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Ihr

Timothy Watchett«

Was hältst du davon?«

»Dem lohnt sich nachzugehen«, meinte Parker. »Wenigstens hemmen uns jetzt keine häßlichen Zweifel mehr.«

»Nein. Und wenn Mary auch meine Schwester ist, muß ich doch sagen, daß sie von allen dummen Puten die dümmste ist. Erst läßt sie sich mit diesem entsetzlichen Flegel ein -«

»Da hat sie sich wunderbar verhalten«, sagte Mr. Parker und wurde ziemlich rot. »Nur weil sie deine Schwester ist, kannst du gar nicht ermessen, wie wunderbar sie war. Wie sollte denn so eine reine und edle Seele wie ihre diesen Menschen durchschauen? Wo sie selbst so ernsthaft und durch und durch ehrlich ist, beurteilt sie doch jeden nach demselben Maßstab. Daß ein Mensch so windig und wankelmütig sein könnte wie dieser Goyles, hat sie erst geglaubt, als es ihr bewiesen wurde. Und selbst dann hat sie sich nicht dazu durchringen können, schlecht von ihm zu denken, bis er sich durch seine eigenen Worte bloßgestellt hat. Es war großartig, wie sie für ihn gekämpft hat. Stell dir doch nur einmal vor, was es eine so großartige, grundehrliche Frau gekostet haben muß, zu -«

»Schon gut, schon gut!« rief Peter, der seinen Freund starr vor Staunen angeglotzt hatte. »Steigere dich nicht so hinein. Ich glaub's dir ja. Verschone mich. Ich bin ja nur ein Bruder. Alle Brüder sind Narren. Alle Verliebten sind Irre - meint Shakespeare. Hast du ein Auge auf Mary geworfen, altes Haus? Du siehst mich erstaunt - aber ich glaube, darüber staunen Brüder immer. Gott sei mit euch, liebe Kinder!«

»Zum Teufel aber auch, Wimsey«, sagte Parker sehr zornig, »du hast kein Recht, so mit mir zu reden! Ich habe nur gesagt, wie sehr ich deine Schwester bewundere - und jeder muß solchen Mut und solche Festigkeit bewundern. Da brauchst du gar nicht gleich beleidigend zu werden. Ich weiß, daß sie Lady Mary Wimsey ist und verflixt reich, und ich bin nur ein kleiner Polizist mit null Komma nichts per annum und Aussicht auf eine Pension, aber darüber brauchst du nicht auch noch Witze zu reißen.«

»Ich reiße keine Witze«, versetzte Wimsey entrüstet. »Ich kann mir nur nicht vorstellen, warum einer meine Schwester heiraten möchte; aber du bist mein Freund, und ein sehr guter dazu, und meinen Segen hast du, falls der was nützt. Außerdem - hol's der Kuckuck, Mann - um es mal platt auszudrücken, sieh dir doch an, was sonst hätte kommen können! Ein sozialistischer Neinsager ohne Mumm und Manieren oder ein undurchsichtiger Falschspieler mit mysteriöser Vergangenheit! Mutter und Jerry müßten an dem Punkt angelangt sein, wo sie einen anständigen, gottesfürchtigen Klempner willkommen heißen würden, nicht zu reden von einem Polizisten. Ich fürchte einzig und allein, daß Mary mit ihrem schauderhaften Geschmack in puncto Männer einen richtig anständigen Kerl wie dich gar nicht zu würdigen wüßte, altes Haus.«

Mr. Parker entschuldigte sich bei seinem Freund für seine unwürdigen Verdächtigungen, und dann saßen sie ein Weilchen schweigend da. Parker schlürfte langsam seinen Portwein und sah in dessen rosigen Tiefen unvorstellbare Bilder warm aufleuchten. Wimsey zückte seine Brieftasche und blätterte gedankenabwesend in ihrem Inhalt, warf alte Briefe ins Feuer, faltete Notizen auseinander und wieder zusammen und sortierte eine gemischte Sammlung von Visitenkarten anderer Leute. Endlich kam er auch an das Löschblatt aus dem Arbeitszimmer in Riddlesdale, an dessen fragmentarische Tintenspuren er seitdem kaum einen Gedanken verschwendet hatte.

Parker, der seinen Portwein ausgetrunken und sich einen Ruck gegeben hatte, fiel soeben ein, daß er Peter etwas hatte sagen wollen, bevor der Name Lady Mary alle andern Gedanken aus seinem Kopf verjagt hatte. Er drehte sich zu seinem Gastgeber um und hatte schon den Mund geöffnet, um zu reden, aber was er sagen wollte, gedieh nicht über ein einleitendes Zungenschnalzen hinaus, das sich anhörte wie das Klicken eines Uhrwerks, bevor es die Stunde schlägt, denn im selben Moment, als er sich umdrehte, knallte Lord Peters Faust auf das Tischchen, daß die Karaffen klirrten, und er rief mit der lauten Stimme völliger und plötzlicher Erleuchtung:

»Manon Lescaut!«

»Wie?« machte Mr. Parker.

»Man sollte mein Gehirn in Salz kochen!« sagte Lord Peter. »Kochen und zerstampfen und mit Butter als Rübeneintopf servieren, das ist das einzige, wozu es taugt! Sieh mich an!« (Mr. Parker bedurfte kaum dieser Aufforderung.) »Da zerbrechen wir uns den Kopf über Jerry, machen uns Sorgen um Mary, jagen einem Goyles und einem Grimethorpe und weiß der Himmel wem noch nach - und die ganze Zeit habe ich dieses Stückchen Papier wohlverwahrt in meiner Tasche. Die Kleckse auf des Löschblatts Rand, als Kleckse hat er nur erkannt, und waren sie nicht mehr. Aber Manon, Manon! Charles, wenn ich nur die grauen Zellen einer Holzlaus hätte, dieses Buch würde mir die ganze Geschichte erzählt haben. Und stell dir vor, was uns alles erspart geblieben wäre!«

»Nun erreg dich doch nicht so«, sagte Parker. »Es muß ja ein herrliches Gefühl für dich sein, alles so klar zu sehen, aber ich habe Manon Lescaut nie gelesen, und das Löschblatt hast du mir nicht gezeigt, ich habe nicht die verschwommenste Ahnung, was du entdeckt hast.«

Lord Peter überreichte ihm das Souvenir ohne Kommentar.

»Ich sehe«, sagte Parker, »daß dieses Stück Papier ziemlich zerknüllt und schmutzig ist und stark nach Tabak und russischem Leder riecht, und daraus schließe ich, daß du es in deiner Brieftasche hattest.«

»Nein!« rief Wimsey ungläubig. »Und das, nachdem du es mich da hast herausnehmen sehen! Holmes, wie machst du das?«

»An einer Ecke«, fuhr Parker fort, »sehe ich zwei Tintenkleckse, einen größeren und einen kleineren. Da muß wohl jemand die Feder ausgeklopft haben. Ist an diesen Flecken etwas faul?«

»Ich habe nichts bemerkt.«

»Ein Stückchen unter den Flecken hat der Herzog ein paarmal seinen Namenszug hingesetzt - oder sogar seinen Titel. Das bedeutet, daß die Briefe nicht an Vertraute gingen.«

»Dieser Schluß ist zulässig, glaube ich.«

»Oberst Marchbanks hat eine saubere Unterschrift.«

»Der Mann kann kaum Böses im Schilde führen«, meinte Peter. »Er unterschreibt wie ein ehrlicher Mensch! Weiter.«

»Da steht etwas hingekritzelt über fünf irgendwas schöne irgendwas. Siehst du daran etwas Geheimnisvolles?«

»Die Zahl Fünf könnte eine kabbalistische Bedeutung haben, aber ich gebe zu, ich weiß nicht welche. Man hat fünf Sinne, fünf Finger, fünf große chinesische Lehren, fünf Bücher Mose, ganz zu schweigen von diesen fünf Wesenheiten im Dilly-Lied - >Fünf sind der Grellen unter dem Mast<. Ich muß gestehen, daß ich stets danach gelechzt habe, zu wissen, was Grellen sind. Aber da ich es nicht weiß, helfen sie mir in diesem Fall auch nicht weiter.«

»Tja, und das ist alles, bis auf ein paar Bruchstücke von einem >oe< in einer Zeile und >is f.uc darunter.«

»Was stellst du dir darunter vor?«

»>Ist faul< oder so was.«

»So?«

»Das scheint mir die einfachste Deutung zu sein. Oder vielleicht auch >ist fluchwürdig< - zwischen dem >f< und >u< ist die Tinte ein bißchen dick geflossen - das kann alles sein. Meinst du, es heißt >fluchwürdig<? Hat der Herzog etwas über Cathcarts fluchwürdige Tat geschrieben? Meinst du das vielleicht?«

»Nein, das lese ich da nicht heraus. Außerdem ist das nicht Jerrys Handschrift.«

»Wessen denn?«

»Weiß ich nicht. Aber ich kann es mir denken.«

»Und bringt uns das weiter?«

»Es erzählt uns die ganze Geschichte.«

»Na, nun spuck's schon aus, Wimsey. Sogar Dr. Watson würde irgendwann die Geduld verlieren.«