Schwer. Das Wort war wie eine kalte Flamme. Ganz anders als zuvor. Was dachte er? Was hatte sie angestoßen?
Wir folgen ihm.
»Das ist aussichtslos.« Kaum waren die Worte über ihre Lippen, bereute sie sie schon. Sie wollte ihn nicht enttäuschen. Nicht überflüssig sein. »Wir … Ich kann der Spur nicht folgen. Ich …«
Warum? Ein Wort wie ein glühendes Messer.
Wie sollte sie das einer Kreatur erklären, die zwar ein Jäger war, aber offensichtlich nur Spuren im magischen Netzwerk folgte? Höflich und respektvoll! Sie sollte ihn auch bitten, nicht in Gedanken mit ihr zu sprechen, sondern so wie im Tal der Albe. Ganz normal. Schließlich hatte er ja Elfengestalt angenommen und …
Sein bohrender Blick ließ sie in ihren Gedanken innehalten. Es war dumm, einen Drachen warten zu lassen!
»Ich werde die Fährte draußen in den Tunneln verlieren.« Das hörte sich an, als sei sie völlig unfähig. »Ich … So einer Spur kann man nicht folgen. Ich habe einmal einen alten Wolf gejagt. Ein gerissenes Vieh. Es war im Winter. Zwei Tage bin ich ihm über Stock und Stein gefolgt und habe ihn doch nie zu Gesicht bekommen. Aber es ist leicht, eine Spur im Schnee zu lesen. Am dritten Tag kam ich in ein weites Tal, durch das eine Büffelherde gewandert war. Sie hatte eine weite Furche durch den Schnee gepflügt. Der Wolf ist ihrem Weg gefolgt. Seine Fährte verlor sich zwischen Tausenden anderen. Genauso wird es hier sein. Wer immer es ist, dem wir nachspüren – wir werden die Fährte verlieren, wenn wir in belebtere Gegenden der Höhlenstadt kommen. Er wird nicht der Einzige mit unregelmäßig genagelten Stiefeln sein. Es ist aussichtslos! « Sie hatte mit gesenktem Blick gesprochen und sich bemüht, nicht lehrmeisterlich zu klingen.
Der Dunkle schwieg.
Hatte sie etwas falsch gemacht? Wie dachte ein Geschöpf, das alt wie die Welt war? Wie empfand er es, von ihr belehrt zu werden? Ein Schauer überlief sie.
Ich werde weitersuchen.
»Und ich?«, fragte sie mit tonloser Stimme. »Kann ich mitkommen? «
Der Blick seiner blauen Augen traf sie wie kalter Stahl. Ein recht unbedachter Wunsch, Dame Nandalee. Der Wunsch nach einer Transformation.
Sie sah ihn verwirrt an. Was meinte er? Sie hatte sich doch lediglich gewünscht, ihn begleiten zu dürfen, obwohl ihr jetzt klar wurde, dass sie für ihn vermutlich nur ein Klotz am Bein sein würde.
Wir werden uns unserer Umgebung anpassen und die Gestalt und den Geruch von Zwergen annehmen. Das bedeutet, ich werde Euch dichter werden lassen.
»Dichter?«
Stellt Euch vor, es ist die gleiche Menge von etwas, nur auf kleinerem Raum. Wenn ich Eure Gestalt wandele, ist das kein Blendwerk. Jeder Knochen verformt sich. Eure Muskeln und Nerven werden kürzer. Es sind unglaubliche Schmerzen. Und wenn das überstanden ist, werdet Ihr Euch anfangs in Eurem neuen Körper nicht zurechtfinden. Ihr werdet Euch unbeholfen bewegen. Und natürlich beherrscht Ihr auch nicht die Sprache der Zwerge. Ihr werdet also schweigen.
Seine Worte waren gleißender Schmerz und Nandalee keuchte, als er dicht vor sie trat. Seine Augen veränderten sich – jetzt waren es wieder die geschlitzten Drachenpupillen, in die sie blickte. Er legte eine Hand auf ihre Stirn, sie war warm und schwer zugleich. Dann sprach er ein Wort der Macht. Es klang metallisch, fast wie aufeinanderschlagende Klingen.
Für einen Herzschlag nur war ihr schwindelig, dann tilgte reißender Schmerz jedes andere Gefühl. Sie brach in die Knie und sah, wie ihr Fleisch sich in Wellen kräuselte. Alle Kleidung fiel von ihr ab und ihre Knochen zogen sich zusammen – schneller noch als das Fleisch, das sie umgab. Sie schrie. Ihre Kehle wollte schier zerreißen von ihren Schmerzensschreien, und doch kam kein Laut über ihre Lippen. Sie wünschte sich, ohnmächtig zu werden, vom Schmerz überwältigt und in die gnädige Dunkelheit des Vergessens gerissen zu werden, aber ihre Sinne wollten nicht schwinden. Es war wie ein Fluch, und sie war verdammt, diesen Kelch des Schmerzes bis zur Neige zu kosten. Vielleicht noch ein Zauber des Dunklen? Wollte er ihr ihren Hochmut vor Augen führen? Hilflos krümmte sie sich auf dem Höhlenboden.
Bart spross aus ihren Wangen, ihr ganzer Leib juckte — und langsam ließen die Schmerzen nach. Mit Abscheu betrachtete sie ihre klobigen, kurzfingrigen Hände. Die vernarbten Fingerkuppen waren ihr erhalten geblieben. Sie tastete über ihr Gesicht. Ihre Nase war eine verstümmelte fleischige Knolle. Eine Augenbraue fehlte. Selbst als Zwerg war sie noch entstellt!
Sie drehte sich um. Der Dunkle hatte sich ebenfalls verwandelt. Schweiß glänzte auf seinem gedrungenen Körper. Um wie viel schmerzhafter musste die Verwandlung für ihn sein! Wie schaffte er es, den riesigen Drachenleib in diese Form zu zwängen?
Nandalee räusperte sich. Ihre schmerzende Kehle konnte also wieder Töne hervorbringen. »Was war mit meiner …?« Sie verstummte erschrocken. Ihre Stimme hatte sich zu einem tiefen Bassbrummen verändert.
Es war notwendig, Euch Eurer Stimme zu berauben. Man hätte Eure Schreie im ganzen Berg gehört. Nun legt Eure Kleider an. Der Anblick eines nackten, krummbeinigen Zwergs macht mich hungrig.
Sie zuckte unter dem Schmerz seiner Worte zusammen. Tat er das absichtlich? War er gedankenlos? Und was sollte die letzte Bemerkung? War das ein Drachenscherz? Oder meinte er es ernst?
Nandalee bückte sich und … fiel vornüber. Dieser Körper! Es war ein Grauen! Völlig ohne Balance. Ohne Eleganz. Hastig raffte sie ihre Kleider an sich und begann sich anzuziehen. Dabei fühlte sie sich unbeholfen wie ein kleines Kind. Löchrige Strümpfe, grobe Wollhosen und ein Hemd, das einem Sack ähnlicher war als einem Kleidungsstück.
Ich hoffe, Ihr erinnert Euch noch gut an Euren Körper.
Was war das für eine Frage? »Natürlich«, antwortete sie leichthin und blickte zu ihm auf. Sein Gesicht war zum größten Teil hinter einem grau melierten, zerzausten Bart verschwunden. Nur das klare Blau der Augen erinnerte an den Elfenkrieger, der er noch vor wenigen Augenblicken gewesen war. Eine strumpfähnliche Mütze saß schief auf seinem Haupt, graues Lockenhaar quoll ihm über die Schultern, sein Wams war mit geschmacklosen goldenen Lilien bestickt und eine breite goldene Kette lugte unter seinem Bart hervor. Ringe steckten auf der Hälfte seiner Stummelfinger. Die Stiefel reichten ihm bis über die Knie und glänzten wie frisch poliert. Und seine Axt … Nein, korrigierte sie sich. Es war eher die Parodie einer Axt. Das Blatt war filigran gearbeitet und vielfach durchbrochen und über dem Blatt ragte ein massiger Silberknauf auf, auf den er sich stützte. War das eine Krücke oder eine Waffe? Oder ein Zeichen seines Standes? Oder alles zugleich?
Gehen wir.
Er trat in den Tunnel, der in die Felskammer mündete, ohne ihre Antwort abzuwarten.
Schwankend folgte sie ihm. Verfluchter Zwergenleib! Selbst volltrunken fühlte sie sich nicht so unsicher auf ihren Füßen wie jetzt. Sie hielt sich dicht an der Wand und stützte sich mit einer Hand ab. Undurchdringliche Dunkelheit umfing sie. Waren ihre Augen schlechter geworden?
Endlich erreichten sie einen etwas breiteren Tunnel. Hier waren in weiten Abständen Barinsteine in den Wänden eingelassen und Nandalee fühlte sich nicht mehr in völliger Finsternis gefangen.
Der Dunkle war stehen geblieben. Erwartungsvoll sah er sie an und sie kniete nieder, um nach der Fährte des Zwerges mit dem schlecht genagelten Stiefel zu suchen. Dieser Tunnel schien nicht sehr viel benutzt zu werden; es gab kaum Spuren auf dem Stein. Endlich entdeckte sie die kleinen Einkerbungen, die der Stiefelnagel hinterlassen hatte. Der Kerl musste wirklich ein Fettwanst sein, dass er mit jedem Schritt eine Spur hinterließ. Ja, es gab sogar mehrere Spuren. Er war öfter auf diesem Weg gegangen.