»Er würde niemals seine Schätze zurücklassen«, sagte Tanis.
Der Halb-Elf sank auf den bebenden Boden und starrte nach draußen auf Neraka. »Sieh mal«, sagte er schroff zu Laurana.
»Das ist das Ende, so wie es das Ende für den Kender war. Sieh!« verlangte er wütend, als er ihr Gesicht sah, auf das sich eine dickköpfige Ruhe gelegt hatte, sah, daß sie sich weigerte, die Niederlage einzugestehen.
Laurana schaute.
Die kühle Brise, die ihr entgegenschlug, erschien ihr jetzt wieblanker Hohn, denn sie brachte nur den Gestank von Rauch und Blut und die qualvollen Schreie der Sterbenden. Orangefarbene Flammen erleuchteten den Himmel, wo kreisende Drachen kämpften und starben, während ihre Fürsten zu entkommen versuchten oder wie ihre Drachen weiterkämpften. Die Nachtluft brannte von den aufzischenden Blitzen und Flammen. Drakonier strömten durch die Straßen, töteten alles, was sich bewegte, schlachteten sich gegenseitig in ihrem Wahnsinn ab.
»Das Böse richtet sich gegen sich selbst«, flüsterte Laurana, ihr Kopf lehnte an Tanis' Schulter, während sie ehrfürchtig das schreckliche Spektakel beobachtete.
»Was hast du gesagt?« fragte er müde.
»Etwas, was Elistan immer sagte«, erwiderte sie. Der Tempel erbebte wieder.
»Elistan!« Tanis lachte bitter auf. »Wo sind jetzt seine Götter? Sehen von ihren Schlössern in den Sternen aus zu, genießen die Vorstellung? Die Dunkle Königin ist verschwunden, der Tempel zerstört. Und hier sind wir – in einer Falle. Wir würden draußen keine drei Minuten überleben...«
Plötzlich stockte er.
Sanft schob er Laurana beiseite, seine Hand suchte in Tolpans zerstreuten Schätzen. Eilig schob er die glänzende Scherbe eines zerbrochenen blauen Kristalls beiseite, einen Vallenholzsplitter, einen Edelstein, eine kleine weiße Hühnerfeder, eine verwelkte schwarze Rose, einen Drachenzahn und ein von Zwergenhand geschnitztes Holzstück, das einen Kender darstellte.
Unter all diesen Dingen war ein goldener Gegenstand, der im flackernden Schein des Feuers und der Zerstörung funkelte.
Als er ihn aufhob, füllten sich seine Augen mit Tränen. Er hielt ihn fest in seiner Hand, spürte die scharfen Kanten in sein Fleisch schneiden.
»Was ist das?« fragte Laurana, die nicht verstand, ihre Stimme bebte vor Angst.»Verzeih mir, Paladin«, flüsterte Tanis. Er zog Laurana zu sich, hielt seine Hand aus und öffnete sie.
In seiner Hand lag, ein feingeschnitzter, zierlicher Ring aus goldenen, miteinander verbundenen Efeublättern. Und um den Ring, immer noch in seinem magischen Schlaf, lag ein goldener Drache.
14
Das Ende. Zum Guten oder zum Bösen
»Nun, wir sind außerhalb der Stadttore«, sagte Caramon zu seinem Zwillingsbruder, die Augen auf die Drakonier gerichtet. »Du bleibst bei Tika und Tolpan, ich gehe zurück, um Tanis zu suchen. Ich werde diesen Haufen mitnehmen...«
»Nein, mein Bruder«, antwortete Raistlin leise, seine goldenen Augen glitzerten in Lunitaris rotem Licht. »Du kannst Tanis nicht helfen. Sein Schicksal liegt in seinen eigenen Händen.«
Der Magier blickte hoch zum flammenden, mit Drachen gefüllten Himmel. »Du befindest dich selbst noch in Gefahr, so wie jene, die auf dich angewiesen sind.«
Tika stand erschöpft neben Caramon, ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Und obwohl Tolpan wie immer fröhlich grinste, war sein Gesicht blaß, und in seinen Augen lag ein Ausdruck nachdenklicher Trauer, den man wohl niemals zuvor bei einem Kender gesehen hatte. Caramon setzte eine verbissene Miene auf, als er auf die beiden blickte.
»Schön«, sagte er. »Aber wohin sollen wir gehen?«
Raistlin hob seinen Arm und zeigte in eine Richtung. Die schwarze Robe schimmerte, seine Hand, blaß und knochendürr, hob sich gegen den Nachthimmel ab.
»Dort oben auf dem Hügel brennt ein Licht...«
Alle drehten sich um, auch die Drakonier. Weit hinter der verlassenen Ebene konnte Caramon den dunklen Schatten eines Hügels erkennen, der sich im mondbeleuchteten Ödland erhob. Auf seiner Spitze strahlte ein reines weißes Licht, hellglänzend und beständig wie ein Stern.
»Jemand wartet dort auf euch«, sagte Raistlin.
»Wer? Tanis?« fragte Caramon gespannt.
Raistlin warf Tolpan einen Blick zu. Der Kender starrte wie gebannt auf das Licht.
»Fizban...«, flüsterte er.
»Ja«, erwiderte Raistlin. »Und jetzt muß ich gehen.«
»Was?« stammelte Caramon. »Aber... komm mit mir... uns... du mußt! Um Fizban zu sehen...«
»Ein Treffen zwischen uns wäre nicht erfreulich.« Raistlin schüttelte den Kopf, die Falten seiner schwarzen Kapuze bewegten sich mit ihm.
»Und was ist mit ihnen?« Caramon deutete auf die Drakonier.
Seufzend trat Raistlin zu den Drakoniern. Er hob seine Hand und sprach ein paar seltsame Worte. Die Drakonier wichen zurück, Angst und Entsetzen verzerrten ihre Reptiliengesichter.
Caramon schrie auf, als Blitze aus Raistlins Fingerspitzen zischten. Vor Qual aufschreiend, gingen die Drakonier in Flammen auf und stürzten sich windend zu Boden. Ihre Körper verwandelten sich in Stein, als der Tod sie zu sich nahm.»Das hätte nicht sein müssen, Raistlin«, sagte Tika mit hoher, zitternder Stimme. »Sie hätten uns in Ruhe gelassen.«
»Der Krieg ist vorbei«, fügte Caramon streng hinzu, »Ist er das?« fragte Raistlin sarkastisch und holte einen kleinen schwarzen Beutel aus seinen Geheimtaschen hervor. »Ein schwächliches, sentimentales Gequassel, mein Bruder, was nur die Fortsetzung des Krieges bestätigt. Diese hier«, er zeigte auf die steinernen Körper, »sind nicht von Krynn. Sie wurden mit Hilfe der schwärzesten aller schwarzen Magien geschaffen. Ich weiß es. Ich habe bei ihrer Erschaffung zugesehen. Sie hätten euch niemals in Ruhe gelassen.« Seine Stimme wurde schrill, ahmte Tikas nach.
Caramon errötete. Er versuchte zu sprechen, aber Raistlin ignorierte ihn kühl, und schließlich gab der Krieger auf, als er sah, daß sein Bruder in der Magie verloren war.
Weder hielt Raistlin die Kugel der Drachen in seiner Hand.
Er schloß seine Augen und begann leise zu singen. Farben wirbelten in dem Kristall auf, dann begann die Kugel hell zu leuchten.
Raistlin öffnete seine Augen und suchte den Himmel ab. Er brauchte nicht lange zu warten. Innerhalb von Sekunden wurden die Monde und Sterne von einem riesenhaften Schatten ausgelöscht. Tika wich beunruhigt zurück. Caramon legte tröstend seinen Arm um sie, obwohl sein Körper erzitterte und seine Hand zu seinem Schwert fuhr.
»Ein Drache«, sagte Tolpan ehrfürchtig. »Aber ein ganz großer. Ich habe niemals so einen großen gesehen... oder doch?«
Er blinzelte. »Er kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Du hast ihn gesehen«, sagte Raistlin kühl und steckte die dunkel werdende Kristallkugel in seinen schwarzen Beutel zurück, »im Traum. Es ist Cyan Blutgeißel, der Drache, der den armen Lorac, den Elfenkönig, gequält und gepeinigt hat.«
»Warum ist er hier?« keuchte Caramon.
»Er kommt auf meinen Befehl«, antwortete Raistlin. »Er kommt, um mich nach Hause zu bringen.«
Der Drache kreiste tiefer und tiefer, seine gigantischen Flügelwarfen eisige dunkle Schatten. Selbst Tolpan (obwohl er sich später weigerte, es zuzugeben) klammerte sich bebend an Caramon, als der monströse grüne Drache landete.
Einen Moment lang blickte Cyan auf die erbärmliche, zusammengekauerte Gruppe von Menschen. Seine roten Augen flammten auf, seine Zunge zuckte zwischen seinen geifernden Kiefern, als er sie haßerfüllt anstarrte. Aber durch einen stärkeren Willen bezwungen, wurde Cyans Blick weggezogen und richtete sich in Groll und Wut auf den schwarzgekleideten Magier.
Auf ein Zeichen von Raistlin neigte sich der Kopf des Drachen, bis er im Sand ruhte.
Raistlin stützte sich leicht auf den Stab des Magus, als er zu Cyan Blutgeißel schritt und auf den riesigen, schlangenförmigen Hals stieg.
Caramon starrte den Drachen an, kämpfte gegen die Drachenangst, die ihn zu überwältigen drohte. Tika und Tolpan klammerten sich angstbebend an ihn. Dann schob er sie mit einem heiseren Aufschrei beiseite und lief auf den Drachen zu.