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Nachdem der Dunkle entdeckt hatte, dass jemand durch den Albenstern der Tiefen Stadt getreten war, waren sie zum Hafen hinabgehetzt, aber sie waren zu spät gekommen. Direkt vor ihren Augen tauchte ein Aal ab.

Nandalee fand Stiefelspuren des geheimnisvollen Zwergs am Kai. Es gab keinen Zweifel, dass sie den, der vielleicht mehr über das Blut im Hain der Albe wusste, um wenige Augenblicke verpasst hatten. Drei Stunden hatte es gedauert, bis es dem Dunklen gelungen war, Männer und Boot zu finden, um dem Aal zu folgen, und so hatte auch Nandalees Martyrium in dem verfluchten schwimmenden Sarg begonnen. Freiwillig würde sie nie wieder einen Fuß auf solch ein Gefährt setzen, und ihr war immer noch übel von der Reise. Zum Zwergsein war sie nicht geboren, so viel stand fest.

Vom Anlegesteg her streckte ihr jemand eine fleischige Hand entgegen und sie ergriff sie dankbar. Ihre Beine schmerzten und der Aal, der noch nicht fertig vertäut war, schwankte unter ihren Füßen.

Dutzende Bewaffnete standen entlang des Kais. Mit gespannten Armbrüsten und langen Speeren spähten sie zu ihnen hinab. Unwillkürlich griff Nandalee an ihren Gürtel, dorthin, wo sie sonst ihr Jagdmesser trug. Sie wollte zurückweichen, doch der Kerl hinter ihr schob sie weiter und raunzte sie an. »Mach schon, du Trottel — ich will endlich von dem Fass weg! Stehen und gaffen kannst du auch auf dem Kai.«

Sie kämpfte gegen die Panik an. Hatte der Zwerg, dem sie folgten, für diesen Empfang gesorgt? Reiß dich zusammen, schalt sie sich, griff nach der Sprossenleiter und kletterte auf die gemauerte Anlegestelle.

Die gespannten Armbrüste folgten ihren Bewegungen nicht, sondern blieben auf den Aal und das dunkle Wasser gerichtet. Erleichtert ließ sich Nandalee auf einem Stapel Stoffballen nieder und sah sich um. Der Hafen ähnelte jenem, den sie vor anderthalb Tagen verlassen hatten. Nur dass es hier keine Wasserfälle gab und die Decke der weiten Grotte etwas niedriger war. In der Werft am Ufer lagen die Gerippe dreier halb vollendeter Aale. Die Arbeit dort ruhte. Über dem ganzen Hafen lag eine eigentümliche Spannung.

Endlich stieg auch der Dunkle hinauf auf den Kai, wechselte kurz ein paar Worte mit einem der Umstehenden und kam dann zu ihr hinüber.

Er war hier. Seine Worte waren ein brennender Schock. Der Drache wirkte kraftvoll und entschlossen, aber Nandalee fühlte sich von der Fahrt in dem Aal weit über das rein Körperliche hinaus erschöpft. Als sei ihr die Seele selbst stumpf und müde geworden. Sie raffte sich auf und deutete auf die Bewaffneten am Kai. »Was hat die Zwerge aufgeschreckt?«

Der Dunkle schüttelte den Kopf und winkte ihr, sich zu beeilen. Träge folgte sie ihm eine weite Rampe hinauf, als sie getrocknetes Blut auf dem Pflaster entdeckte. Viel Blut! Schlagartig war ihre Müdigkeit verflogen. Aufmerksam musterte sie die Bewaffneten. Was war hier geschehen? Gegen wen hatten die Zwerge gekämpft? Wen oder was erwarteten sie?

Der Dunkle ging weiter, ohne innezuhalten. Er schien den Hafen zu kennen. Den Hafen einer Zwergenstadt! Das war ihr unheimlich. Waren die Himmelsschlangen wirklich tagtäglich unter ihnen, ohne dass man sie bemerkte?

Endlich erreichten sie einen Tunnel, in dem sie allein waren. »Es hat einen Unfall gegeben«, sagte er. Auch jetzt war Nandalee erleichtert, dass er nicht in ihren Gedanken sprach. »Dem Aal, der vor uns angekommen ist, folgte eine große Weiße Schlange. So etwas ist noch nie vorgekommen. Als die Besatzung den Aal verließ, griff sie völlig überraschend an. Sie hat einen Zwerg erwischt. Die übrige Besatzung konnte ihn noch auf den Kai zerren, aber er hat beide Beine verloren.«

»Eine Weiße Schlange?«

»Das sind Seeschlangen, Dame Nandalee. Wenn sie lange in unterirdischen Gewässern leben, verlieren ihre Schuppen alle Farbe. Sie sind wilde Jäger, aber dass sie einen auftauchenden Aal angegriffen haben, ist ungewöhnlich. Sie wagen sich nur selten in die Häfen der Zwerge.«

»Glaubst du, sie ist gerufen worden?«

»Vielleicht«, sagte er tief in Gedanken. Dabei fuhr er sich in einer flinken, scheinbar unbewussten Geste mit der Zungenspitze über die etwas zu spitzen Eckzähne. Er hatte Blut gerochen, erkannte Nandalee. Er witterte seine Beute. »Warum derjenige, den wir suchen, eine Weiße Schlange rufen sollte, erschließt sich mir nicht. Das erregt nur unnötig Aufsehen. Bisher hatte ich den Eindruck, dass er sehr unauffällig vorgeht. Lasst uns weitereilen, meine Holde. Hier werden wir die Antwort nicht finden. Kommt nun! Wir haben viel Zeit verloren. Ich schätze, er hat mehr als sieben Stunden Vorsprung. Wahrscheinlich habt Ihr recht und er ist tatsächlich auf dem Weg zur Kammer der kommenden Offenbarungen

Der Drache wirkte angespannt, als sie weitergingen. Immer wieder verharrte er und lauschte … Nein, es waren wohl andere, ihr unbekannte Sinne, die er nutzte. Fürchtete er einen Hinterhalt? Seine Anspannung übertrug sich auf sie. Ihre unförmigen Hände schwitzten und eine Stelle auf ihrem Rücken juckte, die sie mit den kurzen, muskulösen Zwergenarmen nicht erreichen konnte. Schweigend folgte sie dem Dunklen durch das Labyrinth von Tunneln.

Diese Tiefe Stadt hatte einen anderen Geruch als die, aus der sie kamen. Über dem Rauch von Holzkohlefeuern lag der schwere Duft von gebratenem Speck und Bohnen. Auch das Gestein hier hatte eine andere Beschaffenheit. Es war von hellem Grau mit silbernen Einsprengseln. Häufig säumten Steinmetzarbeiten die Tunnelwände. Diese Stadt war schöner. Vielleicht war sie älter, überlegte Nandalee, und ihre Bewohner hatten mehr Zeit gehabt, den Ort, an dem sie lebten, zu schmücken. Trotzdem empfand sie die Enge der Tunnel immer noch bedrückend. Sie wäre froh, wenn sie endlich wieder unter freiem Himmel stand. Noch etwas war seltsam an der Zwergenstadt, wie Nandalee jetzt erst auffiel. Sie begegneten ausschließlich Männern. Wo wohl die Frauen und Kinder steckten?

Gute zwei Stunden später erreichten sie die Kammer der kommenden Offenbarungen. Die Höhle, in der sich der Albenstern befand, war ganz mit weißem Marmor ausgekleidet. Auch hier gab es Kristalle, die man in den Fels eingelassen hatte. In Dutzenden kaum handgroßen Wandnischen standen winzige Skulpturen – Bildnisse der Erstgeborenen der Sippen dieser Stadt, wie ihr der Dunkle erklärte.

Ein Wort der Macht ließ zwei Schlangen aus Licht aus dem Fels aufsteigen. Es sah so einfach aus, wenn der Dunkle ein Tor öffnete. Sie dachte an Gonvalon und daran, welche Angst er vor diesem Zauber gehabt hatte. Die Erinnerung an ihn versetzte ihr einen Stich. Ein endlos langes Jahr würde sie ihn nicht wiedersehen.

Der Dunkle streckte seine Hand nach einer der Schlangen aus; hellblaues Licht umspielte seine Finger. »Er war hier und … Er ist nach Nangog gegangen!«, sagte er fassungslos. »Nach Nangog!«

»In die verbotene Welt?« Für Nandalee war dieser Ort noch ferner und unvorstellbarer als die Bergreiche der Zwerge. Ein Ort, wo ungeahnte Schrecken lauerten. Eine Welt, die nur in Legenden existierte. Ein Tabu.

»Wir sind einem Devanthar gefolgt!«, sagte der Dunkle plötzlich. »Ich habe von Anfang an gespürt, dass etwas mit der Art, wie die Zauber gewoben sind, nicht stimmt. Wir müssen zurück! Die Alben müssen wissen, was geschieht.«

Nandalee sah ihn entsetzt an. Die Devanthar waren die Verkörperung des Bösen. Lebendig gewordene Heimtücke und Verrat. Und vor allem waren sie unglaublich fern! Es gab sie nicht in Albenmark! Sie lebten in der Welt der Menschenkinder und konnten nicht hierhergelangen, denn die Alben wachten darüber, dass dies nicht geschah. Allerdings war die Albe, nach der sie gesucht hatten, wohl sehr friedlich und entrückt gewesen. Vielleicht hatte der Devanthar sie deshalb ausgewählt. Vielleicht … Sie starrte den Dunklen entsetzt an. »Glaubst du, dass der Devanthar zu ihr kam, um sie zu …«