»Ich habe deine Rede mit Freude vernommen, denn ich bin ebenso ehrlich wie du und fürchte die Wahrheit nicht«, antwortete er freundlich. »Warten wir ab, wer von den beiden als Sieger aus dem Grauen Gebirge zurückkehrt. Und ich werde prüfen, wie es sich mit dem Wahrheitsgehalt deiner Worte verhält und ob die Elben einst wirklich Verrat an den Fünften begingen. Sollten die Zeilen, die du vorgelegt hast, eine Fälschung sein, so weiß ich, wer sie niederschrieb.« Er nickte knapp und verließ die Halle.
Bislipur setzte sich und schaute zu, wie der Einarmige durch das Tor schritt und verschwand. »Und im Gegensatz zu dir weiß ich, wer bald auf dem Thron sitzen wird«, murmelte er.
Die Posse um den falschen Vierten bremste seine hochfliegenden Pläne, aber ans Aufgeben dachte der Zwerg noch lange nicht. Dafür habe ich in den vergangenen Zyklen zu sehr an den Vorbereitungen gefeilt. Der Krieg gegen die Elben wird stattfinden!
Doch selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich die Kinder des Schmiedes plötzlich anders besonnen, hielt er einen Plan in der Hinterhand.
Bislipur drehte sich um, um sich etwas zu essen zu holen. Als er sich Schinken abschnitt und das rote Fleisch mit den feinen, weißen Maserungen darin betrachtete, hatte er eine Eingebung. Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde. So war es schon immer.
Tungdil hatte in aller Eile die wichtigsten Dinge zusammengepackt und trabte den Weg entlang, der ihn zu den Loren führte. Er hatte Balendilín und Gundrabur rasch zukommen lassen, welches Geheimnis sich im Schwarzjoch verbarg, damit sie die anderen Clanzwerge einweihten und das Geheimnis allen zuteil wurde.
Als er an seinem Ziel angelangte, empfingen ihn die anderen vier Zwerge mit elbenlangen Gesichtern. Die Luft des großen Raums war feucht und heiß, und Schweiß trat ihm aus allen Poren.
»Jemand hat Vorsorge getroffen, dass uns der Aufbruch möglichst erschwert wird«, eröffnete ihm Boëndal mit finsterer Miene. »Sieh nur.«
Die Eisenschiene, die als Abfahrtsrampe ins Reich der Ersten führte, war verbogen und teilweise aus der Verankerung gerissen. Die Schwüle kam vom Dampf, der aus den durchlöcherten Wasserkesseln austrat. Selbst wenn es ihnen gelänge, die Trasse notdürftig zu reparieren, fehlte ihnen die Möglichkeit, die schweren Loren zu bewegen.
»Scheint so, als wollte Gandogar nicht, dass der Bessere gewinnt«, sagte Boëndal gereizt. »Es ist ein gutes Zeichen, dass er Angst vor dir hat.«
»Auf solche Zeichen kann ich verzichten. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob wirklich Gandogar diese Zerstörung angerichtet hat«, entgegnete Tungdil nachdenklich, während er sich bückte und die Eisenschiene eingehend betrachtete. Jemand hatte sie mithilfe des Flaschenzugs an der Decke aus der Halterung gezogen. »Bislipur wird sich für seinen Zögling ein wenig nützlich gemacht haben, schätze ich.« Was mache ich jetzt?
Goïmgar stand abseits und tat so, als ginge all dies ihn gar nichts an. Bavragor lehnte an einem beschädigten Kessel und nahm einen Schluck aus einem Trinkschlauch. Zufrieden schmatzte er, verschloss die Öffnung mit einem Korken und näherte sich, um die Schäden zu betrachten.
»Wir tauschen die Schienen einfach aus«, sagte er beschwingt und deutete auf das Nebengleis, wo die Loren aus dem Reich der Ersten ankommen sollten.
»Du hast getrunken«, stellte Boëndal vorwurfsvoll fest.
»Ja, und? Du hast gegessen, das ist für mich das Gleiche«, antwortete er ihm knapp und ohne den Zwerg anzuschauen. Seine breiten, schwieligen Hände klopften gegen das Eisen. »Wenn wir einen unserer Schmiede holen, sollte er die Bänder lösen können.« Sein rechtes Auge schweifte über die zerstörten Kessel. »Und darum kümmert sich der Kesselflicker, der in der Handelsstation lebt. Nicht, dass unser Stamm es nicht hinbekäme, aber er wird mehr Ahnung davon haben. Die Zwerginnen, die das Bier brauen, sollen auch herkommen. Sie kennen sich mit Kesseln gut aus.«
Tungdil staunte den Einäugigen an, der plötzlich vor Selbstbewusstsein und Tatendrang nur so strotzte. Der Wankelmut, von dem Balendilín gesprochen hatte, traf den Zustand des Steinmetzen sehr genau. »Das sind gute Vorschläge, Bavragor«, lobte er ihn.
»Ich weiß.« Grinsend erhob sich der Steinmetz und gönnte sich einen weiteren Schluck.
Tatsächlich gelang es den Bierbrauerinnen und dem Kesselflicker mitsamt seinen Gehilfen, die Gefäße abzudichten, damit sie wenigstens für kurze Zeit dem Druck des Dampfes Stand hielten.
Es kostete sie jedoch zwei weitere Sonnenumläufe, bis alles zur Abfahrt vorbereitet war. Die Kessel wurden mit Wasser gefüllt und befeuert, die Zahnräder bewegten sich artig und der Flaschenzug verrichtete die von ihm erwartete Arbeit. Am Nachmittag des dritten Umlaufs stand ihre Lore endlich auf der neuen Schiene und war für die Fahrt ins Ungewisse bereit.
Tungdil und Ingrimmsch saßen vorne, danach folgten Bavragor und Goïmgar, und die hintere Bank besetzte Boëndal. Ihr Gepäck, angefangen vom Proviant bis zu den Rohmaterialien, die sie für die Feuerklinge benötigten, verteilten sie gleichmäßig zu ihren Füßen.
Tungdil wandte sich zu den anderen um und schaute seinen Begleitern ins Gesicht. Keiner von ihnen wusste, was sie nach der steilen Abwärtsfahrt erwartete oder wie weit Gandogar inzwischen nach Westen vorgedrungen war. Entsprechend ernst waren die Gesichter seiner Gefährten.
»Unser Leben ist in Vraccas’ Hand«, sagte er, bevor er sich wieder umdrehte, die Augen fest auf die Flügeltüren geheftet. Seine Linke legte sich auf den Hebel neben der Schiene. Tungdil zog den Griff nach hinten, die Portale klappten auf und gaben den Weg in die Finsternis frei.
»Lasst uns das Geborgene Land retten.« Tungdil löste die Bremsen der Lore, das Vehikel rollte sachte die abschüssige Rampe hinab und hielt auf den Schlund zu.
»Was ist, wenn Gandogar die Schienen verbogen hat?«, fragte Goïmgar furchtsam. »Oder wir zu schwer sind und entgleisen?«
»Dann werden wir es merken«, lachte Boïndil, der mit einem irren Funkeln in den Augen auf die Schussfahrt wartete. »Hussa, das wird ein Spaß!«
Die Lore legte an Fahrt zu und erreichte die Stelle, an der die Trasse nach unten schwenkte. Langsam neigte sich der Karren nach vorne, die Passagiere hielten sich an den Griffen fest, und dann rauschte das Gefährt rumpelnd in die Tiefe.
Ingrimmsch stieß einen wilden Jauchzer aus. Boëndal klammerte sich stumm an den Sitz, Bavragor stimmte ein munteres Lied an, Goïmgar betete laut zu Vraccas, und Tungdil wunderte sich, welch ein Haufen Verrückter ihn begleitete.
XII
Der Fahrtwind wehte den Zwergen ins Gesicht und wirbelte ihnen die langen Bärte und Haare über die Schulter, während die Lore dröhnend die Gleise entlangdonnerte und mit Schwung abwärts ratterte. Die Geschwindigkeit presste die Zwerge hart in die Sitze, Tungdil fühlte Kräfte auf sich wirken, wie er sie in seinem ganzen Leben nicht verspürt hatte.
Bavragor hatte aufgehört zu singen, nachdem ihm etwas Kleines in den Mund geflogen war und er es aus Versehen hinuntergeschluckt hatte; nur Boïndil jauchzte immer noch und genoss es, wie ihm die Luft durch den Magen schoss.
Goïmgar hielt die Augen fest geschlossen und betete halblaut zu Vraccas, auf dass er sie behüte und bewahre. Offenbar traute er seinem König durchaus Gemeinheiten zu, sonst hätte er sich nicht derart gefürchtet.
Die akkurat herausgemeißelten Steinwände flogen nur so an ihnen vorbei; ihnen blieb nicht einmal genügend Zeit, sie genauer zu betrachten. Bald weitete sich der Tunnel, sodass die Lore nun quer durch den Gang gepasst hätte.
»Sei still, Boïndil!«, herrschte Boëndal seinen Bruder an. »Du raubst mir mein Trommelfell, weil der Wind deine Stimme doppelt so laut nach hinten trägt.«
Ingrimmsch lachte übermütig. »Das nenne ich eine Fahrt! Ein Pony ist eine Schnecke gegen dieses Ding«, rief er lauthals. »Unsere Ahnen wussten, wie man schnell reist.«