»Ah!« sagte Seine Lordschaft. »Das ist mal ein guter Schluck, Mr. Smith. Man hat mir gesagt, für ein gutes Bier müsse ich mich hierher wenden, und weiß der Himmel, man hat mich an die richtige Stelle geschickt.«
»Hm!« machte Mr. Smith. »Ist auch nicht mehr, was es mal war. Was Gutes gibt's heute doch nicht mehr.«
»Also, ich könnte es mir nicht besser wünschen. Übrigens, ist Mr. Grimethorpe heute hier?«
»Was?«
»Ist Mr. Grimethorpe heute morgen in Stapley, wissen Sie das zufällig?«
»Wie soll ich das wissen?«
»Ich dachte, er kehrt immer hier ein.«
»Hm.«
»Vielleicht habe ich auch den Namen falsch verstanden. Aber ich hätte ihn für den Mann gehalten, der dahin geht, wo es das beste Bier gibt.«
»So?«
»Na gut, wenn Sie ihn nicht gesehen haben, wird er wohl heute nicht hierhergekommen sein.«
»Wohin?«
»Nach Stapley.«
»Wohnt er nicht hier? Kann doch kommen und gehen, ohne daß ich es weiß.«
»Natürlich!« Wimsey mußte den Schock erst einmal verdauen, dann begriff er das Mißverständnis. »Ich meine doch nicht Mr. Grimethorpe aus Stapley, sondern Mr. Grimethorpe von Grider's Hole.«
»Warum sagen Sie das nicht gleich? Den? Ja.«
»Ist er heute hier?«
»Nein. Weiß nichts von ihm.«
»Aber an Markttagen kommt er doch her, denke ich?«
»Manchmal.«
»Es ist ja ein ziemlich weiter Weg. Man kann doch hier übernachten?«
»Wollen Sie 'n Zimmer?«
»Nein, ich glaube nicht. Ich dachte mehr an meinen Freund Grimethorpe. Könnte mir denken, daß er oft hier über Nacht bleibt.«
»Kann sein.«
»Steigt er denn nicht hier ab?«
»Nee.«
»Oh!« machte Peter und dachte ungeduldig: »Wenn die hier alle so verschlossen sind wie die Austern, werde ich doch noch über Nacht bleiben müssen ... Na schön«, fuhr er laut fort, »wenn er sich das nächste Mal hier sehen läßt, sagen Sie ihm bitte, daß ich nach ihm gefragt habe.«
»Und wer ist >ich<?« erkundigte Mr. Smith sich abweisend.
»Ach, nur Brooks aus Sheffield«, meinte Lord Peter mit vergnügtem Grinsen. »Einen guten Morgen. Ich werde nicht vergessen, Ihr Bier weiterzuempfehlen.«
Mr. Smith grunzte. Lord Peter begab sich langsam hinaus, und bald folgte ihm Bunter forschen Schrittes und mit einem Ausdruck im Gesicht, den man bei jedem anderen für die Überreste eines Schmunzelns gehalten hätte.
»Nun?« erkundigte sich Seine Lordschaft. »Ich hoffe, die junge Dame war etwas mitteilsamer als dieser Tölpel.«
»Ich fand die junge Person« (»Wieder eins drauf«, dachte Lord Peter) »durch und durch liebenswürdig, Mylord, doch leider nicht gut informiert. Mr. Grimethorpe ist ihr nicht unbekannt, aber er pflegt nicht hier zu wohnen. Sie hat ihn manchmal in Gesellschaft eines gewissen Mr. Zedekiah Bone gesehen.«
»Nun gut«, sagte Seine Lordschaft, »dann schlage ich vor, Sie machen sich auf die Suche nach Bone und kommen mir in ein paar Stunden berichten. Ich versuche mein Glück in der >Rosenkrone<. Wir treffen uns am Mittag unter diesem Ding.«
»Das Ding« war ein hohes Gebilde aus rosarotem Granit, das einen zerklüfteten Felsen darstellen sollte, bewacht von zwei steinernen Infanteristen mit Helm. Aus einem Bronzeknauf auf halber Höhe ergoß sich ein dünner Wasserstrahl, in den achteckigen Sockel war eine Ehrenliste gemeißelt, und vier Gaslaternen auf gußeisernen Ständern vervollkommneten dieses Monument der Disharmonie.
Mr. Bunter betrachtete es eingehend, um es nur ja wiederzuerkennen, und wollte sich respektvoll entfernen. Lord Peter machte zehn hurtige Schritte auf die >Rosenkrone< zu, als ihm plötzlich ein Gedanke kam.
»Bunter!«
Mr. Bunter eilte sofort an seine Seite zurück.
»Ach, nichts weiter«, sagte Seine Lordschaft. »Mir ist nur eben ein Name dafür eingefallen.«
»Für -«
»Dieses Denkmal«, sagte Lord Peter. »Ich habe mich entschlossen, es >Meriba< zu taufen.«
»Jawohl, Mylord. Das Haderwasser. Überaus zutreffend, Mylord. Es hat wirklich nichts Harmonisches an sich, wenn ich so sagen darf. Wünschen Sie sonst noch etwas, Mylord?«
»Nein, das wär's.«
Mr. Timothy Watchett von der >Rosenkrone< war gewiß das genaue Gegenteil von Mr. Greg Smith. Er war ein kleiner, dünner Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren mit verschmitztem Blick und so wachen Bewegungen, daß Lord Peter auf den ersten Blick seine Herkunft erriet.
»Morgen, Herr Wirt«, sagte er freundlich. »Und wann haben Sie zuletzt den Piccadilly Circus gesehen?«
»Schwer zu sagen, Sir. Wird wohl an die fünfunddreißig Jahre her sein. Ich hab schon so manches Mal zu meiner Frau gesagt: >Liz, dir zeig ich noch mal das Holborn Empire, bevor ich sterbe.< Aber dann kommt eins zum andern, und die Zeit zerrinnt einem unter den Fingern. Ein Tag gleicht so sehr dem andern - manchmal weiß ich nicht mal mehr, wie alt ich werde, Sir.«
»Na, na, noch haben Sie ja eine Menge Zeit«, sagte Lord Peter.
»Hoffentlich, Sir. Ich hab mich nie, wie man so sagt, an diese Nordländer hier gewöhnt. So was von langsam, wie die sind, Sir - mich hat fast der Schlag getroffen, als ich zum erstenmal herkam. Und wie sie reden - daran mußte man sich auch erst mal gewöhnen. Wenn das Englisch sein soll, hab ich immer gesagt, dann sind mir die Franzosen in ihrem Chantycleer-Restaurant aber lieber, sag ich. Aber Gewohnheit ist alles. Manchmal erwisch ich mich dabei, wie ich schon selbst so rede. Ich!«
»Ich glaube, es besteht keine große Gefahr, daß Sie hier naturalisiert werden«, sagte Lord Peter. »Hab ich Sie nicht auf Anhieb erkannt? >In Mr. Watchetts Bar<, hab ich zu mir gesagt, >steht dein Fuß auf heimischem Pflaster ...<«
»Richtig, Sir. Und wenn Sie schon mal hier sind, womit darf ich das Vergnügen haben, Ihnen zu dienen? ... Entschuldigen Sie mal, Sir, aber hab ich Ihr Gesicht nicht schon irgendwo gesehen?«
»Das glaube ich nicht«, sagte Peter, »aber dabei fällt mir ein: Kennen Sie einen gewissen Mr. Grimethorpe?«
»Ich kenne fünf Grimethorpes. Welchen meinen Sie, Sir?«
»Mr. Grimethorpe aus Grider's Hole.«
Das freundliche Gesicht des Wirts verfinsterte sich.
»Freund von Ihnen, Sir?«
»Nicht unbedingt. Ein Bekannter.«
»Na also!« rief Mr. Watchett und ließ seine Hand auf die Theke sausen. »Ich hab doch gewußt, daß Ihr Gesicht mir bekannt vorkam! Wohnen Sie nicht drüben in Riddlesdale, Sir?«
»Zur Zeit ja.«
»Hab ich es doch gewußt«, wiederholte Mr. Watchett triumphierend.
Er tauchte unter die Theke und brachte einen Packen Zeitungen zum Vorschein, woraufhin er mit gut angelecktem Daumen erregt die Seiten umblätterte. »Da! Riddlesdale! Natürlich, das war's!«
Er klatschte auf einen Daily Mirror, der wohl vierzehn Tage alt war. Auf der ersten Seite stand in dicker Balkenschrift: DER RIDDLESDALE-MORD. Darunter fand sich ein lebensechter Schnappschuß mit der Bildunterschrift: Lord Peter Wimsey, der Sherlock Holmes vom Westend, wendet seine gesamte Zeit und Energie auf, um die Unschuld des Herzogs von Denver, seines Bruders, zu beweisen. Mr. Watchett strahlte.
»Ich darf Ihnen sicher sagen, wie stolz ich bin, Sie in meiner Bar zu haben, Mylord. - He, Jim, bedien mal die Herren da; du siehst doch, daß sie warten! - Alle Ihre Fälle hab ich verfolgt, Mylord, in den Zeitungen - die füllen ja schon ein ganzes Buch. Und wenn ich mir vorstelle -«
»Hören Sie mal, alter Freund«, sagte Lord Peter, »könnten Sie, wenn's geht, etwas leiser sprechen? Und nachdem ja nun der Felix aus dem Sack ist, meinen Sie, es wäre Ihnen möglich, mir ein paar Informationen zu geben und nichts weiterzusagen, wie?«
»Kommen Sie mal mit nach hinten in den Salon, Mylord. Da hört uns keiner«, sagte Mr. Watchett und hielt diensteifrig die Klappe hoch. »He, Jim! Bring uns eine Flasche - was möchten Sie denn trinken, Mylord?«