genauer darüber nachdachte, war es sogar äußerst unverschämt. Die anfänglich verspürte Sympathie für einen Zwergenbruder, die er sich trotz der Anfeindung im Thronsaal bewahrt hatte, schwand zusehends.