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»Und warum hast du die Piratenflotten nicht auf den Grund des Meeres geschickt? Was für eine Gerechtigkeit ist das? Was …«

»Götter stehen über Gerechtigkeit! Sie sind frei von allen Fesseln! «

Artax spürte den jähen Zorn des Devanthar wie Flammen auf seinem Leib. Er stöhnte auf. Brach in die Knie. Juba eilte an seine Seite.

»Hinweg mit dir, du Wurm!« Mit einem Wink seiner Hand schleuderte der Devanthar den Kriegsmeister durch die Luft, als sei er nicht mehr als eine Feder. »Deine Taten und dein neuer Ehrgeiz haben mich unterhalten, Aaron. Ich war großzügig zu dir, doch ich dulde keinen Übermut. Du bist mein Geschöpf. Ganz und gar. Lehne dich gegen mich auf, und ich werde dich zerbrechen.«

Aber Artax gab nicht auf und er wollte sich auch nicht einschüchtern lassen. Sein alter Dickkopf erwachte, sein Kampfgeist, sein Widerspruchssinn, der ihn schon viel Unbill in seinem Leben hatte durchstehen und überleben lassen. Der Devanthar sprach über das Leben Zehntausender Menschen, als wäre es so bedeutungslos wie der Staub auf seinem Umhang. Artax war sicher, dass er dem Zorn des Devanthar nicht widerstehen würde. Aber lieber würde er sterben, als ein Mann wie Aaron zu werden. »Wenn ich weiß, dass sie der Zorn einer Göttin treffen muss, weil wir nicht auf dieselbe Gnade hoffen dürfen wie Muwatta, werde ich meine Männer nicht ausschicken«, stieß Artax unter Schmerzen aus. Plötzlich war er ganz und gar von Flammen umgeben.

Juba schrie auf und wollte ihm zu Hilfe eilen, aber ein Fingerschnippen des Devanthar warf ihn erneut in den Staub.

Artax wand sich. Er litt und doch war ihm auch bewusst, dass die Flammen ihn nicht verbrannten. Der Schmerz war echt – alles andere Blendwerk.

Wenn du etwas von mir erbittest, hat das seinen Preis, hallte die Stimme des Devanthar in seinen Gedanken. So hoch du aufgestiegen bist, so tief magst du auch wieder fallen. Ich verspreche dir, deine Söldner zu schützen, wenn sie deine verwegenen Pläne ausführen. Aber wenn du scheiterst, wird ein anderer Aaron sein. Und dich werde ich in irgendeinen einsamen Wald Nangogs schicken. Einen Ort, an dem die Grünen Geister besonders grausam sind. Und du wirst nicht mehr als nur ein Bauer sein. Der Tod wäre eine zu leichte Strafe für dich. Du sollst leben und viel Zeit haben, darüber nachzudenken, was du gewonnen hattest, und wie dein Hochmut all das wieder zu Staub werden ließ.

»Du weißt, wann wir zuschlagen wollen.« Jedes Wort war ein Kampf gegen den Schmerz. Artax bot all seinen Willen auf, doch lange würde er nicht mehr durchhalten. Die Schmerzen würden ihm seine Sinne rauben. Nur dieser eine Gedanke hielt ihn aufrecht – er würde wieder ein Bauer sein! Der Devanthar würde ihm sein Leben zurückgeben! Was ihm als Strafe erscheinen mochte, gab Artax Kraft. Aber dann überwältigte ihn ein anderer Gedanke. Er würde Shaya niemals wiedersehen! »Wird Ištas Aufmerksamkeit abgelenkt sein, weil die Himmlische Hochzeit vorbereitet wird?«, presste er hervor.

Vielleicht. Sie ist eine Göttin. Vergiss das nie! Dass wir uns mit Sterblichen abgeben, bedeutet nicht, dass wir nach eurem Maß zu beurteilen sind. Unsere Macht ist unermesslich. Unser Wille ist für euch unergründlich. Sollte dein Auftreten dazu führen, dass ich mein Gesicht verliere, wirst du dich auf Nangog wiederfinden. Reise mit der Pracht und der selbstbewussten Arroganz eines Unsterblichen. Du bist mehr als ein Mensch. Lass dies jeden spüren, der mit dir zu tun hat.

Die Flammen, die Artax umgaben, verloschen. Der Schmerz verebbte. Die Gestalt des Löwenhäuptigen wurde von gleißendem Licht umfangen. Er schwebte, stieg langsam in den Himmel auf und stand dort wie eine zweite Sonne.

Wachen wie Diener warfen sich in den Staub und selbst die Streitwagen in der Ferne hielten an. Kälte durchdrang Artax und obwohl es ein brütend heißer Tag war, begannen seine Zähne zu klappern, bis er sie fest zusammenbiss und mit geballten Fäusten seine Furcht zu beherrschen versuchte. Er wusste, dass er so nah daran war wie noch nie zuvor, die Gunst des Devanthar zu verlieren. Sollte er seine Pläne aufgeben? Sollte es ihm egal sein, wenn Tausende für ihn auf dem Schlachtfeld ihr Leben ließen? Sollte er sich zurückziehen in die Wälder Nangogs? Wenn er Herrscher blieb, würde er vielen tausend anderen eine bessere Zukunft schenken können, indem er das Reich weiter reformierte und die Schätze gerechter verteilte. Was zählten da tote Krieger?

»Hasst er dich?« Juba hatte sich aufgerappelt. Sein Gesicht war aschfahl. Blut troff ihm aus einem Mundwinkel.

»Nein, das tut er nicht. Er hat mich … erleuchtet.«

»Ich hoffe, nie ein Günstling der Götter zu werden«, sagte der Kriegsmeister aus tiefster Überzeugung.

Artax tastete über seine Arme. Äußerlich waren sie unversehrt und doch schmerzte selbst die leichteste Berührung. »Hol mir Volodi. Ich muss mit ihm über meine Pläne reden. Er soll nur die leichten Streitwagen nehmen. Geschwindigkeit wird der Schlüssel zum Erfolg sein, wenn wir zuschlagen. Und Überraschung. Sie dürfen nicht vor der Mittsommernacht entdeckt werden!«

Ein blasser Faden

Nandalee entschied sich an der Gabelung für den Weg nach rechts. Hier war sie noch nie gewesen, da war sie ganz sicher. Sie rieb die Fackel über die Wand und markierte den Gang. Aufmerksam betrachtete sie die Bilder. Ein fortlaufender Fries, der einen Garten zeigte, schmückte diesen Gang und kein Wasser bedeckte den Boden. Endlich würde sie ihrem Gefängnis entkommen. Sie sehnte sich danach, den Himmel zu sehen und Wind auf ihrem Gesicht zu spüren. Selbst wenn es ein bärtiges Zwergengesicht war.

Nandalee hatte sich an den fremden Körper gewöhnt. Sie vermochte nicht zu sagen, wie lange sie hier unten schon gefangen war. Viele Tage … Vielleicht auch schon einige Wochen. Ohne je nach draußen blicken zu können, hatte sie ihr Zeitgefühl verloren. Wenn sie in der großen Halle war, brachten die Gazala ihr Essen, doch sie sprachen so gut wie nie mit ihr. Und wenn sie es taten, waren ihre Antworten entweder vieldeutig oder ergaben für Nandalee keinen Sinn.

Die Elfe hielt inne. Sie hatte ein Geräusch gehört. Einen Vogelschrei! Der Ausgang aus diesem verfluchten Labyrinth musste nahe sein! Diesmal hatte sie es endlich geschafft! Sie begann zu laufen, hatte kaum noch einen Blick für die Blütenpracht, die sich auf den Wänden entfaltete. Da war es wieder! Jetzt war sie sich sicher, dass es ein Vogelschrei war. Die Luft wurde auch besser. Sie war schwül und warm, aber es fehlte der Geruch brackigen Wassers.

Plötzlich zerflossen die Bilder an den Wänden, als seien sie auf spiegelglattes Wasser gemalt, in das man einen Stein geworfen hatte. Sie wellten sich, verformten sich. Der Ausblick änderte sich – und Nandalee stand wieder am Eingang der weiten, überfluteten Halle, in deren Mitte sich der flache Hügel erhob, den der Dunkle seinen Thron nannte.

Überwältigt von ihrer Enttäuschung entglitt ihr die Fackel und erlosch zischend im Wasser, das ihr in ihrer Zwergengestalt bis über die Knie reichte.

Zutiefst niedergeschlagen schleppte Nandalee sich zu der flachen Insel. Die Gazala hatten ihr einige Decken dorthin gelegt, damit sie nicht auf nacktem Fels schlafen musste. Die Seherinnen selbst aber waren verschwunden. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass die Gazala durch Wände einfach hindurchschreiten konnten. Die Einsamkeit zehrte an Nandalee. Früher, als sie als Jägerin über die weiten Ebenen Carandamons streifte, war sie oft wochenlang mit sich allein gewesen. Damals hatte sie sich nie einsam gefühlt. Hier war es anders. Hier war sie eingesperrt. Einer Aufgabe überlassen, die sie nicht zu lösen vermochte.

Sie starrte auf ihre Hände. Die verhassten knotigen Zwergenhände. Hände mit geschwollenen Gelenken und zu kurzen, zu dicken Fingern. Sie schloss die Augen. Tränen rannen ihr über die Wangen.

Nandalee zwang sich zur Ruhe. Sie wartete, bis ihr Atem wieder regelmäßig ging, und dachte an den weiten Himmel ihrer Heimat. An das unendliche Blau. Daran, wie sie als Kind auf dem Rücken im Schnee gelegen hatte und sich nicht hatte sattsehen wollen an der unendlichen Weite des Himmels. Diesen Himmel trage ich noch immer in mir, dachte sie. Und niemand kann ihn mir nehmen!