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Die Heimkehr

Niemand begrüßte ihn, als er die Stadt betrat.

Er kam mitten in einer stillen, schwarzen Nacht; der einzige Mond am Himmel war derjenige, den nur seine Augen sehen konnten. Er hatte den grünen Drachen weggeschickt. Er passierte nicht die Stadttore; keine Wache bezeugte seine Ankunft.

Er brauchte nicht durch Tore zu gehen. Grenzen, für normale Sterbliche errichtet, bedeuteten ihm nichts mehr. Ungesehen und unbekannt ging er durch die stummen, schlafenden Straßen.Und doch wurde sich einer seiner Gegenwart bewußt. In der großen Bibliothek hielt Astinus – wie immer in seine Arbeit vertieft – mitten im Schreiben inne und hob den Kopf. Seine Feder blieb einen Moment lang über dem Pergamentboden in der Luft stehen, dann nahm er mit einem Achselzucken seine Arbeit an den Chroniken wieder auf.

Der Mann bewegte sich schnell durch die dunklen Straßen, auf einen Stab gestützt, der oben mit einer Kristallkugel, die von der goldenen, körperlosen Klaue eines Drachen umklammert wurde, verziert war. Die Kugel war dunkel. Er brauchte kein Licht, das ihm leuchtete. Er wußte, wohin er ging. Im Geiste war er viele Jahrhunderte lang diesen Weg gegangen.

Die schwarze Robe raschelte sanft um seine Knöchel. Seine goldenen Augen, die unter der schwarzen Kapuze glänzten, schienen die einzigen Lichtfunken in der schlummernden Stadt zu sein.

Er hielt nicht an, als er den Stadtkern erreichte. Er warf nicht einmal den verlassenen Gebäuden mit ihren dunklen Fenstern, die wie Augenhöhlen in einem Schädel klafften, einen Blick zu. Seine Schritte zögerten nicht, als er durch die eisigen Schatten der hohen Eichen schritt, obwohl diese Schatten selbst einen Kender zu erschrecken vermochten. Die fleischlosen Hände des Wächters, die ihn greifen wollten, zerfielen vor seinen Füßen zu Staub, und er trat auf sie, ohne sich darum zu kümmern.

Der hohe Turm kam in Sichtweite, erhob sich schwarz gegen den schwarzen Himmel wie ein in die Dunkelheit geschnittenes Fenster. Und hier endlich blieb der schwarzgekleidete Mann stehen. Er stand vor den Toren und sah zum Turm hoch; seine Augen nahmen alles auf, würdigten kühl die zerborstenen Minarette und den polierten Marmor, der im kalten, durchdringenden Licht der Sterne glitzerte. Er nickte langsam, er war zufrieden.

Die goldenen Augen senkten ihren Blick auf die Tore des Turms, auf die entsetzlich flatternden Roben, die an ihnen hingen. Kein normaler Sterblicher könnte vor diesen schrecklichen Toren stehen, ohne von dem namenlosen Schrecken wahnsinnig zu werden. Kein normaler Sterblicher könnte unbeschadet durch die wachenden Eichen gehen.

Aber Raistlin stand hier. Er stand ruhig und gelassen und ohne Angst da. Er hob seine schmale Hand und ergriff die zerfetzten schwarzen Roben, die immer noch mit dem Blut seines Trägers verschmiert waren, und riß sie von den Toren.

Ein eisiges, durchdringendes Jammern der Wut stieg aus den Tiefen der Hölle. Es war so laut und beängstigend, daß alle Bewohner von Palanthas schaudernd aus tiefstem Schlaf erwachten und in ihren Betten lagen und von Angst gelähmt auf das Ende der Welt warteten.

Die Wachen an den Stadtmauern konnten weder Hand noch Fuß bewegen. Sie schlossen ihre Augen, kauerten sich in Schatten und erwarteten den Tod. Kleine Kinder wimmerten ängstlich im Schlaf, Hunde zogen den Schwanz ein und schlichen unter die Betten, Katzenaugen funkelten auf.

Das Kreischen kam wieder, und eine bleiche Hand reckte sich aus den Toren. Ein geisterhaftes, wutverzerrtes Gesicht schwebte in der naßkalten Luft.

Raistlin bewegte sich nicht.

Die Hand kam näher, das Gesicht versprach die Foltern der Hölle. Die Skeletthand berührte Raistlins Herz. Dann hielt sie zitternd inne.

»Damit du es weißt«, sagte Raistlin ruhig und sah zum Turm hoch, seine Stimme wurde so laut, daß sie auch von jenen im Turm gehört werden konnte. »Ich bin der Herr über Vergangenheit und Gegenwart! Mein Kommen wurde vorausgesagt! Für mich werden sich die Tore öffnen.«

Die Skeletthand zog sich zurück, und mit einer langsamen, einladenden Geste teilte sich die Dunkelheit. Die Tore öffneten sich.

Raistlin schritt hindurch, ohne die Hand oder das Gesicht, das sich ehrfürchtig neigte, eines Blickes zu würdigen. Als er eintrat, verbeugten sich huldigend alle schwarzen und formlosen, dunklen und schattigen Dinge, die im Turm weilten.

Dann blieb Raistlin stehen und sah sich um.

»Ich bin zu Hause«, sagte er.

Friede breitete sich über Palanthas aus, der Schlaf vertrieb die Furcht.

Ein Traum, murmelten die Leute. Sie drehten sich in ihren Betten und glitten wieder in ihren Schlummer zurück, gesegnet von der Dunkelheit, die Ruhe vor der Morgendämmerung bringt.