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»Meine Lords - Eure Lordschaften haben nun gehört - und ich, der ich während dieser drei schweren Tage hier dabei war und plädiert habe, weiß, mit welch wachem Interesse und stetem Mitgefühl Sie zugehört haben -, was mein edler Mandant hier vorgebracht hat, um sich gegen den schrecklichen Vorwurf des Mordes zu verteidigen. Sie haben gehört, wie der Tote selbst, gleichsam aus seinem engen Grab, seine Stimme erhoben hat, um Ihnen die Geschichte jener schicksalhaften Nacht des 13. Oktober zu erzählen, und ich bin sicher, Sie hegen in Ihren Herzen keinen Zweifel an der Wahrheit dieser Geschichte. Wie Eure Lordschaften wissen, war mir der Inhalt dieses Briefes völlig unbekannt, bis ich ihn soeben vor Gericht verlesen hörte, und an seiner tiefen Wirkung auf mich selbst kann ich ermessen, wie ungemein schmerzlich er Eure Lordschaften berührt haben muß. In meiner langen Erfahrung als Strafverteidiger habe ich, wie ich glaube, noch nie eine melancholischere Geschichte vernommen als die Geschichte dieses jungen Mannes, den eine tödliche Leidenschaft - denn hier dürfen wir dieses abgenutzte Wort einmal wirklich in seiner vollen Bedeutung gebrauchen - den eine wahrhaft tödliche Leidenschaft in eine Erniedrigung nach der andern und schließlich in den gewaltsamen Tod von eigner Hand trieb.

Der edle Peer auf der Anklagebank wurde vor Ihnen, meine Lords, des Mordes an diesem jungen Mann bezichtigt. Daß er dieses Verbrechens nicht schuldig ist, muß Euren Lordschaften im Lichte dessen, was wir gehört haben, so klar sein, daß jedes weitere Wort von mir überflüssig erscheinen möchte.

In der Mehrzahl der Fälle dieser Art ist die Beweislage wirr und widersprüchlich; hier aber ist der Gang der Ereignisse so klar und in sich geschlossen, daß wir, wenn wir dabeigewesen wären und das Drama vor unsern eigenen Augen wie vor dem alles sehenden Auge Gottes hätten ablaufen sehen, kaum eine lebendigere und genauere Vorstellung von den Begebenheiten jener Nacht haben könnten. Ja, wäre Denis Cathcarts Tod das einzige Ereignis dieser Nacht gewesen, ich möchte sogar behaupten, daß die Wahrheit auch nicht einen Augenblick in Zweifel hätte stehen können. Da jedoch infolge einer Kette unerhörter Zufälle die Geschichte des Denis Cathcart mit so vielen anderen Geschehnissen verwoben wurde, will ich sie nun noch einmal von Anfang an erzählen, damit im Nebel so vieler Indizien auch nicht ein einziger Punkt im dunkeln bleibt.

Lassen Sie mich also noch einmal an den Anfang zurückkehren. Sie haben gehört, daß Denis Cathcart aus einer Mischehe stammt - aus der Vereinigung einer jungen, hübschen Südländerin mit einem Engländer, der zwanzig Jahre älter war als sie: herrisch, leidenschaftlich und zynisch. Bis zum Alter von achtzehn Jahren lebt er mit seinen Eltern auf dem Kontinent, reist von Ort zu Ort, bekommt mehr von der Welt zu sehen als selbst ein durchschnittlicher junger Franzose seines Alters und erlernt den Kodex der Liebe in einem Land, wo das crime passionel verstanden und verziehen wird, wie es hierzulande niemals möglich wäre.

Mit achtzehn Jahren erleidet er einen furchtbaren Verlust. In sehr kurzen Zeitabständen verliert er beide Eltern - seine schöne, angebetete Mutter und seinen Vater, der es, wenn er am Leben geblieben wäre, vielleicht verstanden hätte, diesen ungestümen jungen Mann zu leiten, den er da in die Welt gesetzt hatte. Doch der Vater stirbt, nachdem er zwei letzte Wünsche geäußert hat, die sich beide, so natürlich sie sonst waren, unter den gegebenen Umständen als verhängnisvoll unklug erwiesen. Er gab den Sohn in die Obhut seiner Schwester, die er viele Jahre nicht gesehen hatte, und verfügte, daß der Junge auf seine eigene alte Universität geschickt werden solle.

Meine Lords, Sie haben Miss Lydia Cathcart gesehen und ihre Aussage gehört. Sie haben erkannt, wie aufrecht, wie gewissenhaft, mit welch christlicher Selbstverleugnung sie die ihr anvertraute Aufgabe erfüllt hat, und wie unausweichlich sie es dennoch nicht vermochte, zwischen sich und ihrem jungen Schützling ein echtes Vertrauensverhältnis herzustellen. Er, der arme Junge, der seine Eltern auf Schritt und Tritt vermißte, wurde in Cambridge in eine Gesellschaft junger Männer geworfen, die gänzlich anders erzogen waren als er. Einem jungen Mann von seiner weltstädtischen Erfahrung muß die Jugend von Cambridge mit ihrem Sport und Spiel, ihren naiven abendlichen Exkursionen in die Philosophie unvorstellbar kindisch vorgekommen sein. Sie alle werden sich dank Ihrer eigenen Erinnerungen an Ihre Alma Mater sehr gut Denis Cathcarts Leben in Cambridge vorstellen können, seine äußerliche Unbeschwertheit, seine innere Leere.

Da er eine diplomatische Karriere anstrebte, suchte Cathcart die Bekanntschaft der Söhne reicher und einflußreicher Familien. Aus weltlicher Sicht kam er gut zurecht, und als er mit einundzwanzig Jahren ein hübsches Vermögen erbte, schien der Weg zum Erfolg ihm weit offenzustehen. Sowie er seinen Bakkalaureus hatte, schüttelte er den akademischen Staub von Cambridge von den Füßen, ging nach Frankreich, ließ sich in Paris nieder und machte sich still und zielstrebig daran, sich ein Eckchen in der Welt der internationalen Politik einzurichten.

Nun aber tritt dieser schreckliche Einfluß in sein Leben, der ihn seines Vermögens, seiner Ehre, ja seines Lebens selbst berauben sollte. Er verliebt sich in eine schöne junge Frau von jenem erlesenen, unwiderstehlichen Charme, für den die Hauptstadt Österreichs ja weltberühmt ist. Wie ein zweiter Chevalier des Grieux verfällt er dieser Simone Vonderaa mit Leib und Seele.

Beachten Sie, daß er in dieser Angelegenheit dem strengen kontinentalen Kodex folgt: völlige Hingabe, völlige Diskretion. Sie haben gehört, was für ein ruhiges Leben er führte, wie >range< er wirkte. Wir haben hier gehört, wie diskret er seine Geldangelegenheiten regelte, wie er hohe Schecks auf sich selbst ausstellte und die Beträge in nicht zu großen Scheinen abhob, und wie sich von Quartal zu Quartal regelmäßig wieder ausreichende >Ersparnisse< ansammelten. Das Leben zeigte sich für Denis Cathcart von der schönsten Seite. Er war reich und ehrgeizig, hatte eine schöne, entgegenkommende Geliebte, und die Welt lag offen vor ihm.

Und dann, meine Lords, schlägt mitten in diese vielversprechende Laufbahn der Weltkrieg ein wie ein Blitz -erbarmungslos zerschmettert er seine Sicherheiten, reißt das Gebäude seiner Hoffnungen ein, zerstört und verwüstet hier wie anderswo alles, was das Leben schön und lebenswert macht.

Sie haben Denis Cathcarts glänzende militärische Karriere kennengelernt. Darauf brauche ich nicht näher einzugehen. Wie Tausende anderer junger Männer hat er diese fünf Jahre der Mühsal und Desillusionierung tapfer hinter sich gebracht, an deren Ende er zwar Leben und Gesundheit noch besaß und insofern weit besser dran war als viele seiner Kameraden, und doch lag sein Leben in Scherben.

Von seinem großen Vermögen - das samt und sonders in russischen und deutschen Werten angelegt war - ist buchstäblich nichts mehr übrig. Was aber, werden Sie sagen, konnte das einem jungen Mann anhaben, der so gut ausgebildet war, solch ausgezeichnete Verbindungen hatte, dem alle Türen offenstanden? Er brauchte doch nur ein paar Jahre zu warten und hätte vieles von dem Verlorenen wieder aufbauen können. Aber ach, meine Lords - er konnte es sich nicht leisten, zu warten! Er war in Gefahr, etwas zu verlieren, das ihm teurer war als Geld und Karriere; er brauchte Geld, viel Geld, und zwar sofort.

Meine Lords, in diesem ergreifenden Brief, der uns heute morgen vorgelesen wurde, ist nichts Rührenderes und Schrecklicheres enthalten als dieses Geständnis: Ich wußte, daß du nicht anders konntest als mich betrügen. Während dieser ganzen Zeit des scheinbaren Glücks wußte er genau, daß sein Haus auf Sand gebaut war. Ich habe mir nie Illusionen gemacht, sagt er. Vom ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft an hat sie ihn belogen, und er wußte es, und doch war dieses Wissen machtlos, die Bande seiner tödlichen Faszination zu lösen. Wenn einer von Ihnen, meine Lords, die Macht der Liebe je in dieser unwiderstehlichen - ich möchte sagen, schicksalhaften - Weise kennengelernt hat, so mag diese Erfahrung Ihnen seine Lage besser verdeutlichen, als meine armseligen Worte es könnten. Ein großer französischer Dichter und ein großer englischer Dichter haben dies in wenigen Worten zusammengefaßt. Racine sagt über solche Faszination: