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Doch es gab Wichtigeres zu tun. Er blickte sich um und besah den Tunnel, der hier endete und von einem Einsturz verschlossen wurde. Ihre Materialien, die sie für die Feuerklinge benötigten, lagen überall verstreut. Er rief Bavragor zu sich. »Sieht das nach einem alten oder einem neuen Einsturz aus?«

Der Einäugige musterte die Brocken, kletterte auf ihnen herum, fuhr mit den Fingern prüfend über die Kanten, bis er zu ihm zurückkehrte. »Er ist neu. Ich sehe es an den glänzenden Bruchstellen, der Staub auf den Steinen stammt von der Decke, nicht von der langen Liegezeit.« Er wackelte an der vollkommen verbogenen Seitenwand der Lore. »Wenn unser Gefährt nicht gebockt hätte, wären wir ungebremst gegen den Haufen gefahren.«

»Hat jemand dafür gesorgt, dass der Stollen einbricht?«

Bavragor wischte sich den Staub aus dem Auge. »Kann ich nicht sagen, aber möglich wäre es.« Er legte liebevoll eine Hand an die Wand. »Ausgerechnet jetzt, nach all den Zyklen, soll der Tunnel einbrechen? Das glaube ich nicht.«

»Es war sicher dein Gesang«, meinte Goïmgar rechthaberisch. »Dein Gesang und die Schreierei des Verrückten.«

»Oder du hast die Steine mit deinem Gejammer erweicht«, konterte der Steinmetz.

»Oder sie haben sich wegen deiner Statur kaputtgelacht«, setzte Boïndil eins obendrauf, weil er Bavragor in nichts nachstehen wollte.

Ehe Goïmgar etwas erwidern konnte, wies Tungdil sie an, die Schätze einzusammeln und sie mit Steinbrocken abzudecken. »Wir klettern an die Oberfläche«, verkündete er seinen Entschluss.

»Nicht weit von hier ist ein Ausstieg, dort verlassen wir den Tunnel, suchen uns einen Hof oder eine Stadt und kaufen uns ein Pony.« Er faltete die Karte auseinander. »Da wäre der nächste Einstieg. Es sind achtzig Meilen bis dorthin.«

»Dann muss dort nur ein Vehikel auf uns warten, Gelehrter«, hoffte Boëndal. »Und wenn nicht?«

»Kaufen wir uns noch mehr Ponys und reiten die restlichen zweihundert Meilen.« Tungdil rollte die Karte zusammen und half mit, die schweren Barren aus Edelmetall auf einen Haufen zu tragen. Nur das Stück Holz nahm er an sich.

Sein Blick fiel auf seine vier Begleiter. Mit ihrer Streiterei ist es keinen Deut besser geworden. Ich muss dafür sorgen, dass der Zusammenhalt wächst, sonst zerbricht die Gruppe. Vraccas, gib mir Kraft.

Nach einem kurzen Dankesgebet an Vraccas, der ihnen das Leben bewahrt hatte, marschierten sie durch die Röhre, bis sie an eine schmale Treppe gelangten, die im Zickzack steil nach oben führte.

»Wo sind wir eigentlich?«, wollte Goïmgar wissen, ehe er Bavragor folgte.

»Laut der Landkarte in Oremaira, dem Land der Hüterin«, antwortete Tungdil. »Oder besser gesagt in dem, was Nôd’onn daraus gemacht hat.«

»Magusland«, meinte Boïndil verdrossen, die Hände an die Griffe seiner Beile gelegt. »Hoffentlich schickt er uns ein paar Schweineschnauzen, die wir zerlegen können. Aber auf seinen verdammten Hokuspokus kann ich gern verzichten.«

Stumm pflichteten ihm die anderen vier Zwerge bei.

Die fünf Zwerge hielten ihre Waffen bereit, als sie nach einem langen, schweißtreibenden Aufstieg eine runenverzierte Tür öffneten, die sie ins Freie führen sollte.

Sie gelangten in eine Höhle, die vier Schritt hoch und sieben Schritt breit war. Das Tosen eines Wasserfalls begrüßte sie. Wassermassen schossen an der Öffnung der Höhle vorbei und stürzten brausend in die Tiefe; die Gischt wusch ihnen den Staub von den Kettenhemden, Helmen und Kleidern. Trübes Tageslicht fiel von oben herein und malte helle Flecken auf den feuchten Boden.

»Ich hasse das«, brüllte Boïndil gegen das Brausen des Wasserfalls an. »Wenn ich mich waschen will, tue ich das selbst.«

»Ja, wenn«, schrie sein Bruder zurück.

Sie fanden einen schmalen Weg, der hinter dem Vorhang aus Wasser verlief und zu einem Felsplateau führte. Ein guter Aussichtspunkt, dachte Tungdil.

»Geht«, wies er die anderen an. »Wir wollen sehen, wo wir gelandet sind.«

Behutsam schritten sie voran, um auf dem schlüpfrigen Stein nicht auszugleiten. Einer nach dem anderen trat durch die Wassermassen und erhielt eine unfreiwillige Waschung, Goïmgar wäre sogar beinahe umgeworfen worden.

Es musste um die Mittagszeit sein. Die Herbstsonne zauberte einen Regenbogen in die Wasserschleier, die Luft war frisch und feucht. Sie erreichten die steinerne Hochebene, die vor ihren Füßen fünfzig Schritt steil nach unten abfiel. Die Spitzen dunkler Tannen, Kiefern und Fichten reckten sich ihnen wie Speere entgegen. Die aufziehenden grauen Wolken verhießen einen baldigen Regenguss.

Weit entfernt am westlichen Horizont glitzerte es. Dort lag ein großer See, während sie in Richtung Norden Häuser und Mauern einer Menschenstadt erkannten, die fast bis an den Wald grenzte und ansonsten von abgeernteten Feldern umgeben war.

Um dorthin zu gelangen, reicht uns ein Sonnenumlauf. »Vraccas war mit uns«, freute sich Tungdil über die gute Ausgangslage. »Wir werden unser Pony schon bald haben.«

»Eine Stadt voller Langer«, sagte Goïmgar wenig begeistert. »Ob sie uns leiden können?«

»Hör auf zu jammern, sonst bricht uns noch der Fels unter den Füßen zusammen«, schnauzte ihn Ingrimmsch an. »Die Langen sind lang, mehr nicht. Wir werden schon mit ihnen fertig.«

»Ihr werdet mir das Reden überlassen«, wies Tungdil sie voller böser Vorahnungen an. »Ich kenne die Menschen am besten von euch allen.«

Die anderen nickten zustimmend. Gemeinsam machten sie sich auf die Suche nach einem Abstieg und fanden einen schmalen Pfad, der sie durch den dichten Forst führte.

Der Sonnenschein wurde von den Kronen der Nadelbäume gedämpft. Ein leichter herbstlicher Nebel hing zwischen den Stämmen; in Höhe der Oberschenkel war er sogar undurchdringlich dicht und wirkte wie milchiges Wasser. Das Zwielicht erleichterte es den Zwergen, sich an die Helligkeit zu gewöhnen.

»Das sind also die Wälder, in denen Maira den Einhörnern eine Zuflucht vor der Verfolgung gewährt«, sagte Tungdil begeistert, das aus Büchern Bekannte mit eigenen Augen zu sehen. »Wenn wir Glück haben, begegnen wir ihnen vielleicht.«

»Und was soll ich dann mit ihnen?«, meinte Boïndil ratlos. »Reiten bestimmt nicht.«

»Anschauen. Es gibt nicht mehr viele von ihnen, seit sie von den Albae gejagt wurden.«

»Muss es in einem Wald denn so ruhig wie in einem verlassenen Stollen sein?«, fragte Bavragor. »Ich könnte ein Lied singen, damit die Viecher wissen, dass wir hier sind, und sie herkommen, um sich betrachten zu lassen.«

»Einhörner sind scheue Tiere. Gesang …«

»… sein Gesang, Gelehrter«, verbesserte Boëndal leise.

»… hilft da nicht. Angeblich nähern sie sich nur Jungfrauen«, belehrte ihn Tungdil.

»Nun, wer käme da wohl infrage, um als Lockvogel zu dienen?«, sinnierte Bavragor, und Tungdil wurde rot, ohne dass er es verhindern konnte.

Plötzlich stolperte Boïndil über etwas am Boden, das der Dunstschleier vor seinen Augen verbarg.

»Nanu?«, wunderte er sich und drückte mit einem seiner Beile vorsichtig auf den weichen Gegenstand, der weiterhin unsichtbar blieb. Die Klinge färbte sich hellrot. »Deinen Schild«, verlangte er von Goïmgar und wedelte damit die Schwaden auseinander, damit sie erkannten, was blutend auf der Erde lag.

»Ein Pferd?«, staunte Bavragor, als der Körper mit dem weißen Fell sichtbar wurde. »Oder … ist das ein Einhorn?«

Tungdil kniete sich neben die tote Kreatur, die etliche Bisswunden eines Raubtieres am Leib trug, die Kehle hing in Fetzen gerissen, das kostbare Horn war mit brutaler Gewalt aus dem Schädel gebrochen.

»Es war ein Einhorn«, sagte er traurig und streichelte über das weiche Fell. Die Bücher Lot-Ionans schwärmten von diesen Kreaturen, nannten sie rein, gut, fern von jeglicher Bosheit – was sie aber nicht vor dem Tod durch das Böse bewahrte. »Die Horden Nôd’onns müssen hier gewesen sein.«