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Samstags wickelte ich das Motorrad aus der dicken Plastikplane und brauste mit Jerry als begeistertem Sozius nach Posset. Ich nahm den einfältigen armen Jungen immer mit, weil es ihm die ganze Woche am schlimmsten erging, und in Posset hatten wir unsere feste Tour. Als erstes fuhren wir zur Poststelle, weil ich» meine Raten überweisen «mußte. Direkt am Schalter, zwischen Stößen von Telegrammformularen und rosa Löschpapier, schrieb ich meinen Wochenbericht für October, wobei ich achtgab, daß mir niemand vom Stall über die Schulter sah. Eventuelle Antwortbriefe warf ich, nachdem ich sie gelesen hatte, handgeschreddert in den Papierkorb.

Jerry ging davon aus, daß ich mindestens eine Viertelstunde am Schalter zu tun hatte, und verbrachte die Zeit arglos in der Spielwarenabteilung auf der anderen Seite des Ladens. Zweimal kaufte er sich ein großes Modellauto mit Friktionsantrieb und spielte in unserem Schlafraum damit, bis sie den Geist aufgaben, und jede Woche kaufte er sich ein Comicheft mit Bildgeschichten, die ihn tagelang erfreuten. Er konnte die Sprechblasen nicht lesen und fragte mich oft, was da geschrieben stand, so daß ich die Abenteuer von Mickey dem Affen und Flip McCoy eingehend kennenlernte.

Von der Poststelle düsten wir zweihundert Meter weiter, um essen zu gehen — die rituelle Teemahlzeit in einem ungastlichen Cafe mit margarinefarbenen Wänden, kaltem Licht und schmutzigen Tischplatten. Pepsi-Cola-Schilder waren das einzige Dekor und die einzige Bedienung ein schlafäugiges, Strümpfe verachtendes Mädchen mit dünnen, graubraunen Haaren, die sie zu einem verfilzten Haufen hochgesteckt hatte.

Sei es drum. Jerry und ich bestellten und aßen mit unbeschreiblichem Vergnügen eine Ladung Lammkoteletts, Spiegeleier, weiche Fritten und leuchtendgrüne Erbsen. An den Nebentischen ließen es sich Charlie und die anderen schmecken. Das Mädchen wußte, woher wir kamen, und sah auf uns herab, da ihrem Vater das Cafe gehörte. An der Kasse stopften wir uns noch die Taschen mit Schokolade zur Ergänzung von Humbers Hauskost voll, ein Vorrat, der jedesmal reichte, bis Reggie ihn fand.

Um fünf waren wir wieder im Stall, das Motorrad eingepackt, der Höhepunkt der Woche nichts als eine Erinnerung, ein Rülpsen, und vor uns lagen die nächsten trostlosen sieben Tage.

Zum Nachdenken gab es bei diesem Trott Zeit genug. Stunden, während man die Pferde auf Feldwegen in der froststarren Flur herumführte, Stunden, während man ihnen den Staub aus dem Fell bürstete, den Mist aus ihren Boxen schaffte und ihnen Wasser und Heu brachte, Stunden, in denen man nachts wachlag, unterhalten vom

Stampfen der Pferde, vom Geschnarche und Geflüster aus den anderen Betten.

Immer und immer wieder überdachte ich, was ich gesehen, gelesen, gehört hatte, seit ich in England war, und das Bedeutsamste von allem schien mir der Auftritt Supermans in Stafford zu sein. Er war gedopt worden, er war der zwölfte in der Reihe, nur hatte er nicht gesiegt. Schließlich stellte ich diese Gedankenfolge um. Er war gedopt worden und hatte nicht gesiegt; aber war er tatsächlich der zwölfte in der Reihe? Er konnte der dreizehnte oder vierzehnte sein… schon andere konnten sich als Fehlschlag erwiesen haben.

Am dritten Samstag, gut drei Wochen nach meinem Antritt bei Humber, schrieb ich October mit der Bitte, mir den von Tommy Stapleton zurückgelassenen Zeitungsausschnitt über das durchgedrehte Pferd in Cartmel herauszusuchen, das am Führring eine Frau tödlich verletzt hatte. Ich bat ihn, die Lebensgeschichte des Pferdes zu recherchieren.

Acht Tage später kam seine maschinengeschriebene Antwort.

Old Etonian, getötet Pfingsten letzten Jahres in Cartmel, Lancashire, war den November und Dezember davor bei Humber. Humber hatte ihn nach einem Verkaufsrennen ersteigert und schlug ihn sieben Wochen darauf in Leicester wieder los.

Aber: Old Etonian ist im Führring vor dem Rennen wild geworden; er sollte in einem Ausgleichs-, nicht in einem Verkaufsrennen starten; und die Zielgerade in Cartmel ist kurz. Nichts davon entspricht dem bei den anderen Fällen festgestellten Muster.

Die Dopingproben bei Old Etonian waren negativ. Niemand konnte sich sein Verhalten erklären.

Tommy Stapleton mußte eine Ahnung gehabt haben, sonst hätte er den Bericht nicht ausgeschnitten, dachte ich, aber er hatte sich Gewißheit verschaffen wollen. Und das hatte ihn das Leben gekostet. Daran gab es jetzt keinen Zweifel mehr.

Ich zerriß den Brief und fuhr mit Jerry ins Cafe, hatte die Gefährlichkeit meines Spiels zwar mehr im Hinterkopf als sonst, ließ mir den Appetit auf das einzig wahre Essen der Woche davon aber nicht verderben.

Beim Abendessen ein paar Tage später, als Charlie sein Kofferradio mit dem Pop aus Luxemburg, den ich inzwischen ganz gern hörte, noch nicht eingeschaltet hatte, brachte ich das Gespräch auf die Rennbahn in Cartmel; wie die so wäre, wollte ich wissen.

Nur Cecil, der Trinker, kannte sie.

«Das ist nicht mehr dasselbe wie früher«, meinte er feierlich und bemerkte nicht, wie Reggie ihm ein Stück Brot mit Margarine stibitzte.

Cecil glaste aus wäßrigen Augen, aber ich hatte meine Frage glücklicherweise genau zum richtigen Zeitpunkt gestellt, in der gesprächigen halben Stunde zwischen der bleiernen Nachmittagsdröhnung und seinem Abtauchen zum Volltanken für die Nacht.

«Wie war es denn früher?«fragte ich.

«Die hatten einen Jahrmarkt dabei. «Er hickste.»Mit Karussells, Schaukeln, Schaubuden und allem. Für die Feiertage. Pfingsten und so. Außer dem Derby das einzige, wo man beim Pferderennen auf den Rummel gehen konnte. Das ist jetzt vorbei. Die wollen nicht, daß man seinen Spaß hat. Hat doch keinem geschadet, der Jahrmarkt.«

«Jahrmärkte«, schnaubte Reggie verächtlich und faßte den Brotkanten ins Auge, den Jerry in der Hand hielt.

«Gut zum Abgreifen«, meinte Lenny großspurig.

«Ja«, räumte Charlie ein, der sich noch nicht darüber klar war, ob Lenny sich dank der Besserungsanstalt als Kumpel von jemand der hohen Schule qualifizierte.

«Was?«Cecil kam nicht mit.

«Abgreifen. Taschen ausräumen«, erläuterte Lenny.

«Ach so. Damit war es bei den Hunderennen wohl nichts, aber die gibt’s auch nicht mehr. Das ging doch gut zusammen. Ein Renntag in Cartmel war immer was Besonderes, aber jetzt ist es der gleiche Zimt wie überall. Da kannst du auch nach Newton Abbot gehen. Alles nach Schema F. «Er rülpste.

«Was waren das für Hunderennen?«fragte ich.

«Na, Hunderennen eben. «Er lächelte töricht.»Gab eins vor und eins nach den Pferderennen, und jetzt ist es Essig damit. Spielverderber sind das. Trotzdem«, er grinste pfiffig,»wenn man sich auskennt, kann man immer noch auf die Hunde setzen. Die laufen jetzt morgens, auf der anderen Seite vom Ort, aber wenn man sein Pferd schnell versorgt, kann man da noch mitwetten.«

«Hunde?«sagte Lenny ungläubig.»Die laufen doch auf so ’ner Rennbahn nicht. Schon weil kein elektrischer Hase da ist.«

Cecil drehte sich unsicher nach ihm um.

«Für Hunde brauchst du keine Bahn«, sagte er belehrend, mit schwerer Zunge.»Da reicht eine Fährte, Mann. Jemand zieht mit einem Sack Anissamen und Paraffin oder so etwas los und schleift ihn ein paar Meilen durch die Pampa. Dann lassen sie die Hunde los, und der erste, der rumkommt, hat gewonnen. Vor zwei Jahren hat einer im letzten Kilometer auf den Favorit geschossen, und es gab Zoff. Aber der Schuß ging daneben. Getroffen hat’s den Hund dahinter, einen nicht gesetzten Außenseiter.«