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Margaret Weis

Tracy Hickman

Drachendämmerung

1

Ein alter Mann und ein goldener Drache

Er war ein uralter goldener Drache, der älteste seiner Art. In seiner Jugend war er ein feuriger Kämpfer gewesen. Die Narben seiner Siege waren auf seiner faltigen goldenen Haut sichtbar. Sein Name war einst so glanzvoll wie seine Siege gewesen, aber er hatte ihn schon vor langer Zeit vergessen. Einige der jüngeren, respektlosen goldenen Drachen nannten ihn liebevoll Eisenkies, oder auch Narrengold, aufgrund einer nicht seltenen Angewohnheit, die Gegenwart geistig auszublenden und seine Vergangenheit wiedererstehen zu lassen.

Er hatte kaum noch Zähne. Seit Äonen hatte er kein Stück Hirschfleisch mehr gefressen oder einen Goblin verspeist. Hin und wieder konnte er einen Hasen kauen, aber meistens ernährte er sich von Haferbrei.

Wenn Eisenkies in der Gegenwart lebte, war er ein intelligenter, wenn auch anstrengender Gefährte. Seine Sehkraft ließ nach, obwohl er es nie zugeben würde, und er war so taub wie ein Türgriff. Aber er konnte schnell denken. Seine Reden waren immer noch spitz wie ein Zahn – wie es bei den Drachen heißt. Nur diskutierte er selten das gleiche Thema wie die anderen in einer Gesellschaft.

Aber wenn er in seiner Vergangenheit weilte, zogen sich die anderen goldenen Drachen in ihre Höhlen zurück. Denn wenn er sie daran erinnerte, konnte er immer noch bemerkenswert gut Zaubersprüche werfen, und seine Atemwaffen waren immer noch beeindruckend.

An diesem Tag jedoch war Eisenkies weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart. Er befand sich in den Ebenen der Ostwildnis und döste in der warmen Frühlingssonne. Neben ihm saß ein alter Mann, der das gleiche tat, sein Kopf ruhte an der Flanke des Drachen.

Ein zerbeulter Hut lag über dem Gesicht des alten Mannes, um seine Augen vor der Sonne zu schützen. Ein langer, weißer Bart floß unter dem Hut hervor. Unter der langen, mausgrauen Robe lugten Stiefel hervor.

Beide schliefen tief und fest. Die Flanken des goldenen Drachen hoben und senkten sich mit seinem zischenden Atem. Der Mund des alten Mannes war weit geöffnet, und manchmal wachte er von einem gewaltigen Schnarchen auf. Wenn dies geschah, richtete er sich kerzengerade auf, wobei sein Hut auf den Boden rollte, und sah sich beunruhigt um. Wenn er dann festgestellt hatte, daß nichts zu sehen war, grunzte er verärgert, setzte seinen Hut wieder auf, nachdem er ihn gefunden hatte, stieß wütend den Drachen in die Rippen und setzte dann sein Nickerchen fort.

Ein zufällig vorbeikommender Spaziergänger würde sich fragen, warum im Namen der Hölle diese beiden so seelenruhig in den Ebenen der Ostwildnis schliefen, auch wenn es ein noch so schöner, warmer Frühlingstag war. Der Spaziergänger würde wohl annehmen, daß die beiden auf jemanden warteten, denn der alte Mann wurde gelegentlich wach, entfernte seinen Hut und spähte ernst in den leeren Himmel.

Ein Spaziergänger hätte sich gewundert – wenn es Spaziergänger gegeben hätte. Die Ebenen der Ostwildnis waren von Drakoniern und Goblinsoldaten übersät. Falls die beiden wußten, daß sie an einem gefährlichen Ort ein Nickerchen hielten, schien es sie nicht zu stören.

Der alte Mann, der wieder von einem besonders heftigen Schnarchen wach geworden war, wollte gerade seinen Gefährten wegen dieses unerträglichen Lärms beschimpfen, als ein Schatten auf sie fiel.

»Ha!« sagte der alte Mann wütend und starrte nach oben.

»Drachenreiter! Eine ganze Gruppe. Haben wohl nichts Gutes im Sinn. Mir reicht es langsam. Jetzt haben sie auch noch den Mut, mir meine Sonne wegzunehmen. Wach auf!« schrie er und stieß Eisenkies mit seinem alten, verschlissenen Stab.

Der goldene Drache murrte, öffnete ein goldenes Auge und starrte den alten Mann an (er sah nur einen mausgrauen Schleier), dann schloß er wieder ruhig das Auge.

Die Schatten zogen vorüber – vier berittene Drachen.

»Wach auf, sage ich, du Faulpelz!« gellte der alte Mann. Selig schnarchend rollte sich der Goldene auf den Rücken, seine Klauenfüße ragten in die Luft, sein Bauch war der warmen Sonne zugewandt.

Der alte Mann funkelte den Drachen einen Moment lang wütend an, dann rannte er mit einer plötzlichen Eingebung um den großen Kopf herum. »Krieg!« brüllte er schadenfroh in ein Ohr des Drachen. »Es ist Krieg! Wir werden angegriffen...«

Die Wirkung war verblüffend. Eisenkies' Augen flammten auf. Er rollte sich wieder auf den Bauch, seine Füße gruben sich tief in den Boden. Sein Kopf richtete sich kämpferisch auf, seine goldenen Flügel spreizten sich und begannen zu schlagen und ließen meterweit Staub- und Sandwolken aufwirbeln.

»Krieg!« posaunte er. »Krieg! Wir werden gebraucht. Die Scharen sollen sich versammeln! Formiert euch zum Angriff!«

Der alte Mann wirkte ziemlich bestürzt über diese plötzliche Verwandlung, und einen Augenblick war er zum Schweigen verdammt, weil er zufällig Staub eingeatmet hatte. Als er jedoch sah, daß der Drache sich in die Lüfte heben wollte, rannte er mit seinem Hut winkend nach vorn.

»Warte!« schrie er hustend und würgend. »Warte auf mich!«

»Wer bist du, daß ich warten soll?« brüllte Eisenkies. Der Drache glotzte durch die Staubschwaden. »Bist du mein Zauberer?«

»Ja, ja«, rief der alte Mann hastig. »Ich bin... uh... dein Zauberer. Senke deinen Flügel ein wenig, damit ich aufsteigen kann. Danke, bist ein guter Bursche. Jetzt muß ich... oh! Huh! Ich bin nicht angeschnallt!... Sieh doch mal! Mein Hut! Verdammt, ich habe dir noch nicht befohlen, abzuheben!«

»Wir müssen rechtzeitig zur Schlacht kommen«, schrie Eisenkies heftig. »Huma kämpft allein!«

»Huma!« Der alte Mann schnaufte verächtlich. »Nun, zu dieser Schlacht wirst du sowieso nicht pünktlich ankommen! Ein paar hundert Jährchen zu spät. Aber das ist auch nicht die Schlacht, die ich im Sinn habe. Dort im Osten fliegen vier Drachen. Böse Kreaturen! Wir müssen sie aufhalten...«

»Drachen! Ach ja! Ich sehe sie!« brüllte Eisenkies, der sich an die Verfolgung von zwei äußerst erschrockenen und höchst beleidigten Adlern machte.

»Nein! Nein!« gellte der alte Mann und trat dem Drachen in die Flanken. »Östlich, du Dummkopf! Flieg etwas weiter östlich!«

»Bist du sicher, daß du mein Zauberer bist?« fragte Eisenkies mit tiefer Stimme. »Mein Zauberer hat niemals in diesem Ton zu mir gesprochen.«

»Ich bin... uh, tut mir leid, alter Bursche«, sagte der alte Mann schnell, »nur ein bißchen nervös. Bevorstehender Konflikt und so.«

»Bei den Göttern, da sind ja vier Drachen!« stellte Eisenkies erstaunt fest, der gerade einen verschwommenen Blick auf sie erhascht hatte.

»Flieg so nah wie möglich an sie heran, damit ich sie in Reichweite habe«, schrie der alte Mann. »Ich habe einen wunderschönen Zauber – Feuerkugel. Nun«, murmelte er, »wenn ich mich nur erinnern könnte, wie er funktioniert.«

Zwei Offiziere der Drachenarmee ritten in einer Schar von vier bronzenen Drachen. Der Anführer war ein bärtiger Mann, dessen Helm etwas zu groß und etwas zu verschlissen war. Der andere Offizier bildete den Schluß. Er war riesig und breit, seine schwarze Rüstung sprang fast auseinander. Er trug keinen Helm – wahrscheinlich gab es keinen, der groß genug war -, aber sein Gesicht war grimmig und wachsam, insbesondere im Hinblick auf die Gefangenen, die sie eskortierten.

Es war eine merkwürdige Ansammlung von Gefangenen eine Frau, deren Rüstung nicht zusammenpaßte, ein Zwerg, ein Kender und ein Mann mittleren Alters mit langen zerzausten grauen Haaren.

Demselben Spaziergänger, der den alten Mann und seinen Drachen betrachtet hätte, wäre aufgefallen, daß die Offiziere und ihre Gefangenen versuchten, die Bodentruppen des Drachenfürsten zu umfliegen. Wenn eine Gruppe Drakonier sie erspähte und ihnen etwas zuschrie, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, wurde sie in der Tat von den Offizieren sorgfältig ignoriert. Ein aufmerksamer Beobachter hätte sich auch gefragt, seit wann bronzene Drachen im Dienst des Drachenfürsten standen.