»Was für Gefangene?« fragte er gereizt, während er hastig einige Formalitäten für die Zeremonie erledigte. »Betrunkene Drakonier? Nimm sie einfach...«
»Ich...ich glaube, Ihr solltet mitkommen, H...herr.« Der Goblin schwitzte, und schwitzende Goblins sind äußerst unangenehm. »E...es sind einige M...menschen und ein K...kender.«
Der Hauptmann rümpfte die Nase. »Ich habe doch...« Er hielt inne. »Ein Kender?« fragte er und sah interessiert auf.
»Auf keinen Fall ein Zwerg?«
»Soviel ich weiß, nicht, Herr«, antwortete der erbarmungswürdige Goblin. »Aber ich könnte in der Menge einen übersehen haben, Herr.«
»Ich komme mit«, sagte der Hauptmann. Eilig schnallte er sein Schwert um und folgte dem Goblin zum Haupttor.
Hier herrschte für den Moment Frieden. Ariakus' Truppen befanden sich nun alle im Tempelzelt. Kitiaras Soldaten schubsten und stritten bei der Bildung von Reihen für den Einmarsch.
Es war fast Zeit für die Zeremonie. Der Hauptmann warf der Gruppe einen eiligen Blick zu.Zwei Drachenarmeeoffiziere hohen Ranges standen wachsam bei einer Gruppe verdrossen blickender Gefangener. Der Hauptmann musterte die Gefangenen eingehend, sich an Anweisungen erinnernd, die er zwei Tage zuvor erhalten hatte. Er sollte insbesondere auf einen Zwerg, der mit einem Kender reiste, aufpassen. Möglicherweise waren sie mit einem Elfenlord und einer Elfenfrau mit langen silbernen Haaren – in Wirklichkeit ein silberner Drache – zusammen. Es wären die Gefährten der Elfenfrau, die sie als Gefangene hielten, und die Dunkle Königin erwartete, daß einer oder alle versuchen würden, sie zu befreien.
Hier war ein Kender. Aber die Frau hatte rotes, lockiges Haar und kein silbernes, und wenn sie ein Drache sein sollte, würde er seinen Brustpanzer verspeisen. Der alte Mann mit der gebeugten Haltung und dem langen, dünnen Bart war sicherlich ein Mensch, jedenfalls kein Zwerg, geschweige denn ein Elfenlord. Im ganzen konnte er sich nicht vorstellen, warum zwei Offiziere der Drachenarmee sich die Mühe gemacht hatten, diese buntgemischte Gruppe gefangenzunehmen.
»Schlitzt ihnen einfach die Kehlen auf, dann sind wir eine Last los«, sagte der Hauptmann mürrisch. »Wir haben keinen Platz im Gefängnis. Schafft sie weg.«
»Aber was für eine Verschwendung!« sagte einer der Offiziere – ein Riese von Mann mit Armen wie Baumstämme. Er packte das rothaarige Mädchen und zog sie nach vorne. »Ich habe gehört, für so etwas zahlen sie viel Geld auf den Sklavenmärkten.«
»Nun, da hast du recht«, murmelte der Hauptmann. Sein kundiges Auge begutachtete den üppigen Körper des Mädchens, der seiner Meinung nach durch ihr Kettenhemd noch mehr zur Geltung gebracht wurde. »Aber ich weiß nicht, was du mit diesem Pack anfangen willst!« Er versetzte dem Kender einen Schlag, der beleidigt aufschrie und sofort von der anderen Drachenarmeewache zum Schweigen gebracht wurde.
»Töte sie...«
Der riesige Offizier schien wegen dieser Erörterung verwirrtzu sein und blinzelte irritiert. Bevor er jedoch antworten konnte, trat der andere Offizier, der die ganze Zeit geschwiegen und sich im Hintergrund aufgehalten hatte, nach vorne.
»Der Mensch ist ein Zauberkundiger«, sagte der Offizier.
»Und wir glauben, daß der Kender ein Spion ist. Wir haben ihn in der Nähe von Burg Dargaard erwischt.«
»Nun, warum habt ihr das nicht gleich gesagt«, schnappte der Hauptmann, »anstatt meine Zeit zu verschwenden. Dann bringt sie ins Gefängnis«, sprach er eilig, als die Hörner erschallten. Es war Zeit für die Zeremonie, die massiven Eisentore erbebten und begannen aufzuschwingen. »Ich unterschreibe eure Papiere. Gebt sie mir.«
»Wir haben keine...«, begann der große Offizier.
»Was für Papiere?« unterbrach der bärtige Offizier, der in einem Beutel wühlte. »Ausweis...«
»Quatsch!« gab der Hauptmann vor Ungeduld kochend zurück. »Die Erlaubnis von eurem Befehlshaber, Gefangene hereinzubringen.«
»So etwas hat man uns nicht gegeben«, sagte der bärtige Offizier kühl. »Ist das eine neue Anweisung?«
»Nein«, sagte der Hauptmann, der sie jetzt argwöhnisch beäugte. »Wie seid ihr ohne diese Papiere durch die Linien gekommen? Und wie glaubt ihr, wollt ihr zurückkommen? Oder seid ihr dabei, zurückzugehen? Habt ihr gedacht, einen kleinen Ausflug mit dem Geld zu machen, das ihr aus diesem Pack herausholen könnt?«
»Natürlich nicht!« Der große Offizier errötete vor Zorn, seine Augen funkelten. »Unser Befehlshaber hat das wohl vergessen, das ist alles. Er hat eine Menge zu tun, und man kann das wohl einfacher lösen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Er blickte den Hauptmann drohend an.
Die Tore öffneten sich. Hörner schmetterten. Der Hauptmann seufzte wütend. Genau in diesem Moment sollte er in der Mitte stehen, bereit, die Fürstin Kitiara zu begrüßen. Er winkte die Wachen der Dunklen Königin herbei, die in der Nähe standen.»Bringt sie nach unten«, sagte er, während er seine Uniform zurechtrückte. »Wir werden ihnen schon noch zeigen, wie wir mit Deserteuren umgehen!«
Als er davoneilte, sah er mit Vergnügen, wie die Wachen der Königin seinen Befehl ausführten, rasch und sicher die zwei Offiziere ergriffen und sie entwaffneten.
Caramon warf Tanis einen beunruhigten Blick zu, als die Drakonier ihn an den Armen festhielten und seinen Schwertgurt lösten. Tikas Augen waren vor Angst weit aufgerissen – das war im Plan nicht vorgesehen gewesen. Berem, dessen Gesicht unter dem falschen Bart fast verschwand, sah aus, als ob er losschreien oder weglaufen oder beides tun würde. Selbst Tolpan schien durch die plötzliche Änderung ihres Plans gelähmt.
Seine Augen fuhren wild umher, als ob er eine Fluchtmöglichkeit suchte.
Tanis dachte hektisch nach. Er hatte geglaubt, jede Möglichkeit erwogen zu haben, als er diesen Plan schmiedete, aber offensichtlich hatte er eine Möglichkeit außer Betracht gelassen.
Der Gedanke, als Deserteur verhaftet zu werden, war ihm nie gekommen! Wenn die Wachen sie in die Verliese sperren würden, wäre alles vorbei. Sobald sie seinen Helm abnehmen würden, würden sie ihn als Halb-Elfen erkennen. Dann würden sie auch die anderen näher untersuchen... sie würden Berem entdecken ...
Er war die Gefahr. Ohne ihn könnten Caramon und die anderen es immer noch schaffen. Ohne ihn...
Wieder schmetterten die Trompeten, und die Menge jubelte wild, als ein riesiger blauer Drache mit einem Drachenfürsten durch die Tempeltore kam. Als Tanis den Drachenfürsten sah, zog sich sein Herz vor Schmerz – und plötzlich vor stürmischer Hochstimmung zusammen. Die Menge drängte, Kitiaras Namen brüllend, nach vorn, und einen Moment waren die Wachen abgelenkt, als sie sich vergewisserten, daß der Drachenfürstin keine Gefahr drohte. Tanis beugte sich so nahe wie möglich zu Tolpan.»Tolpan!« sagte er schnell, hoffend, daß Tolpan ausreichende Kenntnisse in der Elfensprache hatte, um ihn bei dem Lärm zu verstehen. »Sag Caramon, er soll dieses Spiel weiterspielen. Egal, was ich auch mache, er muß mir vertrauen! Alles hängt davon ab. Egal, was ich mache. Hast du verstanden?«
Tolpan starrte Tanis erstaunt an, dann nickte er zögernd. Es war schon sehr lange her, daß er die Elfensprache verstehen mußte.
Tanis konnte nur hoffen, daß er verstanden worden war. Caramon sprach überhaupt nicht die Elfensprache, und Tanis wagte nicht, die Umgangssprache zu verwenden, auch wenn seine Stimme von dem Lärm der Menge verschluckt wurde.
Trotzdem war eine Wache aufmerksam geworden, die ihm schmerzhaft seinen Arm verdrehte und ihm zu schweigen befahl.
Der Lärm erstarb, die Menge wurde zurückgeschoben und drangsaliert. Als die Wachen sahen, daß alles unter Kontrolle war, wandten sie sich wieder den Gefangenen zu, um sie abzuführen.