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»Nun, wir können jetzt nicht mehr zurück«, sagte sein Bruder, »und dem Himmel sei Dank, daß es unter den Peers noch ein paar anständige Männer gibt, die das Wort eines Edelmannes zu würdigen wissen, selbst wenn mein eigener Bruder nicht über seine erbärmlichen juristischen Beweise hinaussehen kann.«

Und wie sie einander so zornig anstarrten, schlüpfte plötzlich jene geheimnisvolle Blutsverbindung, die wir Familienähnlichkeit nennen, aus ihrem Versteck hervor und prägte ihre so grundverschiedenen Gesichter koboldhaft zu Karikaturen voneinander. Es war, als sähe ein jeder sich selbst in einem Zerrspiegel, während ihre Stimmen eine der anderen Echo hätten sein können.

»Also gut«, sagte Peter, der sich als erster fing, »es tut mir aufrichtig leid. Ich wollte mich nicht so gehenlassen. Wenn du nichts sagen willst, dann eben nicht. Jedenfalls arbeiten wir alle wie die Irren und hoffen zuversichtlich, den Richtigen bald zu finden.«

»Du solltest das lieber der Polizei überlassen«, meinte Denver. »Ich weiß ja, daß du gern Detektiv spielst, aber ich finde doch, du solltest irgendwo eine Grenze ziehen.«

»Das war nicht nett«, sagte Wimsey. »Aber ich betrachte das nicht als ein Spiel und kann nicht einfach sagen, ich halte mich da heraus, denn ich weiß, daß ich wertvolle Arbeit leiste. Trotzdem verstehe ich deinen Standpunkt - doch, wirklich. Es tut mir leid, daß du mich als so aufdringlich empfinden mußt. Wahrscheinlich fällt es dir auch schwer, zu glauben, daß ich Gefühle habe. Aber ich habe welche, und ich werde dich hier herausholen, und wenn Bunter und ich alle beide dabei draufgehen. Also, mach's gut - der Wärter wacht soeben auf, um zu sagen: >Zeit, meine Herren.« Halt die Ohren steif. Und viel Glück!«

Draußen erwartete ihn Bunter.

»Bunter«, fragte er, als sie zusammen durch die Straßen der alten Stadt gingen, »ist mein Benehmen wirklich aufreizend, auch wenn ich es gar nicht sein will?«

»Es ist möglich, Mylord - wenn Eure Lordschaft mir die Bemerkung erlauben -, daß die frische Art, mit der Eure Lordschaft zu Werke gehen, diesen falschen Eindruck auf Menschen mit beschränkter -«

»Vorsicht, Bunter!«

»- mit begrenzter Phantasie macht, Mylord.«

»Wohlerzogene Engländer haben keine Phantasie, Bunter.«

»Gewiß nicht, Mylord. Ich wollte auch nichts Geringschätziges damit gesagt haben.«

»Na schön, Bunter - o Gott, da läuft ein Reporter! Schnell, verstecken Sie mich irgendwo!«

»Hier hinein, Mylord.«

Mr. Bunter zog seinen Gebieter rasch in die kühle Leere einer Kathedrale.

»Ich möchte empfehlen, Mylord«, beschwor er ihn im Flüsterton, »daß wir Haltung und äußeres Erscheinungsbild von Betenden annehmen, wenn Eure Lordschaft gestatten.«

Durch die Fingerritzen sah Lord Peter einen Küster auf sie zugeschossen kommen, strengen Tadel auf den Lippen. Im selben Augenblick aber kam der Verfolger hereingestürzt und zückte sein Notizbuch. Der Küster warf sich sofort auf die neue Beute.

»Die Wendeltreppe, unter der wir uns befinden«, hob er mit ehrfurchtsvoll eintöniger Stimme an, »ist bekannt unter dem Namen >Die Sieben Schwestern von York«. Es heißt -«

Herr und Diener stahlen sich leise hinaus.

Für den Besuch des Marktstädtchens Stapley staffierte Lord Peter sich mit einem alten Gürtelanzug, sportlichen Socken, einem uralten Hut mit rundum heruntergezogener Krempe, derben Schuhen und einem schweren Eschenstock aus. Seinen Lieblingsstock - einen schönen Malakka mit Zolleinteilung für detektivische Zwecke, einem Degen in seinem Innern und einem Kompaß im Knauf - ließ er mit Bedauern zurück. Er fürchtete nämlich, dieser könne die Eingeborenen gegen ihn einnehmen, da er so etwas Städtisches, wenn nicht Eingebildetes an sich habe. Die Folgen dieser löblichen Hingabe an seine Arbeit sollten deutlich zeigen, wie recht Gertrude Rhead hatte mit ihrer Bemerkung: »Diese ganze Selbstverleugnung ist ein tragischer Fehler.«

Es war ein schläfriges Städtchen, in das sie mit einem Einspänner aus Riddlesdale einfuhren - Bunter neben Lord Peter, und auf dem Rücksitz Wilkes, der Untergärtner. Lieber wäre Wimsey an einem Markttag hierhergekommen, weil er da vielleicht Grimethorpe persönlich angetroffen hätte, aber die Zeit drängte, und er mochte keinen weiteren Tag verlieren. Es war ein rauher, kalter Morgen, der Regen verhieß.

»In welchem Gasthaus steigt man am besten ab, Wilkes?«

»Da wäre der >Ziegelstein<, Mylord - ein gutes, angesehenes Lokal, oder die >Zinnbrücke< am Markt, oder die >Rosenkrone< auf der andern Seite vom Marktplatz.«

»Wo gehen denn die Leute am Markttag meist hin?«

»Vielleicht ist die >Rosenkrone< am beliebtesten, würde ich sagen - der Wirt, Tim Watchett, ist sehr redselig. Greg Smith aus der >Zinnbrücke< gegenüber ist ziemlich mürrisch, aber dafür hat er gutes Bier.«

»Hm - Bunter, ich glaube, unser Mann würde sich eher von Verdrießlichkeit und gutem Bier angezogen fühlen als von einem geschwätzigen Wirt. Wir sollten uns mal die >Zinnbrücke< ansehen, und wenn wir dort eine Niete ziehen, gehen wir in die >Rosenkrone< und quetschen den redseligen Mr. Watchett aus.«

Und so bogen sie in den Hof eines großen, finster dreinblickenden Hauses ein, auf dessen lange nicht mehr renoviertem Schild gerade noch die Umrisse einer zinnenbewehrten Brücke zu erkennen waren, die der Volksmund (vielleicht in Anlehnung an die zinnernen Bierkrüge) im Laufe der Zeit zur >Zinnbrücke< gemacht hatte. Peter wandte sich in seinem leutseligsten Ton an den brummigen Stallknecht, der das Pferd in Empfang nahm:

»Scheußlich frischer Morgen, wie?«

»Hm.«

»Füttern Sie mir den Gaul gut. Ich bleibe ein Weilchen.«

»Hm.«

»Heute ist wohl nicht viel los hier, was?«

»Nee.«

»Aber an Markttagen haben Sie sicher viel zu tun?«

»Hm.«

»Da kommen wohl die Leute von weit her?«

»Hüah!« sagte der Stallknecht. Das Pferd machte drei Schritte vorwärts.

»Harr!« sagte der Stallknecht. Das Pferd blieb stehen; die Deichseln waren frei, und der Mann ließ sie auf den knirschenden Kies hinunter.

»Hüah!« rief der Stallknecht; er führte das Pferd gemächlich in den Stall und ließ Lord Peter einfach stehen. So hatte der Adelssproß sich schon lange nicht abgefertigt gefühlt.

»Ich bin mehr und mehr überzeugt«, sagte Seine Lordschaft, »daß dies die gewohnte Absteige unseres Mr. Grimethorpe ist. Gehen wir mal an die Bar. Wilkes, ich brauche Sie vorerst nicht. Besorgen Sie sich was zu essen, wenn Sie Hunger haben. Ich weiß nicht, wie lange wir bleiben werden.«

»Sehr wohl, Mylord.«

In der Bar der >Zinnbrücke< fanden sie Mr. Greg Smith verdrießlich über eine lange Rechnung gebeugt. Lord Peter bestellte für sich und Bunter etwas zu trinken. Der Wirt schien dies als Dreistigkeit zu empfinden und verwies sie mit einer Kopfbewegung an die Kellnerin. Es war nur recht und billig, daß Bunter, nachdem er sich bei seinem Herrn geziemend für das Bier bedankt hatte, sofort eine Unterhaltung mit dem Mädchen anknüpfte, während Lord Peter seine Aufmerksamkeit Mr. Smith zuwandte.