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»He, Charles!« sagte Lord Peter.

»Hm?«

»Das ist wichtig! Kapierst du, wie wichtig das ist?«

»Nein.«

»Macht auch nichts. Erzähl weiter, Polly.«

»Mache ich dir auch kein Kopfweh?«

»Abscheuliches; aber ich hab das gern. Erzähl nur weiter. Ich lasse mir schon keine Lilien wachsen aus Seelenpein und Fiebertau. Ich hänge gebannt an deinen Lippen. Was du mir eben erzählt hast, war aufschlußreicher als alles, was ich die ganze Woche zu hören bekommen habe.«

»Nanu!« Mary sah Peter mit großen Augen an, und alle Feindseligkeit war aus ihrem Blick gewichen. »Ich hätte nie gedacht, daß du das verstehst.«

»Du lieber Himmel«, sagte Peter. »Wieso denn nicht?«

Mary schüttelte den Kopf. »Nun, ich habe also die ganze Zeit mit George in Briefverbindung gestanden, und Anfang des Monats schrieb er mir plötzlich, er komme aus Deutschland zurück und habe eine Stelle beim Thunderclap - das ist die sozialistische Wochenzeitung - für ein Anfangsgehalt von vier Pfund die Woche, und ich solle doch diese ganze Kapitalistenbrut sausen lassen und mit ihm als ehrliche Arbeiterfrau leben. Er könne mir einen Sekretärinnenposten bei der Zeitung verschaffen. Da könne ich für ihn tippen und so weiter und ihm helfen, seine Artikel zusammenzustellen. Und er hat gemeint, zusammen müßten wir dann etwa sechs bis sieben Pfund die Woche verdienen, was zum Leben mehr als genug sei. Inzwischen wurde Denis mir von Tag zu Tag unheimlicher, und so habe ich ja gesagt. Aber ich wußte, daß es fürchterlichen Krach mit Gerald geben würde. Und im Grunde habe ich mich auch ein bißchen geschämt, die Verlobung war doch schon bekanntgegeben, und dann das gräßliche Gerede und die Leute, die versuchen würden, es mir auszureden. Auch hätte Denis womöglich Gerald die Hölle heiß gemacht - er war so einer. Also haben wir beschlossen, daß wir am besten einfach durchbrennen und erst einmal heiraten sollten, um dem ganzen Knatsch zu entgehen.«

»Sehr richtig«, meinte Peter. »Außerdem hätte sich das gut in der Zeitung gemacht, nicht? HERZOGSTOCHTER HEIRATET SOZIALISTEN - ROMANTISCHE FLUCHT IM BEIWAGEN - >6 £ DIE WOCHE SIND MEHR ALS GENUG«, SAGT IHRE LADYSCHAFT.«

»Ekel!« sagte Lady Mary.

»Danke«, sagte Peter. »Ich hab verstanden. Und daraufhin sollte der romantische Goyles dich also in Riddlesdale abholen - warum Riddlesdale? Von London oder Denver aus wär's doppelt so leicht gewesen.«

»Nein. Erstens hatte er sowieso im Norden zu tun. Zweitens kennt einen in der Stadt jeder, und - überhaupt, wir wollten nicht länger warten.«

»Außerdem hätte man den Jung-Lochinvar-Anstrich vermißt. Na gut. Aber warum zu so gottloser Stunde um drei Uhr morgens?«

»Er hatte Mittwoch abend eine Versammlung in Northallerton. Von dort wollte er gleich kommen und mich holen, und dann wollten wir sofort nach London fahren und mit Sonderlizenz heiraten. Wir haben reichlich Zeit eingeplant. Schließlich mußte George am nächsten Tag wieder im Büro sein.«

»Aha. Gut, dann werde ich jetzt mal weitererzählen, und du unterbrichst mich, wenn ich etwas Falsches sage. Du bist am Mittwochabend um halb zehn nach oben auf dein Zimmer gegangen und hast deinen Koffer gepackt. Du - hast du auch daran gedacht, einen Trostbrief für deine trauernden Freunde und Angehörigen zu hinterlassen?«

»Ja, ich habe einen geschrieben, aber -«

»Versteht sich. Dann bist du zu Bett gegangen, denke ich, oder hast wenigstens die Decke zurückgeschlagen und dich etwas hingelegt.«

»Ja. Ich habe mich hingelegt. Und das war gut so, denn hinterher -«

»Eben. Du hättest nicht mehr viel Zeit gehabt, dem Bett morgens noch ein glaubhaftes Aussehen zu geben, und das wäre uns zu Ohren gekommen. Übrigens, Parker, als Mary dir gestern abend ihre Sünden beichtete, hast du dir da Notizen gemacht?«

»Ja«, sagte Parker, »falls du meine Kurzschrift lesen kannst.«

»Und ob«, sagte Peter. »Also, das zerwühlte Bett macht schon einmal einen Strich durch deine Geschichte, daß du überhaupt nicht zu Bett gegangen wärst, stimmt's?«

»Und ich hatte das für so eine gute Geschichte gehalten!«

»Dir fehlt nur die Übung«, antwortete ihr Bruder freundlich. »Nächstes Mal machst du's besser. Eigentlich gut, daß es gar nicht so einfach ist, eine lange, hieb- und stichfeste Lüge zu erzählen, nicht? Da fällt mir ein, hast du Gerald um halb zwölf hinausgehen hören, wie Mr. Pettigrew-Robinson (daß ihm die Ohren abfallen!) behauptet?«

»Ich glaube, ich habe jemanden herumgehen hören«, sagte Mary, »aber ich hab mir nicht viel dabei gedacht.«

»Eben«, sagte Peter, »wenn ich mitten in der Nacht Leute im Haus herumgehen höre, bin ich viel zu taktvoll, um mir etwas dabei zu denken.«

»Natürlich«, warf die Herzoginwitwe ein, »besonders in England, wo es als so ungehörig gilt, überhaupt zu denken. Das muß man Peter lassen - wenn es für irgend etwas eine kontinentaleuropäische Interpretation gibt, wird er es so interpretieren; wirklich sehr rücksichtsvoll von dir, mein Bester, wenigstens nachdem du anfingst, deine Beobachtungen für dich zu behalten und sie nicht herumzuerzählen, wie du es als kleiner Junge so intelligent gemacht hast. Du hattest schon immer eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe.«

»Die hat er noch«, sagte Mary, wobei sie Peter überraschend freundlich anlächelte.

»Schlechte Angewohnheiten haben ein zähes Leben«, meinte Wimsey. »Aber weiter. Um drei Uhr bist du hinuntergegangen, um dich mit Goyles zu treffen. Warum ist er eigentlich den ganzen Weg bis zum Haus gekommen? Es wäre doch einfacher gewesen, wenn er dich am Feldweg erwartet hätte.«

»Ich wußte doch, daß ich nicht zum Tor hinausgekommen wäre, ohne Hardraw zu wecken, also hätte ich irgendwo über den Zaun steigen müssen. Allein hätte ich das vielleicht geschafft, aber nicht mit dem schweren Koffer. Da also George sowieso über den Zaun mußte, fanden wir es besser, wenn er gleich bis zum Haus kam und mir den Koffer tragen half. Und an der Wintergartentür konnten wir uns auch nicht verpassen. Ich hatte ihm einen Plan vom Weg geschickt.«

»War Goyles da, als du unten ankamst?«

»Nein - zumindest - nein, ich habe ihn nicht gesehen. Aber da lag der arme Denis und war tot, und Gerald stand über ihn gebeugt. Mein erster Gedanke war, Gerald habe George umgebracht. Darum hab ich ja auch gerufen: >Mein Gott, Gerald, du hast ihn getötet!«« (Peter warf Parker einen Blick zu und nickte.) »Dann hat Gerald ihn umgedreht, und ich habe gesehen, daß es Denis war - und dann glaube ich sicher gehört zu haben, wie sich weit weg im Gebüsch etwas bewegte - es hörte sich an wie knackende Zweige -, und plötzlich kam es über mich: Wo war George? Peter, und dann habe ich alles so klar vor mir gesehen! Denis mußte mit George zusammengetroffen sein, der unten auf mich wartete, und hat ihn angegriffen - ich bin ganz sicher, daß Denis ihn angegriffen haben muß. Wahrscheinlich hat er ihn für einen Einbrecher gehalten. Oder er hatte herausbekommen, wer er war, und wollte ihn verjagen. Und bei dem Kampf muß George ihn erschossen haben. Es war schrecklich!«

Peter klopfte seiner Schwester auf die Schulter. »Armes Ding«, sagte er.

»Ich hab nicht gewußt, was ich tun sollte«, fuhr Mary fort. »Weißt du, ich hatte so schrecklich wenig Zeit. Mein einziger Gedanke war, daß niemand auf die Idee kommen durfte, es könnte jemand dagewesen sein. Also mußte ich mir schnell einen Grund ausdenken, warum ich selbst da war. Zuerst habe ich also rasch meinen Koffer hinter die Kakteen geschoben. Jerry war so mit dem Toten beschäftigt, daß er nichts gemerkt hat - du weißt ja, Jerry merkt nie etwas, solange man es ihm nicht vor die Nase hält. Aber ich wußte, wenn ein Schuß gefallen war, mußten Freddy und die Marchbanks ihn gehört haben, darum habe ich so getan, als ob ich ihn auch gehört hätte und nach unten gegangen wäre, um zu sehen, ob Einbrecher da waren. Es war eine ziemlich schlechte Ausrede, aber etwas Besseres fiel mir nicht ein. Gerald schickte mich ins Haus, um alle aufzuwecken, und bis ich die Treppe hinaufgegangen war, hatte ich meine Geschichte fix und fertig. Und ich war so stolz darauf, daß ich den Koffer nicht vergessen hatte!«