»Fistandantilus«, sagte der alte Mann.
Tanis und Caramon drehten sich um. Als sie den alten Mann sahen, verbeugten sie sich ehrfürchtig.
»Oh...« schnappte Fizban. »Kann dieses Verbeugen nicht ertragen. Ihr seid Heuchler! Ich weiß, wie ihr hinter meinem Rücken über mich geredet habt.« Tanis und Caramon erröteten.
»Nicht schlimm.« Fizban lächelte. »Ihr habt das geglaubt, was ich wollte, daß ihr glaubt. Nun, was deinen Bruder betrifft, hast du recht. Er ist er selbst, und er ist es nicht. So wie es vorausgesagt wurde, ist er der Herr über Gegenwart und Vergangenheit.«»Ich verstehe das nicht.« Caramon schüttelte den Kopf. »Hat die Kugel der Drachen das bei ihm angerichtet? Wenn das stimmt, könnte man sie vielleicht zerstören oder...«
»Nichts hat etwas bei ihm angerichtet«, sagte Fizban, der Caramon streng musterte. »Dein Bruder hat sich für dieses Schicksal entschieden.«
»Ich glaube das nicht! Wer ist dieser Fistan... wie auch immer? Ich will Antworten...«
»Die Antworten, die du suchst, kann ich nicht geben«, unterbrach Fizban. Seine Stimme war immer noch sanft, aber in ihr lag eine Spur von Stahl, die Caramon zum Schweigen brachte.
»Und hüte dich vor diesen Antworten, junger Mann«, fügte Fizban leise hinzu. »Hüte dich vor weiteren Fragen!« Caramon sagte lange Zeit nichts, starrte in den Himmel, dem grünen Drachen nach, obwohl er schon längst verschwunden war.
»Was wird nun aus ihm werden?« fragte er schließlich.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Fizban. »Er nimmt sein Schicksal in die eigenen Hände, so wie du. Aber eins weiß ich, Caramon. Du mußt ihn loslassen.« Die Augen des alten Mannes fuhren zu Tika, die sich zu ihnen gesellt hatte. »Raistlin hatte recht, als er sagte, daß eure Wege sich trennen müßten.«
Tika lächelte Caramon an und kuschelte sich an ihn. Er umarmte sie und küßte ihre roten Locken. Aber selbst als er ihr Lächeln erwiderte und ihr Haar streichelte, streifte sein Blick zum Nachthimmel, wo die Drachen immer noch ihre flammenden Schlachten um die Macht über das zerbröckelnde Reich austrugen.
»Das ist also das Ende«, sagte Tanis. »Das Gute triumphiert.«
»Gut? Triumph?« wiederholte Fizban und starrte den Halb-Elfen scharf an. »Das stimmt nicht, Halb-Elf. Das Gleichgewicht ist wiederhergestellt. Die bösen Drachen werden nicht verbannt. Sie bleiben hier, so wie die guten Drachen. Das Pendel schwingt wieder frei.«
»All dieses Leiden, nur dafür?« fragte Laurana, die zu Tanis trat. »Warum soll das Gute nicht gewinnen und die Finsternis für immer vertreiben?«
»Hast du nichts gelernt, junge Frau?« rügte Fizban Laurana und zeigte mit einem knochigen Finger auf sie. »Es gab einmal eine Zeit, in der das Gute vorherrschte. Weißt du, wann das war? Direkt vor der Umwälzung!
»Ja«, fuhr er fort, als er ihre Verblüffung sah, »Istars Königspriester war ein guter Mann. Überrascht euch das? Sollte es nicht, denn gerade ihr beide habt gesehen, was dieses Gutsein bewirken kann. Ihr habt es bei den Elfen gesehen, der uralten Verkörperung des Guten! Daraus entwickelt sich Intoleranz, eine Starre, ein Glaube, der sagt, weil ich recht habe, sind jene, die nicht glauben, was ich glaube, im Unrecht.
Wir Götter haben die Gefahr erkannt, die diese Selbstgefälligkeit in die Welt bringen kann. Wir sahen, daß viel Gutes zerstört wurde, weil es einfach nicht verstanden wurde. Und wir sahen die Königin der Finsternis, die auf der Lauer lag, wartete, daß ihre Zeit kommen würde; denn dieser Zustand konnte natürlich nicht anhalten. Die übergewichtigen Waagschalen würden sinken, und dann würde sie zurückkehren...
Und darum – die Umwälzung. Wir trauerten um die Unschuldigen. Wir trauerten um die Schuldigen. Aber die Welt mußte vorbereitet werden, oder die zu erwartende Dunkelheit würde niemals wieder verschwinden.« Fizban sah Tolpan gähnen.
»Aber genug der Lektionen. Ich muß gehen. Dinge erledigen. Habe eine anstrengende Nacht vor mir.« Er drehte sich abrupt um und trottete auf den schnarchenden goldenen Drachen zu.
»Warte!« rief Tanis plötzlich. »Fizban – äh – Paladin, bist du jemals in dem Wirtshaus Zur letzten Bleibe in Solace gewesen?«
»Ein Wirtshaus? In Solace?« Der alte Mann hielt inne, strich über seinen Bart. »Ein Wirtshaus... es gibt so viele. Aber ich glaube mich an würzige Kartoffeln zu erinnern... Ja, genau!«
Der alte Mann spähte an Tanis vorbei, seine Augen glitzerten.
»Ich habe dort immer den Kindern Geschichten erzählt. Ein recht aufregender Platz, dieses Wirtshaus. Ich erinnere mich an eine Nacht – eine wunderschöne junge Frau trat ein. Eine Barbarin war es, mit goldenem Haar. Sang ein Lied über einen blauen Kristallstab, der einen Aufstand ausgelöst hatte.«»Das warst du, der nach den Wachen geschrien hat!« rief Tanis aus. »Du hast uns in diese Sache verwickelt!«
»Ich habe die Bühne vorbereitet, Bursche«, sagte Fizban listig. »Ich habe euch ein Drehbuch gegeben. Aber die Dialoge kamen von euch.« Er sah zu Laurana, wieder zu Tanis, dann schüttelte er den Kopf. »Muß aber gestehen, daß ich hier und dort ein bißchen verbessert habe, aber – macht euch nichts daraus.« Er drehte sich wieder um und begann den Drachen anzuschreien. »Wach auf, du faules, von Flöhen zerbissenes Vieh!«
»Von Flöhen zerbissen!« Eisenkies riß seine Augen auf.
»Nun, du klappriger alter Magier! Du kannst doch noch nicht einmal im tiefsten Winter Wasser in Eis verwandeln!«
»Oh, kann ich nicht?« schrie Fizban rasend vor Wut und schlug mit seinem Stab auf den Drachen ein. »Nun, ich werde es dir zeigen.« Er fischte ein zerbeultes Zauberbuch hervor und begann wild die Seiten durchzublättern. »Feuerkugel... Feuerkugel... Ich weiß genau, es steht hier irgendwo.«
Geistesabwesend vor sich murrend, kletterte der alte Magier auf den Rücken des Drachen.
»Bist du endlich bereit?« fragte der uralte Drache mit krächzender Stimme, dann – ohne eine Antwort abzuwarten spreizte er seine knirschenden Flügel, schlug sie auf und ab, um die schmerzhafte Steifheit abzuschütteln.
»Warte! Mein Hut!« schrie Fizban wild.
Zu spät. Heftig mit den Flügeln schlagend, erhob sich der Drache unsicher in die Luft. Nachdem er ein wenig schwankte und gefährlich über den Rand des Hügels hing, ließ sich Eisenkies von der nächtlichen Brise treiben und flog in den Himmel.
»Halt! Du verrückter...«
»Fizban!« schrie Tolpan.
»Mein Hut!« jammerte der Magier.
»Fizban!« schrie Tolpan wieder. »Er ist...«
Aber die zwei waren bereits äußer Hörweite. Bald waren sie nichts weiter als schwindende goldene Funken, als die Schuppen des Drachen in Solinaris Licht glitzerten.
»Er ist auf deinem Kopf«, murmelte der Kender seufzend.
Die Gefährten hatten stumm zugesehen, dann wandten sie sich um.
»Hilf mir bitte, Caramon«, bat Tanis. Er schnallte seine Drachenrüsrung ab und schleuderte ein Teil nach dem anderen von sich. »Was ist mit deiner Rüstung?«
»Ich glaube, ich behalte meine noch an. Wir haben noch eine lange, gefährliche Reise vor uns.« Caramon zeigte auf die in Flammen stehende Stadt. »Raistlin hatte recht. Die Drachenmänner werden ihre Bösartigkeiten nicht verlieren, nur weil ihre Königin verschwunden ist.«
»Wohin wirst du gehen?« fragte Tanis nach einem tiefen Atemzug. Die Nachtluft war sanft und warm und roch nach dem Versprechen neuen Wachstums.
Dankbar, die verhaßte Rüstung nicht mehr tragen zu müssen, ließ er sich erschöpft am Rande eines Wäldchens nieder. Laurana setzte sich in seine Nähe, aber nicht zu ihm. Sie hielt ihr Kinn auf ihre Knie gestützt, ihre Augen blickten nachdenklich über die Ebene.
»Tika und ich haben darüber schon geredet«, sagte Caramon. Die beiden setzten sich zu Tanis. Er und Tika sahen sich an, beide schienen nicht gewillt zu sein zu reden. Schließlich räusperte sich Caramon. »Wir gehen nach Solace zurück, Tanis. Und ich... ich glaube, daß wir uns wieder trennen müssen, weil...«, er stockte.