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Ihr Dornbusch wuchs auf einem flachen Hügel. Sie hatten von hier aus einen guten Blick über die Wasserstelle und das weite Land. Im schnell schwindenden Tageslicht sah Nandalee eine Meile entfernt eine Herde von Schwarzhornbüffeln, deren Bewegungen dunkle Linien in das hohe Gras zogen. Sie hielten Abstand von der Wasserstelle. Warteten darauf, dass die Pegasi ihren Durst stillen und weiterziehen würden.

Dunkle Wolkenfinger streckten sich von Osten über die Savanne, als wollten sie nach dem letzten Abendrot am Horizont greifen. Ein Regensturm zog auf. Gonvalon hatte ihr in den letzten Tagen viel über Bainne Tyr erzählt. Der Fechtmeister hatte sie mit seinem Wissen überrascht. Er kam gerne in die weite Savanne, kannte die Wanderwege der Herden und steckte voller Geschichten über das Land. Über die Flammenwälle, die sich in der Trockenzeit durch das hohe Gras fraßen, über die tausend Farben des Regenbogens, in denen das ausgedorrte Land über Nacht erblühte, wenn die Regenzeit begann.

Auch kannte er die Koboldvölker der weiten Ebene, die blau gewandeten Jäger, die auf ihren sandfarbenen Wildhunden das einsame Land durchstreiften. Die wandernden Hirtenvölker, die stolz darauf waren, die größten unter den Kobolden von Bainne Tyr zu sein, und deren Sitte es war, sich mit grauem Lehm einzureiben. Oder die Fischer, die in Stelzenhütten fern der Ufer über dem dunklen Wasser der Mückenseen lebten. Mit ihnen hatte er manche Nacht auf die großen Welse gewartet, die sich zuweilen in Vollmondnächten vom Grund der Seen erhoben und meilenweit über Land krochen. Die Kobolde gaben diesen Welsen Namen und verehrten sie wie Götter. Uchungu, der Jähzornige, der schon manchen Kobold, der es gewagt hatte, ihm zu nahe zu kommen, mit Haut und Haar verschlungen hatte, oder Arani, der Bote, dessen sich windender Leib angeblich geheime Botschaften an die Alben in das hohe Gras schrieb, die man nur hoch vom Himmel herab zu lesen vermochte.

Nun trug der Wind fernes Donnergrollen heran, und Nandalee sah, wie im Osten Blitze über den Horizont flackerten. Irgendwo im Büffelgras erhob ein Schwarzmähnenlöwe seine Stimme und brüllte dem Sturm seinen Zorn entgegen, als wollte er die Mächte des Himmels herausfordern. Sie waren die Herrscher der Savanne, so wie die Silberlöwen die roten Felstürme, die das weite Grasland einfassten, ihr Reich nannten. Niemand kam ihnen gleich. Zumindest nicht am Boden. Der weite Himmel aber kannte andere Herrscher. Auch ihnen hatten die Kobolde Namen gegeben, doch diese wagten sie nur in Neumondnächten zu flüstern, wenn die Welt nur noch Schatten kannte. Das kleine Volk war überzeugt, dass es genügte, diese Namen laut zu nennen, um den Schrecken auf sich herabzurufen.

So voller Geschichten steckte Gonvalon, und Nandalee freute sich darauf, weiter mit ihm durch die weite Savanne zu streifen und gemeinsam deren Wunder und Geheimnisse zu erkunden. Niemals hätte sie erwartet, dass ein Elf, der in einem Palast aufgewachsen war, so sehr mit der Natur verbunden sein könnte.

Sie streckte unter der Decke die Hand nach ihm aus. Tastete über seine warme, seidenglatte Haut. Gonvalon hatte sich verändert, seit sie in den Jadegarten zurückgekehrt waren. Er strahlte wieder jene überlegene Ruhe aus, die sie so sehr an ihm bewundert hatte, als er in der Weißen Halle ihr Lehrmeister gewesen war. Was immer in der Snaiwamark geschehen sein mochte – er hatte seinen Frieden wiedergefunden. Vielleicht lag es auch an dem Milchland, das er so sehr liebte. Die weite, wilde Savanne.

In diesem Augenblick schlug gleißend helles Licht in die Wasserstelle, brannte glühende Dolche bis tief in Nandalees Kopf. Die Pferde wieherten auf. Nandalee hörte ihre Panik, spürte den Boden unter ihrem Hufschlag erzittern. Sie blinzelte. Tränen standen ihr in den Augen, sie konnte nicht klar sehen, die Welt war in helle und dunkle Flächen ohne Tiefe zerbrochen. Sie wollte aufspringen, doch Gonvalon drückte sie fest zu Boden. »Nicht. Das ist ein Rotrücken. Bleib unten! Wir können nichts tun.«

Nandalee schloss die Lider und öffnete ihr Verborgenes Auge, um das magische Netz zu sehen, das alles miteinander verband. Ein helles Rot kaum gezügelter Wut blendete sie. Es flammte unmittelbar vor dem Dornbusch auf und erhob sich dann in den Himmel. Das musste der Rappe sein, der sich in die Lüfte erhob, um seine Herde zu schützen.

Bei der Wasserstelle herrschte das kalte Blau der Angst vor. Die Stuten und Fohlen preschten durcheinander. Einige flogen auf, behinderten sich gegenseitig. Durch das Büffelgras leuchteten die Auren kleinerer Tiere, die sich angstvoll an den Boden drückten.

Hoch über ihnen aber schwebte der Rotrücken, umspielt von der weißgoldenen Aura der Kraft. Ein weiterer Flammenstrahl stach auf die fliehende Herde herab. Durch das verborgene Auge betrachtet, war es nur ein Flackern, das die Aura des Drachen kurz blasser erscheinen ließ. Als dieses mattgelbe Flackern jedoch nach den Pegasi griff, erloschen augenblicklich zwei strahlend blaue Lichter.

Nandalee riss ihre Augen auf. Sie brannten immer noch, doch das Bild, das sich ihnen darbot, hatte wieder Farben und Tiefe bekommen. Sie sah ein Fohlen mit brennenden Flügeln in das hohe Büffelgras galoppieren, sah die Kadaver zweier Stuten im flachen Wasser liegen. Kalter Zorn packte sie. Das war keine Jagd! Der Rotrücken tötete aus Lust am Morden und würde von den toten Pegasi nur die besten Stücke fressen, um den Rest den Geiern zu überlassen.

Die Elfe packte ihren Bogen.

»Lass es!«, zischte Gonvalon. »Drachen regieren diese Welt. Stellst du dich gegen einen, wirst du den Zorn aller auf dich lenken.«

Nandalee hörte nicht auf ihn. Sie richtete sich auf. Dornranken schrammten über ihr Gesicht und ihre nackten Arme. Voller Wut blickte sie zum Himmel hinauf, und ihre Rechte strich über die befiederten Pfeilschäfte in ihrem Köcher.

Der Rotrücken war mehr als zwanzig Schritt lang und von schlangenhafter Gestalt. Seine Flügel saßen knapp über seinen kräftigen Hinterläufen, die Vorderbeine fielen viel kleiner aus, endeten aber in Tatzen mit messerscharfen Krallen. Und während seine Unterseite vom kräftigen Blau des nachmittäglichen Himmels über der Savanne war, zeigten die Flanken ein flammendes Karmesinrot, durchbrochen nur von rauchfarbenen Streifen.

Der Rappe war in den Himmel aufgestiegen und umkreiste mit zwei anderen Pegasi ihren Angreifer. Wie klein sie neben dem mächtigen Drachen aussahen. Dennoch versuchten sie, mit ihren starken Hufen nach den Flügelknochen des Drachen zu treten und dabei dem wild peitschenden Schweif des Ungeheuers nicht zu nahe zu kommen.

Nandalee zog einen Pfeil aus dem Köcher und hakte die Nocke in die Sehne ein. Sie wagte jedoch aus Furcht, im wirbelnden Luftkampf einen der Pegasi zu treffen, nicht zu schießen. Ein peitschender Schwanzhieb traf einen der Hengste, der dem Drachen zuvor mit einem Huf ein Loch in die ledernen Flügel gestanzt hatte. Das stolze Tier trudelte mit gebrochenen Flügeln hilflos zu Boden, schlug schwer im hohen Büffelgras neben der Wasserstelle auf und blieb reglos liegen.

Der Drachenkopf fuhr auf seinem Schlangenhals herum und erwischte einen weiteren Pegasus. Die dolchlangen Fänge schnappten nach dem Bauch des Tieres und rissen ein riesiges Stück Fleisch heraus, sodass dem Pegasus das Gedärm aus dem Leib hing, bevor auch dieser stolze Hengst vom Himmel stürzte.

Der Rappe aber zog in einem tollkühnen Manöver über den Kopf des Drachen hinweg und traf ihn hart mit seinen wirbelnden Hufen. Kurz geriet der Rotrücken ins Trudeln, doch dann fing er sich wieder. Und während der Hengst eine enge Kehre flog und erneut angreifen wollte, spie der Drache ihm einen Flammenstrahl entgegen. Weit weniger kraftvoll als die gleißende Flammensäule, mit der er seinen Angriff auf das Wasserloch eingeleitet hatte, doch immer noch tödlich für jeden, den das Feuer umfing.

Nandalee hielt den Atem an.