»Es wird viele Umläufe benötigen, bis wir Gewissheit erlangen«, begehrte Bislipur weiterhin gegen die Entscheidung auf.
»Nicht mit den Tunneln. Ich beeile mich«, versprach Tungdil höflich und erntete wieder Lacher. »Und nun entschuldigt mich, ich muss mir Gedanken über meine Reisegefährten machen, um so bald wie möglich aufzubrechen«, verabschiedete er sich. Der Zwerg winkte Boïndil und Boëndal zu, damit sie ihn begleiteten. »Ich würde mich sehr freuen, wenn ich auf euer Können vertrauen dürfte«, warb er sie an. »Ihr habt mich in einem Stück in die Festung gebracht. Nun geleitet mich heil in das Graue Gebirge und wieder zurück.«
»Ho, hörst du, Bruder? Der Gelehrte hat wieder gesprochen.« Ingrimmsch lachte polternd. »Es wird uns eine Ehre sein«, stimmte er dann zu. »Aber nur, wenn du unterwegs nicht so geschwollen daherredest. Ich muss noch einen Makel ausmerzen, der meiner Ehre seit der Oase anhaftet«, fügte er leise und weniger ausgelassen hinzu.
Tungdil legte ihm und seinem Bruder die Hände auf die Schultern. »Keine Sorge, Boïndil. Ich bin mir sicher, dass du mich unterwegs mehr als einmal retten musst.«
Der Zwerg grinste, doch sein Bruder nickte nur. »Übrigens, du hast dir heute einen Namen gegeben.« Boëndal deutete auf die schimmernde Schicht, die sich mit der Haut verbunden hatte. »Tungdil Goldhand. Was hältst du davon?«
»Goldhand«, wiederholte Tungdil und betrachtete seine Rechte. »Ja, ich denke, das gefällt mir.« Tungdil bemühte sich, trotz der Schmerzen zu lächeln. Goldhand. Ein echter Zwergenname.
Der Rat hatte sich aufgelöst, und auch Bislipur und Gandogar waren hinausgestürmt, um eilig Vorbereitungen zu treffen. Letztlich blieben Balendilín und der Großkönig allein in der weitläufigen Halle zurück.
»Hast du ihm das geraten?«, fragte Gundrabur und griff nach der Tabakspfeife.
Sein Berater lachte leise. »Nein, gewiss nicht. So ein wahnwitziger Einfall wäre mir nicht einmal im schlimmsten Albtraum eingefallen. Dieser Zwerg muss uns von Vraccas selbst geschickt worden sein.« Er stieg die Stufen zum Thron hinauf und trat an die Seite des obersten Herrschers. »Tungdil hat wirklich das Zeug zu einem Großkönig. Sein Einfallsreichtum ist pures Gold wert.«
»Seine Entscheidung war weise«, stimmte ihm der betagte Zwerg zu. »Egal, wer von beiden zurückkehrt, unser Volk und das Geborgene Land werden die Gewinner sein. Und wir beide sorgen dafür, dass sich in der Zwischenzeit nichts Unerfreuliches in unserem Reich ereignet, alter Freund.«
»Du weißt, dass du deine Lebensesse noch länger am Lodern halten musst«, meinte Balendilín besogt.
Ächzend stemmte sich Gundrabur aus dem Thron hoch und klemmte sich die Pfeife zwischen die Zähne. »Vraccas wird ein Einsehen haben und seinen Hammer etwas später gegen mich schwingen«, gab er sich zuversichtlich und zog sich zurück.
Der Berater schaute dem Großkönig hinterher. Dann nahm er zu Füßen des Herrschersessels Platz, um den Inhalt des Lederbeutels durchzusehen und den Zettel zu suchen, den Bislipur zuerst herausgezogen hatte. Balendilín wusste ganz genau, welches Papier es gewesen war, weil es an der oberen Seite einen kleinen Knick aufwies. Doch als er das Verhalten Bislipurs beim Anblick des zweiten Zettels bemerkt hatte, hatte er lieber geschwiegen.
Zu Recht, wie er beim Lesen der eigentlichen Aufgabe feststellte. Hätten sich dessen Finger nicht aus Versehen geöffnet, müsste Tungdil im Edelsteinschleifen gegen Gandogar antreten, anstatt auf Reisen zu gehen. Darin wäre er sicherlich gescheitert, und der Thron des Großkönigs wäre an Gandogar gegangen.
Als er die anderen Papiere auseinander faltete, musste er laut lachen. Gandogar hatte das Diamantschleifen viermal als Prüfung notiert, und genauso oft hatte Tungdil die Expedition ins Graue Gebirge aufgeschrieben.
Ein Hoch auf Bislipurs zitternde Hände!, lächelte er erleichtert.
XI
Im Zuge seiner Reisevorbereitungen bat Tungdil den Berater des Großkönigs, ihm den besten Steinmetz aus den Clans der Zweiten auszusuchen. Balendilín versprach, eine Vorauswahl zu treffen und ihm die Favoriten vorbeizuschicken, aber die letztendliche Entscheidung wollte er ihm überlassen. Nicht lange darauf trat ein einäugiger Zwerg in seine Kammer.
Erstaunt hob Tungdil den Kopf. »Balendilín hat streng ausgewählt, wie ich sehe«, begrüßte er den Steinmetz. »So streng, dass etwa nur einer übrig blieb?«
»Ich bin Bavragor Hammerfaust aus dem Clan der Hammerfäuste und seit mehr als zweihundert Sonnenzyklen Meister des Steins«, stellte der Zwerg sich vor. Seine Hände waren so breit wie Tatzen und erinnerten den Thronanwärter an Balendilíns. Sein schwarzer Bart war am Kinn und an den Seiten kunstvoll ausrasiert, die schwarzen Haare lagen offen auf den Schultern. »Keiner reicht an mein Können heran. Mein rechtes Auge, mit dem ich jeden noch so geringen Makel im Fels und an der Arbeit entdecke, sieht schärfer als zwei Paar zusammen.«
Tungdil erklärte ihm, dass von ihm erwartet wurde, die granitenen Widerhaken für eine Axt zu fertigen. Weil die Waffe aber nicht hier, sondern im Grauen Gebirge entstand, könnte er die Teile erst dort anpassen. »Das heißt, du musst mich ins Tote Land begleiten. Was wir unterwegs alles erleben werden, das wissen nur die Götter«, beendete Tungdil seine knappe Einweisung in die Expedition. Er blickte dem Steinmetz tief ins Auge und bemerkte, dass das Braun am Rand in dunkles Rot überging. Seltsam.
»Mir soll es recht sein. Ich bin an deiner Seite«, erwiderte Hammerfaust und reckte ihm die Rechte entgegen. »Deine Hand und dein Wort drauf, dass ich dich aus dem Stamm der Zweiten begleite und kein anderer.« Der Thronanwärter schlug ein, Bavragor grinste, und Tungdil meinte, eine gewisse Erleichterung zu erkennen. »Wann geht’s los?«
»Übermorgen, sobald ich mir einen Diamantschleifer aus den Clans der Vierten ausgesucht habe«, antwortete er.
»Dann suche ich meine besten Werkzeuge aus, damit die Geburt der Feuerklinge gelingt«, erwiderte Bavragor und verschwand zur Tür hinaus.
Tungdil fand den kurzen Auftritt seines angeheuerten Steinmetzen zwar ein wenig merkwürdig, verschwendete jedoch keinen weiteren Gedanken mehr darauf, weil er sich auf das Gespräch mit Gandogar vorbereiten musste.
Da sich wohl keiner der Vierten freiwillig auf seine Seite schlüge, wollte er sich an ihn wenden, damit er einen aus den Reihen seiner Clans abstellte. Viel konnte dabei nicht schief gehen, denn die Abordnung bestand nur aus den Besten, so wie es Brauch und Sitte war.
Tungdils Stolz rebellierte zwar gegen den Bittgang, der ihm bevorstand, doch er rief sich entschlossen ins Gedächtnis, dass es um das Geborgene Land und nicht um seine Eitelkeit ging.
Als er auf den Felsengang trat, kamen ihm vier Zwerge entgegen, die ihn offensichtlich suchten. Sie stellten sich der Reihe nach vor. »Balendilín sendet uns, damit du einen von uns auswählst«, erklärte ihm einer.
Tungdil schaute verwundert in die bärtigen Gesichter, die ihn erwartungsvoll ansahen. »Meine Wahl ist bereits getroffen«, erklärte er ihnen und bedauerte, so voreilig gehandelt zu haben. Bavragors Verhalten hatte ihn annehmen lassen, es käme nur einer für die Aufgabe infrage. »Ich habe Bavragor Hammerfaust ausgesucht.«
»Hammerfaust? Den singenden Säufer? Der die Steine mit seiner Stimme und seiner Bierfahne zum Erweichen bringt, den hast du genommen?«, platzte es voller Entsetzen aus einem Zwerg heraus.
»Er war schneller als ihr.«
»Er kam nicht einmal in die engere Wahl des Beraters! Du musst ihn entlassen! Er versucht schon seit Zyklen, sein Leben durchs Saufen zu verkürzen«, beschwor er Tungdil. »Seine Finger sind nur ruhig, wenn er vier Humpen intus hat.«
»Es geht nicht! Ich gab ihm mein Wort und meine Hand darauf.« Tungdil wurde rot; sein Zorn wuchs, da Bavragor ihn offensichtlich hereingelegt hatte. Ich werde ihn fragen, ob er mich von meinen Eid entbindet.