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Die vierzehn Tage in Italien änderten nichts am Ergebnis meiner Arbeit für October, doch für mich waren sie sehr wichtig. Zum erstenmal seit dem Tod meiner Eltern machte ich richtig Urlaub, zum erstenmal seit neun Jahren dachte ich sorglos und unbeschwert nur an mich selbst.

Ich wurde jünger. Anstrengende Tage auf den Hängen und eine Reihe von durchtanzten Apres-Ski-Abenden ließen die Jahre des Verantwortungsbewußtseins wie Häute von mir abfallen, bis ich mich wie siebenundzwanzig statt wie fünfzig fühlte, wie ein junger Mann statt wie ein Familienvater, bis die innere Befreiung, die mit meiner Abreise aus Australien begonnen und mich durch meine Zeit bei Inskip getragen hatte, plötzlich abgeschlossen schien.

Besonders schön war auch die Zeit mit einer der Empfangsangestellten, einer lebhaften, gutgewachsenen jungen Frau, die mich auf den ersten Blick mochte und sich nicht lange bitten ließ, nachts in mein Bett zu kommen. Sie nannte mich ihre Weihnachtsüberraschung. Ich sei ihr ausgelassenster Liebhaber seit langem und sie sei gern mit mir zusammen. Wahrscheinlich trieb sie es wesentlich wilder als Patty, aber sie war mit sich im reinen, und ich fühlte mich sauwohl mit ihr anstatt beschämt.

Am Tag meiner Abreise, als ich ihr ein goldenes Armband schenkte, küßte sie mich und sagte, ich solle nicht wiederkommen, denn beim zweitenmal sei alles nicht mehr so schön. Für Junggesellen war dieses Mädchen ein Geschenk des Himmels.

Ich flog an Weihnachten zurück nach England, geistig und körperlich in Höchstform und gewappnet gegen alles Üble, was von Humber kommen konnte. Das war schon ganz gut so.

Kapitel 8

In Stafford am zweiten Weihnachtsfeiertag warf eines der im ersten Lauf, dem Verkaufsrennen, startenden Pferde gleich nachdem es an vierter Stelle über das letzte Hindernis gekommen war, seinen Jockey ab, durchbrach die Rails und stob über das ungemähte Gras in der Platzmitte davon.

Ein Pfleger, der nicht weit von mir auf den zugigen Stufen hinter dem Waageraum stand, rannte fluchend los, um es einzufangen, doch da das Pferd wie durchgedreht von einem Ende der Bahn zum anderen galoppierte, brauchten der Pfleger, der Trainer und ungefähr zehn Helfer eine Viertelstunde, bis sie es am Zaum zu fassen bekamen. Ich sah zu, wie sie das Pferd, einen Braunen ohne Abzeichen, mit besorgten Gesichtern von der Bahn herunter und an mir vorbei zu den Stallungen führten.

Das arme Tier schäumte und triefte vor Schweiß und war offensichtlich in Panik; Schaum bedeckte Nüstern und Maul, und es verdrehte wild die Augen. Mit angelegten Ohren, zitternden Muskeln schlug es nach jedem aus, der in seine Nähe kam.

Dem Rennprogramm entnahm ich, daß es Superman hieß. Es gehörte nicht zu den elfen, über die ich ermittelte, doch sein hochgeputschtes Aussehen und sein panisches Verhalten, noch dazu ausgerechnet hier in Stafford beim Verkaufsrennen, überzeugten mich, daß es das zwölfte in der Reihe war. Das zwölfte; und bei ihm war es schiefgegangen. Wie Beckett gesagt hatte, waren die Anzeichen des Dopings unübersehbar. Ich hatte noch nie ein Pferd in einem solchen Zustand erlebt, für den mir die Bezeichnung» erregter Sieger «aus den Zeitungsausschnitten viel zu mild erschien, und ich kam zu dem Schluß, daß Superman entweder eine Überdosis erhalten oder die bei den anderen bewährte Dosis überaus schlecht vertragen hatte.

Weder October noch Macclesfield waren nach Stafford gekommen. Ich hoffte inständig, daß die von October versprochenen Vorbeugemaßnahmen wie etwa Speichelproben vor dem Start trotz Weihnachten auch hier durchgeführt worden waren, denn ohne meine Tarnung aufzugeben, konnte ich weder einen Funktionär danach fragen noch verlangen, daß man den Jockey nach seinen Eindrücken befragte, ungewöhnliche Wetten überprüfte und das Pferd genauestens auf Einstiche untersuchte.

Da Superman alle Sprünge sicher genommen hatte, neigte ich immer mehr zu der Ansicht, daß das Doping erst unmittelbar vor oder nach dem letzten Hindernis auf ihn gewirkt haben konnte. Da erst war er durchgedreht und hatte, statt zu siegen, seinen Jockey abgeworfen und das Weite gesucht. Da erst hatte er den Energieschub für die letzten vierhundert Meter bekommen, für die lange Zielgerade, die ihm Zeit und Raum ließ, an den Führenden vorbeizuziehen.

Der einzige auf der Rennbahn, mit dem ich unbesorgt reden konnte, war Supermans Pfleger, doch bei dem Zustand seines Pferdes würde es sicher einige Zeit dauern, bis er aus dem Stall kam. Inzwischen mußte ich mich weiter darum kümmern, bei Humber eine Stellung zu bekommen.

Ich war ungekämmt, mit hochgestelltem Lederkragen auf der Rennbahn erschienen, die spitzen Schuhe ungeputzt, die Hände in den Taschen, und zeigte ein mürrisches Gesicht. Ich blamierte die Innung und war mir dessen bewußt.

Es war kein Vergnügen gewesen, an diesem Morgen wieder in» Dannys «Klamotten zu schlüpfen. Die Pullover stanken nach Pferd, die enge, billige Freizeithose sah schmuddlig aus, das Unterzeug war grau gewaschen, und an den Arbeitsjeans klebte noch Dreck. Weil es schwierig gewesen wäre, die Sachen an Weihnachten zurückzubekommen, hatte ich darauf verzichtet, sie vor meiner Abreise in die Reinigung zu geben, und obwohl ich sie ungern so angezogen hatte, wie sie waren, bereute ich es nicht. Um so heruntergekommener sah ich aus.

Rasiert und umgezogen hatte ich mich in der Flughafengarderobe in West Kensington, die Skier und mein Reisegepäck hatte ich in der Gepäckaufbewahrung am Bahnhof Euston deponiert, dann eine Stunde ungemütlich dort auf einem Wartesitz geschlafen und mir Sandwiches und Kaffee an der Selbstbedienungstheke geholt, bevor ich in den Sonderzug nach Stafford gestiegen war. Wenn das so weiterging, dachte ich ironisch, würden meine Habseligkeiten bald quer über London verteilt sein, denn weder auf der Hin- noch auf der Rückreise hatte ich mich entschließen können, die bei Terence in Octobers Londoner Wohnung zurückgelassenen Sachen abzuholen. Ich wollte October nicht begegnen. Ich mochte ihn und war nicht geneigt, mich seinem bitteren Groll auszusetzen, wenn es nicht unbedingt sein mußte.

Humber hatte an Weihnachten nur einen Starter, ein schmächtiges Hürdenpferd im vierten Rennen. Ich hängte mich über die Abzäunung bei den Sattelboxen und schaute zu, wie der Hürdler vom Futtermeister aufgesattelt wurde, während Humber selbst, auf seinen knorrigen Gehstock gestützt, Anweisungen gab. Ihn hatte ich mir noch einmal gut ansehen wollen, und sein Anblick war ermutigend insofern, als man ihm durchaus Böses zutrauen konnte, und entmutigend insofern, als ich ihm würde gehorchen müssen.

Sein massiger Leib steckte in einem gutgeschnittenen kurzen Kamelhaarmantel, unter dem dunkle Hosen und blitzblanke Schuhe hervorschauten.

Auf dem Kopf trug er eine sehr korrekt aufgesetzte Melone, an den Händen makellose, helle Schweinslederhandschuhe. Sein Gesicht war großflächig, aber nicht fett, mit harten Zügen. Augen, die nicht lächelten, ein verbissener Mund und tiefe Furchen von den Nasenflügeln bis zum Kinn verliehen ihm einen Ausdruck kalten Eigenwillens.

Er stand ganz still und machte keine Bewegung zuviel, das genaue Gegenteil von Inskip, der dauernd um die Pferde herumturnte, Gurte und Schnallen kontrollierte, am Sattel schob, am Sattel zog, Beine abtastete und nervös immer noch mal nach dem Rechten sah.

Hier bei Humber war der Junge, der das Pferd hielt, nervös. Verängstigt, konnte man schon sagen. Immer wieder warf er verhuschte, erschreckte Blicke auf Humber, und so gut es ging, blieb er hinter dem Pferd in Deckung. Ein dünner, abgerissener Junge um die Sechzehn, und wie es mir vorkam, geistig nicht ganz auf der Höhe.

Der Futtermeister, ein gestandener Mann mit großer Nase und unfreundlicher Miene, paßte in Ruhe den Sattel an und bedeutete dem Pfleger nickend, das Pferd in den Führring zu bringen. Humber ging mit. Sein leichtes Hinken wurde durch den Gebrauch des Gehstocks mehr oder minder kaschiert, und er lief stur geradeaus wie ein Panzer, als müßten alle anderen selbstverständlich weichen.