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»Sehr nett von Ihnen«, sagte Peter, »und wenn Sie es jetzt noch über sich bringen könnten, das Mißgeschick meiner Geburt und meine übrigen Fehler zu übersehen, geben Sie mir vielleicht die Ehre, mit mir irgendwo einen Happen essen zu gehen, ja?«

»Oh, das täte ich schrecklich gern«, rief Miss Tarrant voll Überschwang, »aber ich habe versprochen, heute abend im Club zu sein. Da ist um neun eine Versammlung. Mr. Coke -der Labour-Führer, wissen Sie - will über die Bekehrung von Heer und Marine zum Kommunismus sprechen. Wir rechnen mit einer Razzia, und bevor wir anfangen, gibt es eine große Jagd nach Spionen. Aber wissen Sie was, kommen Sie doch mit und essen Sie dort mit mir, und wenn Sie Lust haben, versuche ich Sie auch in die Versammlung zu schmuggeln, und dann werden Sie geschnappt und rausgeschmissen. Ich glaube ja, ich hätte Ihnen gar nichts davon erzählen dürfen, denn eigentlich sind Sie doch ein Erzfeind, aber ich kann Sie nicht wirklich für gefährlich halten.«

»Ich denke, ich bin nur ein gewöhnlicher Kapitalist«, meinte Peter. »Höchst anstößig.«

»Na ja, aber kommen Sie wenigstens zum Essen mit. Ich möchte so gern alle Neuigkeiten von Ihnen hören.«

Peter überlegte, daß das Essen im Sowjet-Club wohl mehr als ungenießbar sein würde, und wollte schon eine Ausrede finden, als ihm einfiel, daß Miss Tarrant ihm vielleicht einiges über seine Schwester erzählen konnte, was er selbst nicht wußte, aber eigentlich wissen sollte. Also machte er aus der höflichen Ablehnung eine höfliche Annahme und wurde von Miss Tarrant, die ihm voraneilte, in stürmischem Tempo durch eine Reihe schmuddeliger Gassen auf kürzestem Weg in die Gerrard Street geführt, wo eine orangefarbene Tür, flankiert von zwei Fenstern mit knallroten Vorhängen, unmißverständlich den Sowjet-Club ankündigte.

Der Sowjet-Club, mehr fürs freie Denken als fürs süße Leben eingerichtet, hatte jene merkwürdig amateurhafte Atmosphäre, die allen weltlichen Einrichtungen anhaftet, die von weltfremden Menschen erdacht werden. Peter konnte nicht genau sagen, warum ihn das Ganze an einen Missionstee erinnerte - es sei denn, daß alle Clubmitglieder so aussahen, als ob sie ein Ziel im Leben verfolgten, und daß die Bedienung ziemlich dürftig ausgebildet zu sein schien, dafür aber um so deutlicher in Erscheinung trat. Wimsey sagte sich, daß er in so einer demokratischen Institution kaum vom Personal jenen Ausdruck der Überlegenheit erwarten durfte, der die Bediensteten in einem Westend-Club auszuzeichnen pflegte. Zumindest waren sie bestimmt nicht solche Kapitalisten. Unten im Speisesaal wurde der Eindruck eines Missionstees noch verstärkt durch die überheizte Atmosphäre, das Stimmengewirr und die merkwürdige Unzweckmäßigkeit der Bestecke. Miss Tarrant ergatterte zwei Plätze an einem reichlich krümelbedeckten Tisch in der Nähe der Essensdurchreiche, und Peter zwängte sich mit einigen Schwierigkeiten neben einen sehr großen, kraushaarigen Mann in einer Samtjacke, der sich ernst mit einer mageren, lebhaften jungen Frau unterhielt, die zu einer russischen Bluse venezianische Perlen, einen ungarischen Schal und einen spanischen Kamm trug und aussah wie die personifizierte Einheitsfront der Internationale.

Lord Peter wollte seine Gastgeberin mit einer Frage nach dem großen Mr. Coke erfreuen, wurde aber mit einem erregten »Pssst!« zur Ordnung gerufen.

»Bitte nicht so laut«, sagte Miss Tarrant und beugte sich so weit zu ihm herüber, daß ihr roter Haarschopf ihn an den Augenbrauen kitzelte. »Das ist doch streng geheim.«

»Tut mir furchtbar leid«, entschuldigte sich Wimsey. »Passen Sie auf, Sie tunken ihre hübschen kleinen Perlen in die Suppe.«

»Nein, wirklich?« rief Miss Tarrant, indem sie sich eilig zurückzog. »Danke, danke vielmals. Dabei sind sie nicht einmal farbecht. Hoffentlich ist kein Arsen oder so etwas drin.« Dann beugte sie sich wieder vor und flüsterte heiser: »Die Frau neben mir ist Erica Heath-Warburton - die Schriftstellerin, Sie wissen schon.«

Wimsey betrachtete die Dame in der russischen Bluse mit neuem Respekt. Wenige Bücher hatten es bisher vermocht, ihm die Röte in die Wangen zu treiben, aber er erinnerte sich, daß einem von Miss Heath-Warburtons Büchern ebendies gelungen war. Die Autorin sagte gerade sehr eindrucksvoll zu ihrem Gesprächspartner:

»- je erlebt, daß eine ernste Gefühlsregung sich in einem Nebensatz ausdrückt?«

»Joyce hat uns vom Aberglauben der Syntax befreit«, pflichtete der krausköpfige Mann ihr bei.

»Szenen, die emotionale Geschichte machen«, fuhr Miss Heath-Warburton fort, »sollten idealerweise in einer Folge tierischer Schreie ausgedrückt werden.«

»Die D. H. Lawrence-Formel«, sagte der andere.

»Oder sogar Dada«, meinte die Schriftstellerin.

»Wir brauchen eine neue Notation«, sagte der Krauskopf, wobei er beide Ellbogen so auf den Tisch stützte, daß er Wimseys Brot zu Boden stieß. »Hast du Roben Snoates schon einmal seine eigenen Verse zu Tamtam und Pennyflöte rezitieren hören?«

Lord Peter entzog mit Mühe seine Aufmerksamkeit dieser faszinierenden Diskussion, um gerade mitzubekommen, daß Miss Tarrant etwas über Mary sagte.

»Ihre Schwester wird hier sehr vermißt«, sagte sie. »So etwas von Begeisterung. Sie hat auf den Versammlungen so gut gesprochen. Die hatte wirklich etwas für die Arbeiter übrig.«

»Das finde ich erstaunlich«, sagte Wimsey, »wenn ich bedenke, daß Mary noch nie im Leben einen Finger krumm machen mußte.«

»Oh, aber sie hat gearbeitet«, rief Miss Tarrant. »Für uns. Und wie großartig! Sie war fast ein halbes Jahr lang Sekretärin unserer Propagandagesellschaft. Und dann hat sie so fleißig für Mr. Goyles gearbeitet. Ganz zu schweigen von ihrer Zeit als Krankenschwester im Krieg. Natürlich billige ich Englands Haltung im Krieg nicht, aber keiner wird behaupten können, da sei nicht hart gearbeitet worden.«

»Wer ist Mr. Goyles?«

»Oh, das ist einer unserer führenden Redner - noch sehr jung, aber die Regierung hat richtig Angst vor ihm. Ich nehme an, er wird heut abend hier sein. Er hat im Norden Schulungen abgehalten, aber ich glaube, er ist wieder zurück.«

»Vorsicht!« rief Peter. »Ihre Perlen hängen schon weder im Teller.«

»So? Na ja, vielleicht bringen sie ein bißchen Geschmack an den Hammel. Ich fürchte, die Küche ist hier wirklich nicht sehr gut, aber dafür sind die Beiträge so niedrig, verstehen Sie? Es wundert mich, daß Mary Ihnen nie von Mr. Goyles erzählt haben soll. Sie waren doch damals so sehr befreundet. Alle haben gedacht, sie wird ihn heiraten - aber daraus scheint nichts geworden zu sein. Und dann ist Ihre Schwester aus der Stadt weggezogen. Wissen Sie etwas darüber?«

»Ach, der war das also? Doch, ja - das haben meine Leute nicht so ganz begriffen, verstehen Sie? Sie hielten Mr. Goyles wohl nicht für den Schwiegersohn ihrer Wünsche. Familienkrach und so. War selbst nicht da; außerdem hat Mary sowieso nie auf mich gehört. Jedenfalls hab ich das so verstanden.«

»Wieder so ein Beispiel für die absurde, altmodische elterliche Tyrannei«, sagte Miss Tarrant heftig. »Man sollte so etwas gar nicht mehr für möglich halten - in N achkriegszeiten.«

»Ich weiß nicht«, sagte Wimsey, »ob man es so nennen kann. Nicht direkt elterlich. Meine Mutter ist eine sehr ungewöhnliche Frau. Ich glaube nicht, daß sie sich da eingemischt hat. Soviel ich weiß, wollte sie Mr. Goyles sogar nach Denver einladen. Aber mein Bruder hat sich auf die Hinterbeine gestellt.«

»Na bitte, was kann man denn anderes erwarten?« meinte Miss Tarrant verächtlich. »Aber ich weiß gar nicht, was ihn das anging.«

»Oh, natürlich nichts«, pflichtete Wimsey ihr bei. »Nur daß mein Bruder nach den beschränkten Vorstellungen meines Vaters über das, was sich für eine Frau geziemt, Marys Geld so lange verwaltet, bis sie mit seiner Zustimmung heiratet. Ich finde das ja auch nicht gut - ich finde es sogar abscheulich. Aber so ist es nun mal.«