»Nein!«
»Doch«, sagte Wimsey und hielt sie mit seiner gesunden Hand fest, als sie vor ihm ausweichen wollte. »Mary, hast du dir überlegt, was du da tust? Du willst einen Meineid schwören und Gerald in Lebensgefahr bringen, um einen Mann vor der Justiz zu schützen, den du im Verdacht hast, deinen Verlobten ermordet zu haben, und der mit Sicherheit versucht hat, mich zu ermorden.«
»Mein Gott!« rief Parker gequält. »Dieses Verhör ist gegen alle Regeln.«
»Hör nicht auf ihn«, sagte Peter. »Bist du wirklich überzeugt, das Richtige zu tun, Mary?«
Lady Mary sah ihren Bruder eine Zeitlang hilflos an. Peter schielte unter seinem Verband hervor flehend zu ihr auf. Der Trotz wich langsam aus ihrem Gesicht.
»Ich will die Wahrheit sagen«, sagte Lady Mary.
»Braves Mädchen«, sagte Lord Peter und streckte eine Hand aus. »Entschuldige. Ich weiß, daß du den Burschen gern hast, und darum wissen wir deinen Entschluß auch sehr zu schätzen. Wirklich, das tun wir. So, und nun schieß los, und du, Parker schreibst alles auf.«
»Also, angefangen hat das mit George eigentlich schon vor Jahren. Du warst damals an der Front, Peter, aber ich nehme an, man hat dir alles darüber berichtet - und alles in den häßlichsten Farben geschildert.«
»Das würde ich aber nicht behaupten, Kind«, mischte sich die Herzoginwitwe ein. »Ich glaube, ich habe Peter nur gesagt, daß dein Bruder und ich von dem, was wir von dem jungen Mann zu sehen bekamen, nicht rundum begeistert waren - und gesehen haben wir ja nicht viel von ihm, wenn du dich erinnern möchtest. Er hat sich einmal zum Wochenende selbst eingeladen, als wir das Haus voller Gäste hatten, und anscheinend wollte er es sich sehr angelegen sein lassen, auf niemandes Wohlbefinden Rücksicht zu nehmen als auf sein eigenes. Und du wirst noch wissen, wie du selbst gemeint hast, er sei gegen den armen alten Lord Mountweazle unnötig garstig gewesen.«
»Er hat nur gesagt, was er dachte«, sagte Mary. »Natürlich konnte der gute alte Lord Mountweazle nicht verstehen, daß die heutige Generation es gewöhnt ist, mit den Älteren zu diskutieren, statt vor ihnen auf die Knie zu fallen. Als George seine Meinung sagte, waren das für ihn nur Frechheiten.«
»Aber gewiß«, sagte die Herzoginwitwe. »Wenn man rundweg alles bestreitet, was einer sagt, klingt das für Uneingeweihte vielleicht frech. Aber ich erinnere mich nur, zu Peter gesagt zu haben, daß Mr. Goyles' Manieren mir ein wenig ungeschliffen vorkämen und daß es seinen Ansichten an Unabhängigkeit mangele.«
»An Unabhängigkeit?« rief Mary mit weit aufgerissenen Augen.
»Nun, das war mein Eindruck. Was oft gedacht, und häufig besser ausgedrückt wurde, wie Pope schon sagt - oder war das wer anders? Aber je schlechter man sich heutzutage ausdrückt, für desto tiefgründiger halten einen die Leute - das ist allerdings nichts Neues. Wie Browning und diese komischen metaphysischen Leute, bei denen man nie weiß, ob sie nun ihre Geliebte oder die Staatskirche meinen, so bräutigämlich und biblisch - ganz zu schweigen vom lieben St. Augustin - den aus Hippo, meine ich, nicht den, der hier missioniert hat, obwohl ich den auch ganz ergötzlich finde, und damals hat man ja wohl noch keine jährlichen Basare und Teekränzchen im Gemeindesaal veranstaltet, demnach war das sicher noch was anderes, als was wir heute unter Mission verstehen - er hat sich da jedenfalls ausgekannt - du weißt ja noch, die Geschichte mit der Mandragora - oder war das vielleicht das Ding, wofür man einen großen schwarzen Hund brauchte? Richtig, Manichäer, das ist das Wort, das ich gesucht habe. Wie hieß der noch? Faust? Oder verwechsle ich den jetzt mit dem alten Mann in der Oper?«
»Jedenfalls«, sagte Mary, ohne sich daran aufzuhalten, die Gedankenfäden ihrer Mutter zu entwirren, »war George der einzige Mensch, an dem mir wirklich etwas lag - und das ist er noch immer. Nur war eben alles so hoffnungslos. Vielleicht hast du nicht viel gegen ihn gesagt, Mutter, aber Gerald hat eine Menge gesagt. Und so furchtbare Dinge!«
»Ja«, sagte die Herzoginwitwe. »Er hat eben gesagt, was er dachte. Das tut die heutige Generation nämlich. Ich gebe zu, mein Kind, daß Uneingeweihte das manchmal etwas rüde finden mögen.«
Peter grinste, aber Mary fuhr unbeirrt fort.
»George hatte einfach kein Geld. Er hatte buchstäblich alles auf die eine oder andere Art der Partei gegeben, und dann hatte er auch noch seine Stelle im Informationsministerium verloren; die waren der Meinung, er habe zuviel Sympathie für die Sozialisten im Ausland. Es war entsetzlich unfair. Jedenfalls konnte ich ihm unmöglich auf der Tasche liegen; und Gerald war so gemein, mir zu drohen, er werde mir meinen ganzen Unterhalt streichen, wenn ich George nicht den Laufpaß gäbe. Also hab ich das getan, aber auf unsere Gefühle füreinander hatte das natürlich gar keinen Einfluß. Ich will Mutter zugute halten, daß sie etwas anständiger war. Sie hat gesagt, sie wolle uns helfen, wenn George eine Arbeit fände; aber wie ich schon sagte, wenn George Arbeit gehabt hätte, wären wir auf keine Hilfe angewiesen gewesen!«
»Aber Kind, ich konnte doch Mr. Goyles nicht mit dem Ansinnen beleidigen, vom Geld seiner Schwiegermutter zu leben«, sagte die Herzoginwitwe.
»Warum nicht?« meinte Mary. »George hält nichts von diesen altmodischen Eigentumsbegriffen. Außerdem, wenn du es mir gegeben hättest, wäre es mein Geld gewesen. Wir glauben an die Gleichheit von Mann und Frau. Warum soll immer der eine mehr der Brotverdiener sein als der andere?«
»Ich kann es mir nicht vorstellen, Kind«, sagte die Herzoginwitwe. »Zumindest konnte ich doch von dem armen Mr. Goyles nicht verlangen, daß er von unverdientem Einkommen lebte, wo er doch von ererbten Gütern nichts hält.«
»Das ist ein Fehlschluß«, sagte Mary ausweichend. »Jedenfalls«, fügte sie hastig hinzu, »so war's. Nach dem Krieg ist George nach Deutschland gegangen, um dort den Sozialismus und Arbeiterfragen zu studieren, und alles schien aus zu sein. Und als dann Denis Cathcart kam, habe ich gesagt, daß ich ihn heiraten würde.«
»Warum?« fragte Peter. »Mir kam er nie als der richtige Mann für dich vor. Ich meine, soviel ich weiß war er doch ein Konservativer und geborener Diplomat und - na ja, eben so ein richtiger alter Reaktionär. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ihr auch nur eine einzige gemeinsame Ansicht hattet.«
»Nein; aber dafür war es ihm auch vollkommen gleich, ob ich irgendwelche Ansichten hatte und was für welche. Ich habe ihm das Versprechen abgenommen, daß er mich nicht mit Diplomaten und dergleichen belästigen würde, und er hat gesagt, ich könne tun und lassen, was ich wolle, solange ich ihn nur nicht kompromittiere. Und wir wollten in Paris leben und jeder seine eigenen Wege gehen. Mir war alles lieber als hierzubleiben und jemanden aus den eigenen Kreisen zu heiraten und Basare zu eröffnen und zum Polo zu gehen und vom Prinzen von Wales empfangen zu werden. Also habe ich gesagt, ich heirate Denis, denn mir lag nichts an ihm, und ich bin sicher, daß ihm ebensowenig an mir lag, so daß wir einander bestimmt in Ruhe gelassen hätten. Ich wollte nichts weiter als in Ruhe gelassen zu werden!«
»War Jerry bereit, dir dein Geld zu geben?« fragte Peter.
»Doch, ja - er hat zwar gemeint, Denis sei kein großer Fang - ich wollte, Gerald wäre nicht so vulgär, auf diese platte, frühviktorianische Art -, aber er hat gesagt, nach George könne er nur seinen Sternen danken, daß es nicht noch schlimmer komme.«
»Notier dir das, Charles«, sagte Wimsey.
»Na ja, zuerst schien auch alles gutzugehen, aber mit der Zeit wurde ich immer deprimierter. Weißt du, Denis hatte etwas an sich, was mich ein wenig erschreckte. Er war so außerordentlich reserviert. Ich weiß ja, ich wollte in Ruhe gelassen werden, aber - na ja, es war irgendwie unheimlich! Er war so korrekt. Sogar wenn er einmal aus sich herausging und leidenschaftlich wurde - was nicht oft vorkam -, auch dann verhielt er sich noch korrekt. Unglaublich! Wie in einem dieser komischen französischen Romane - du weißt ja, Peter: unwahrscheinlich heiße Sachen, aber vollkommen unpersönlich.«