Выбрать главу

Wenig später ging Lord Peter zu ihr. »Du, Polly, der alte Murbles hat uns zum Lunch eingeladen. Kommst du mit? Sir Impey Biggs ist auch da.«

»Den möchte ich heute nicht sehen. Es ist sehr lieb von Mr. Murbles -«

»Na, komm schon, Mädchen. Biggs ist immerhin eine Berühmtheit und obendrein ein Anblick für die Götter - wie Marmor. Er wird dich gründlich über Kanarienvögel aufklären

Mary mußte trotz ihrer eigensinnigen Tränen kichern.

»Es ist furchtbar lieb von dir, Peter, daß du das Kindchen bei Laune zu halten versuchst. Aber ich kann nicht. Ich würde mich nur zum Narren machen. Und ich bin für heute schon genug zum Narren gemacht worden.«

»Quatsch«, sagte Peter. »Gewiß hat Goyles sich heute nicht mit Ruhm bekleckert, aber er war ja auch in einer ekligen Situation. Komm doch mit.«

»Ich hoffe, Lady Mary kann sich entschließen, meine Junggesellenwohnung mit ihrer Gegenwart zu verschönern«, sagte der Anwalt im Näherkommen. »Ich würde die große Ehre sehr zu schätzen wissen. Ich glaube, ich habe schon zwanzig Jahre keine Dame mehr in meinen vier Wänden gehabt - mein Gott, es müssen tatsächlich schon zwanzig Jahre sein.«

»In diesem Falle«, sagte Lady Mary, »kann ich wohl nicht absagen.«

Mr. Murbles besaß eine hübsche Wohnung in Staple Inn, deren Fenster auf einen gepflegten Garten mit reizenden kleinen Blumenbeeten und einem plätschernden Springbrunnen hinausblickten. Wie die Zimmer diese altmodische Rechtsgelehrtenatmosphäre wahrten, die er um sein sprödes Ich verbreitete, grenzte ans Wunderbare. Das Speisezimmer war mit Mahagonimöbeln, einem Orientteppich und roten Vorhängen ausgestattet. Auf dem Büfett standen ein paar hübsche Silberschalen, echte Sheffield-Arbeiten, und etliche Karaffen mit gravierten silbernen Etiketten um die Hälse. In einem Bücherregal sah man lauter dicke, in Kalbsleder gebundene Gesetzeswerke, und über dem Kaminsims hing ein streng dreinblickender Richter in Öl. Lady Mary war mit einemmal dankbar für diese diskrete viktorianische Atmosphäre.

»Ich fürchte, wir werden auf Sir Impey noch ein paar Sekunden warten müssen«, sagte Mr. Murbles mit einem Blick auf seine Uhr. »Er hat die Sache Quangle & Hamper gegen Die Wahrheit übernommen, aber sie hoffen heute morgen damit fertig zu werden - Sir Impey selbst meint, bis Mittag wäre der Fall erledigt. Ein genialer Mann, unser Sir Impey. Er verteidigt Die Wahrheit.«

»Erstaunlich für einen Rechtsanwalt, wie?« meinte Peter.

»Die Zeitung«, sagte Mr. Murbles, indem er den kleinen Scherz mit einem leichten Zucken der Mundwinkel belohnte, »gegen diese Leute, die von sich behaupten, neunundfünfzig verschiedene Krankheiten mit ein und derselben Pille heilen zu können. Quangle & Hamper haben einige ihrer Kunden vorladen lassen, die bezeugen sollen, wie gut das Mittel ihnen getan hat. Es war ein Festschmaus für den Intellekt, Sir Impey mit ihnen umgehen zu hören. Er kann ja mit alten Damen unendlich freundlich sein. Als er eine sogar bat, dem hohen Gericht ihr Bein zu zeigen, kochte die Stimmung im Gerichtssaal über.«

»Und hat sie's gezeigt?« wollte Lord Peter wissen.

»Sie konnte es gar nicht erwarten, mein lieber Lord Peter, gar nicht erwarten.«

»Daß die überhaupt den Nerv hatten, sie vorzuladen!«

»Den Nerv?« sagte Mr. Murbles. »Die Nerven solcher Leute wie Quangle & Hamper haben ihresgleichen nicht im Universum, um es einmal mit dem großen Shakespeare zu sagen. Aber einem Sir Impey tanzt man nicht auf der Nase herum. Wir können von großem Glück sagen, daß wir ihn für diesen Fall gewonnen haben. - Ah, ich glaube, ich höre ihn!«

Eilige Schritte auf der Treppe verkündeten in der Tat das Nahen des großen Strafverteidigers, der noch in Perücke und Robe hereingestürzt kam und sich wortreich entschuldigte.

»Tut mir furchtbar leid, Murbles«, sagte Sir Impey. »Gegen Ende wurde es richtig ermüdend, dem Himmel sei's geklagt. Ich habe mein Bestes getan, aber der gute alte Dowson wird taub wie eine Nuß und immer tolpatschiger. - Und wie geht's Ihnen, Wimsey? Sie sehen aus, als ob Sie aus dem Krieg kämen. Können wir jemanden wegen tätlichen Angriffs verklagen?«

»Noch viel besser«, warf Mr. Murbles ein. »Mordversuch, wenn es Ihnen recht ist.«

»Ausgezeichnet, ausgezeichnet«, sagte Sir Impey.

»Aber wir haben beschlossen, keine Anzeige zu erstatten«, sagte Mr. Murbles kopfschüttelnd.

»Aber, aber! Mein lieber Wimsey, so geht das wirklich nicht. Wir Anwälte müssen doch von etwas leben. Ihre Schwester? Ich hatte nicht das Vergnügen, Sie in Riddlesdale kennenzulernen, Lady Mary. Wieder auf den Beinen, hoffe ich?«

»Völlig geheilt, danke«, sagte Lady Mary mit Nachdruck.

»Mr. Parker - Ihr Name ist mir natürlich ein Begriff. Unser guter Wimsey kann keinen Schritt ohne Sie gehen, soviel ich weiß. Murbles, stecken diese Herrschaften voll kostbarer Informationen? Ich interessiere mich nämlich ungemein für den Fall.«

»Aber jetzt im Moment nicht«, sagte der alte Anwalt.

»Da haben Sie recht. Im Augenblick interessiert mich nichts so sehr wie dieser exzellente Hammelrücken. Verzeihen Sie mir meine Gier.«

»Nun, nun«, machte Mr. Murbles mit verhaltenem Strahlen. »Dann wollen wir anfangen. Aber leider, meine lieben jungen Leute, bin ich altmodisch genug, mir diese neue Sitte des Cocktailtrinkens noch nicht angewöhnt zu haben.«

»Und das mit Recht«, betonte Wimsey. »Verdirbt den Geschmack und bringt die Verdauung durcheinander. Keine englische Sitte zudem - ein absolutes Sakrileg in diesem ehrwürdigen Hause. Kommt aus Amerika - die Folge: Prohibition. So geht es Leuten, die nicht zu trinken verstehen. Gerechter Himmel, Sir, Sie geben uns von Ihrem berühmten Roten. In dessen Gegenwart auch nur von Cocktail zu sprechen ist schon Sünde.«

»Jawohl«, sagte Mr. Murbles, »jawohl, das ist der 75er Lafite. Es kommt selten vor, sehr selten, daß ich ihn jemandem unter fünfzig anbiete - aber Sie, Lord Peter, verstehen ja mehr davon als einer, der doppelt so viele Jahre zählt wie Sie.«

»Vielen Dank, Sir; ein solches Lob weiß ich überaus zu schätzen. Darf ich die Flasche herumgehen lassen, Sir?«

»Bitte, bitte - wir bedienen uns alle selbst, Simpson, danke. Und nach dem Essen«, fuhr Mr. Murbles fort, »lade ich Sie ein, etwas wirklich Denkwürdiges zu kosten. Ein wunderlicher alter Klient von mir ist neulich gestorben und hat mir ein Dutzend Flaschen 47er Portwein vermacht.«

»Mein Gott!« rief Peter. »Einen 47er! Der dürfte doch kaum noch trinkbar sein.«

»Das fürchte ich auch«, antwortete Mr. Murbles. »Jammerschade darum. Aber ich finde, solch einer ehrwürdigen Antiquität sollte man irgendwie Respekt erweisen.«

»Es ist natürlich auch schon etwas, von sich sagen zu dürfen, daß man dergleichen gekostet hat«, sagte Peter. »Wie wenn es einem vergönnt wäre, die göttliche Sarah zu sehen. Stimme hin, Jugend hin, Charme hin - aber sie ist ein Stück Klassik.«

»O ja«, schwärmte Mr. Murbles. »Ich kann mich noch erinnern, sie in jungen Jahren gesehen zu haben. Wir alten Knaben haben immerhin den Trost einiger wunderschöner Erinnerungen.«

»Sehr richtig, Sir«, meinte Peter, »und Sie werden noch viele, viele weitere sammeln. Aber was hat dieser alte Herr sich dabei gedacht, so einen Jahrgang über die Blüte hinaus reifen zu lassen?«

»Mr. Featherstone war ein sehr sonderbarer Mensch«, sagte Mr. Murbles. »Und doch - ich weiß nicht. Vielleicht war er auch nur sehr, sehr weise. Er war berühmt für seinen extremen Geiz. Hat sich nie einen neuen Anzug gekauft, nie einen Tag Urlaub gemacht, nie geheiratet und sein Leben lang in derselben dunklen, engen Wohnung gehaust, in der er schon als blutjunger Anwalt wohnte. Dabei hatte er ein großes Vermögen von seinem Vater geerbt, aber das hat er nur immer weiter anwachsen lassen. Den Portwein hatte noch sein alter Herr, der 1860 gestorben ist, in den Keller gelegt, als mein Klient vierunddreißig Jahre alt war. Er - der Sohn, meine ich - war sechsundneunzig, als er verstarb. Er sagte immer, keine Freude reiche ja an die Vorfreude heran, und demzufolge lebte er wie ein Einsiedler - tat nie etwas, plante aber immerzu alle die Dinge, die er hätte tun können. Er hat ein ausführliches Tagebuch hinterlassen, in dem er Tag für Tag seines Phantasielebens festgehalten hat, ohne je zu wagen, dieses an der Wirklichkeit zu messen. In dem Tagebuch ist zum Beispiel ein glückliches Eheleben an der Seite der Frau seiner Träume genau beschrieben. Jedes Jahr zu Weihnachten und Ostern wurde eine Flasche von dem 47er feierlich aufgetischt und ebenso feierlich - und ungeöffnet - wieder abgeräumt, wenn das karge Mahl beendet war. Als gläubiger Christ genoß er auch die Vorfreude auf die Glückseligkeit nach dem Tode, aber wie Sie sehen, hat er auch dieses Vergnügen so lange wie möglich hinausgeschoben. Er starb mit den Worten: >Der ist treu, der verheißen hat< - bis ans Ende mußte er sich dessen versichern. Ein einzigartiger Mensch, wirklich einzigartig -vom Abenteuergeist der heutigen Generation trennten ihn Welten.«