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»Morgen früh, Sir. Ich will in einer Stunde den Zug nach Liverpool erreichen - wenn ich kann.«

»Sie werden«, sagte der Botschafter wohlwollend, während er ein Schriftstück unterschrieb. »Und da heißt es, die Engländer hätten es nie eilig.«

So stach Seine Lordschaft, versehen mit allen notwendigen Papieren, andern Morgens von Liverpool aus in See und überließ es derweil den Juristen, alternative V erteid igungs strategien au szuarb eiten.

»Dann die Peers, zu zwei und zwei in ihrer Reihenfolge, beginnend mit dem jüngsten Baron.«

Der Erste Wappenherold, erhitzt und verwirrt, sprang unglücklich zwischen den rund dreihundert britischen Peers herum, die sich verlegen in ihre Roben zwängten, während die Herolde ihr Möglichstes taten, die Versammelten aufzustellen und davon abzuhalten, wieder durcheinander zu laufen, wenn sie einmal standen.

»So eine Farce!« grollte Lord Attenbury verärgert. Er war ein sehr kleiner, untersetzter Herr von cholerischem Temperament, und es ärgerte ihn, daß er ausgerechnet neben dem Graf von Strathgillan und Begg zu stehen kam, einem ungewöhnlich hochgewachsenen, hageren Edelmann mit entschiedenen Ansichten zur Prohibition und zur Legitim ation sfrage.

»Sagen Sie mal, Attenbury«, ließ sich ein freundlicher Peer mit rotem Gesicht und fünf Reihen Hermelin auf der Schulter vernehmen, »stimmt es, daß Wimsey noch nicht wieder da ist? Meine Tochter erzählt mir, daß er in die Staaten gereist ist, um Beweise aufzutreiben? Wieso in die Staaten?«

»Weiß ich nicht«, sagte Attenbury, »aber Wimsey ist ein blitzgescheiter Bursche. Als er diese Smaragde von mir wiederfand, wissen Sie, da habe ich gesagt -«

»Euer Gnaden, Euer Gnaden!« rief einer der Herolde verzweifelt und stürzte sich ins Gewühl. »Euer Gnaden sind wieder aus der Reihe.«

»Wie, was?« fragte der rotgesichtige Peer. »Menschenskind! Muß wohl Anweisungen befolgen, wie?« Und damit wurde er von den schlichten Earls fortgezogen und neben den Herzog von Wiltshire gestellt, der stocktaub und mit Denver entfernt verschwägert war.

Die Königliche Galerie war zum Bersten gefüllt. Auf den Plätzen unterhalb der Gerichtsschranke, die für die Damen der Peers reserviert waren, saß die Herzoginwitwe von Denver, wundervoll gekleidet und trotzig. Sie litt sehr unter der unmittelbaren Nähe ihrer Schwiegertochter, deren Unglück es war, unausstehlich zu werden, wenn sie Kummer hatte -vielleicht der schwerste Fluch für den Menschen, der zum Leiden geboren ist.

Unten im Saal, hinter einem imponierenden Aufgebot von Verteidigern in Allongeperücken, waren Plätze für die Zeugen reserviert, und dort war auch Mr. Bunter untergebracht - um auszusagen, falls die Verteidigung es für nötig hielt, das Alibi vorzubringen -, während die meisten Zeugen in der Königlichen Garderobe zusammengepfercht saßen, sich auf die Finger bissen und einander anstarrten. Oberhalb der Gerichtsschranke befanden sich auf beiden Seiten die Bänke für die Peers, von denen jeder de facto und de jure ein Richter war, während auf dem hohen Podest der große Staatssessel für den Großhofmeister bereit stand.

Die Reporter an ihrem kleinen Tischchen begannen schon unruhig zu werden und auf die Uhr zu sehen. Durch Mauern und Stimmengesumm gedämpft fielen elf langsame Schläge des Big Ben in die Spannung. Eine Tür ging auf. Die Reporter sprangen von ihren Sitzen; die Verteidiger erhoben sich; alle standen auf; die Herzoginwitwe konnte sich nicht enthalten, ihrer Nachbarin zuzuflüstern, das Ganze erinnere sie an die Stimme, die über Eden wehte; und die Prozession strömte langsam herein, angeleuchtet von den Strahlen der Wintersonne, die durch die hohen Fenster hereindrangen.

Das Verfahren wurde eröffnet mit einem Aufruf um Ruhe durch den Zeremonienmeister, wonach der Königliche Gerichtsschreiber, am Fuße des Throns kniend, dem Großhofmeister seine Ernennung unter dem Großsiegel überreichte, der nichts damit anzufangen wußte und sie dem Königlichen Gerichtsschreiber mit großer Feierlichkeit zurückreichte. Dieser las das langatmige und umständliche Schriftstück den Versammelten vor und gab ihnen so Gelegenheit, festzustellen, wie schlecht die Akustik in diesem Raum war. Der Zeremonienmeister antwortete mit einem volltönenden »God Save the King«, woraufhin der Erste Wappenherold und der Erste Meister des Hosenbandordens, wiederum kniend, dem Großhofmeister seinen Amtsstab überreichten. (»So malerisch, nicht?« meinte die Herzoginwitwe. »Ganz Hochkirche.«)

Es folgte die Prozedur der Aktenvorlage in einer langen und eintönigen Litanei, die sich, beginnend mit Georg V. von Gottes Gnaden, auf sämtliche Richter und Oberrichter des Old Bailey berief, den Oberbürgermeister von London, den Stadtrichter und eine Anzahl anderer Ratsherren und Richter zitierte, zurückkam auf unseren Herrn den König, dann die Londoner City und die Grafschaften von London und Middlesex, Essex, Kent und Surrey durchstreifte, unseren verstorbenen Herrn und König Wilhelm IV. erwähnte, abschweifte ins Kommunalverwaltungsgesetz 1888, sich verlor in einer Aufzählung sämtlicher Verrätereien, Morde, Verbrechen und Vergehen, von wem auch immer und in

* Dieses Amt war, wie üblich, an den Lordkanzler gefallen.

welcher Weise auch immer begangen, vollbracht oder durchgeführt und an wem auch immer und in welcher Weise, sowie aller sonstigen Artikel und Umstände, die alle zusammen und jeder für sich inwiefern und in welcher Weise das Obenerwähnte beträfen, und zuletzt, nachdem sie die Namen der ganzen Großen Geschworenenkammer aufgezählt hatte, triumphierend und mit plötzlicher, brutaler Kürze auf den Anklagepunkt zurückkam:

»Die vereidigten Juroren für unseren Herrn und König erheben Anklage gegen den wohledlen und mächtigen Fürsten Gerald Christian Wimsey, Viscount St. George, Herzog von Denver, Peer des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland, am 13. Oktober im Jahre des Herrn 1923 in der Gemeinde Riddlesdale in der Grafschaft Yorkshire den Hauptmann Denis Cathcart getötet und ermordet zu haben.«

»Danach wurde vom Zeremonienmeister an den Ersten Meister des Hosenbandordens die Aufforderung gerichtet, Gerald Christian Wimsey, Viscount St. George, Herzog von Denver, vor die Gerichtsschranke zu rufen, damit er auf diese Anklage antworte, woraufhin dieser, nachdem er vor die Schranke getreten war, niederkniete, bis der Großhofmeister ihn belehrte, daß er sich erheben dürfe.«

Der Herzog von Denver wirkte sehr klein und nackt und einsam in seinem blauen Straßenanzug, das einzige unbedeckte Haupt unter allen Peers, aber er war nicht ohne eine gewisse Würde, als er zu dem »Stuhl innerhalb der Gerichtsschranken« geleitet wurde, der für wohlgeborene Angeklagte als angemessen gilt, und er hörte dort die Wiederholung der Anklage durch den Großhofmeister mit schlichtem Ernst an, der ihm gut zu Gesicht stand.

»Dann wurde der Herzog von Denver auf die übliche Weise vom Kanzlisten der Parlamente zur Anklage gehört und

* Siehe die Protokolle des Oberhauses für die betreffenden Tage.

gefragt, ob er sich schuldig oder nicht schuldig bekenne, woraufhin er sich als >nicht schuldig« bezeichnete.«

Nun erhob sich Sir Wigmore Wrinching, der Ankläger, um den Fall aus der Sicht der Krone zu schildern.

Nach den üblichen Einleitungsfloskeln des Inhalts, daß der Fall ein sehr schmerzlicher und das Ereignis ein sehr ernstes sei, rollte Sir Wigmore das Geschehen von Anfang an auf: den Streit, den Schuß um drei Uhr morgens, die Pistole, die Entdeckung der Leiche, das Verschwinden des Briefs und die ganzen übrigen bereits bekannten Einzelheiten. Er kündigte ferner Zeugenaussagen an, die zeigen sollten, daß der Streit zwischen Denver und Cathcart andere als die vom Angeklagten behaupteten Gründe gehabt habe und daß letzterer, wie man sehen werde, »guten Grund zu der Befürchtung gehabt« habe, »von Cathcart bloßgestellt zu werden«. Bei diesen Worten sah man den Angeklagten einen besorgten Blick zu seinem Anwalt werfen. Die Darlegung des Falles nahm nur kurze Zeit in Anspruch, und danach bat Sir Wigmore, seine Zeugen aufrufen zu dürfen.