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Ailyn hob scherzhaft tadelnd einen Finger. »Hör auf dein Herz und du weißt, wie sehr du hier gebraucht wirst.«

»Gerade auf mein Herz sollte ich seltener hören.« Kaum waren die Worte über seine Lippen, da bedauerte er sie. Er wollte sein Selbstmitleid nicht zu anderen tragen. Sich nicht so sehr offenbaren.

Sie sah ihn an, als könne sie bis auf den Grund seiner Seele blicken. »Opfere die Gegenwart nicht der Vergangenheit.« Sie legte ihm kurz eine Hand auf den Arm. Flüchtig. Dabei wirkte sie unbeholfen. Sonst blieb sie immer auf Distanz. Gonvalon konnte sich nicht erinnern, dass Ailyn ihn außer bei Kampfübungen je berührt hätte.

Sie ging ohne ein weiteres Wort.

Er fragte sich, wie viel sie ahnte. Er musste sich besser beherrschen, durfte sich nachts nicht mehr in Nandalees Kammer schleichen. In ihrem Bett, in ihren Kleidern war noch ein wenig von ihrem Geruch. Wenn er sich in ihr Bett legte, war es fast so, als sei sie noch da.

Am Morgen war er aufgewacht, weil er glaubte, ihren Blick auf sich zu fühlen. Dabei starrte ihn nur der kleine Vogel an. Piep hing genauso an ihr wie er. Jeden Morgen war er draußen auf der Fensterbank und wartete darauf, dass Nandalee zurückkehrte.

Gonvalon lächelte bitter. Dass er etwas mit einem Vogel gemeinsam hatte, sprach nicht gerade für seinen Verstand. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand bemerkte, was er tat, und er zum Gespött der Weißen Halle wurde. Er würde noch einmal darum bitten, zu den Drachenelfen im Jadegarten versetzt zu werden. Zumindest für einige Monde. Auch wenn er dort Nodon treffen würde. Vor langer Zeit waren sie einmal Freunde gewesen. Bis seine erste Schülerin zwischen sie beide getreten war. Nodon hatte geglaubt, dass sie ihn liebte, und er war überzeugt gewesen, er habe sie ihm fortgenommen. Und als sie dann starb … Seitdem suchte Nodon einen Grund, sich mit ihm zu duellieren. Er war zum Anführer der Drachenelfen im Jadegarten aufgestiegen und gut mit dem Schwert. Vielleicht würde er das Duell sogar gewinnen. Es wäre sicherlich leicht, ihn zu provozieren, dachte Gonvalon. Dann würde alles ein Ende finden.

Spuren im Schnee

Es war das vierte Mal, dass Nandalee in den Körper des Vogels geschlüpft war. Einmal nur war Gonvalon nicht in ihrem Zimmer gewesen. Auch der Vogelkörper war ein Gefängnis. Sie wusste nicht, ob sie Piep ihren Willen aufzwingen konnte. Sie wollte, dass er immerzu durch das Fenster in ihr Zimmer blickte, aber das hatte er ja auch schon früher getan.

Manchmal wurde Gonvalon durch Pieps Picken an der Scheibe geweckt. Nun saß sie an dieser Scheibe. Sie konnte nichts spüren, nicht ahnen, was in ihm vor sich ging. Hatten Vögel Gedanken? Doch, ganz gewiss! Warum sonst hätte er immer wieder ihre Nähe gesucht? Nur weil es auf ihrem Fenstersims regelmäßig Futter gab? Das mochte sie nicht glauben. Da war dieses Band zwischen ihnen. Und nur zwischen ihnen gab es eine solche Verbindung.

Sie hatte viele Stunden damit verbracht, ein magisches Band zwischen sich und Gonvalon zu entdecken. Da war nichts, obwohl er ihr mehr bedeutete als die kleine Misteldrossel.

Gonvalon war auch in dieser Nacht in ihr Bett gekommen. Er lag dort, zusammengerollt wie ein schlafendes Kind, die Decke eng an den Leib gepresst. Nandalee ertappte sich bei dem Wunsch, jene Decke zu sein. In seinen Armen zu liegen. So würde es kommen! Der Dunkle hatte versprochen, sie ziehen zu lassen. Aber was geschah, wenn es ihr nicht gelang, ihre wahre Gestalt wiederzufinden? Würde er sie als Zwerg in die Weiße Halle zurückschicken?

Nandalee ärgerte sich über den Gedanken. Sie sollte ganz den Augenblick leben und sich nicht mit den Sorgen der Zukunft belasten.

Warum stand Gonvalon nicht auf? Das erste Morgenlicht sickerte über die Bergkämme. Es war an der Zeit, ihn zu wecken! Sie wusste, dass er schnell gehen musste, damit er wieder in seinem Zimmer war, bevor es wirklich hell wurde und die Weiße Halle erwachte. Die Zeit, die ihr mit ihm blieb, war knapp bemessen, und sie wollte keinen Augenblick verlieren.

Piep pickte mit dem Schnabel gegen die Scheibe. Der Nachtfrost hatte Eisblumen auf das Fenster gezaubert und das Schnabelpicken hinterließ kleine Punkte in der Haut aus Eis.

Piep legte den Kopf schief und betrachtete sein Werk. Wenn sie das nutzen könnte … Sie konzentrierte sich. Bot all ihren Willen auf. Piep pickte erneut an der Scheibe. Nicht ganz so, wie sie es gewollt hatte. War er ihrem Willen überhaupt gefolgt? Es war eine unregelmäßige Linie aus Pünktchen im Eis zurückgeblieben.

Gonvalon erhob sich vom Lager. Er faltete ihre Decke. Sie hatte das nie getan. Dann kam er zum Fenster und öffnete es.

»Guten Morgen, mein kleiner treuer Gefährte. Ich muss dich enttäuschen. Schon wieder bin nur ich es.«

Er sieht traurig aus, dachte Nandalee. Er hat nicht viel geschlafen.

Piep zwitscherte aufgeregt, als wolle er Gonvalon mitteilen, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Gonvalon strich der kleinen Misteldrossel vorsichtig mit einem einzelnen Finger über den Kopf. »Treue Seele«, murmelte er. »Du hast mein Bild von Vögeln verändert.«

Jetzt erst bemerkte Nandalee den Schnee auf der Fensterbank. Eine dünne, puderige Schicht. Vielleicht … Verzweifelt versuchte sie die dünnen Beinchen des Vogels zu erfühlen. Sie zu beherrschen. Sie spürte Widerstand. Es fühlte sich an, als würde sie eine von Feuchtigkeit verzogene Tür aufstemmen. Würde sie Piep schaden?

Sie ließ ihn hüpfen! Es war schwer zu kontrollieren.

»Was ist denn mit dir los?« Gonvalon sah verwundert auf sie hinab. Wenn sie nur sprechen könnte. Nur ein einziges Wort.

Sie dachte an ihren Namen. Blickte hinab in die dünne Schicht von Schnee. Wieder war die Welt so viel weiter. Ihr Blickwinkel verschoben. Es war schwer, den Boden zu betrachten. Eine Spur kleiner Dreizacke war im Schnee zurückgeblieben. Mit viel Phantasie vermochte man ein N zu erkennen. Sie durfte nicht aufgeben! Wieder begann sie zu hüpfen. Linkisch und unbeholfen. Ihre zierlichen Vogelfüße stanzten ein Muster in den Schnee. Am Ende hatte sie ein verzerrtes A zustande gebracht. Erwartungsvoll blickte sie zu Gonvalon auf.

»Ich wünschte, du könntest reden. Dich quält etwas, das sehe ich.« Er strich ihr mit einem Finger über den Kopf und sie empfand es so intensiv, als habe er wirklich sie berührt.

»Du musst mit deinen Kräften haushalten. Der Winter will seine erste Schlacht schlagen. Der Nordwind wird bald wieder über die Berge kommen. Ich kann den Sturm kommen fühlen. Es wäre klug, wenn du mit deinem Weib und deinem Nachwuchs Zuflucht hier im Zimmer suchst. Da wird euch nichts …« Er lachte auf. »Was tue ich! Ich rede mit einem Vogel!«

Nandalee begann zu zwitschern und schlug mit den Flügeln. Warum blickte er nicht in den Schnee?

»Sogar du bist erschrocken über mich, wie ich sehe. Vor dir steht der größte Narr der Weißen Halle und sie nennen mich einen Meister …« Er wandte sich ab.

Wieder zwitscherte sie. Noch eindringlicher jetzt. Und dann begriff sie, was für einen Fehler sie gemacht hatte. Die beiden Buchstaben waren nicht nur krumm und schief, sie standen, von Gonvalon aus betrachtet, auch noch auf dem Kopf!

»Was führst du für ein Spektakel auf?« Er trat noch einmal ans Fenster. Wenigstens das. Nandalee versuchte irgendeinen Laut hervorzubringen, der einem elfischen Wort wenigstens ähnelte. Es war vergebens. Vogelschnabel und Zunge waren nicht dazu geschaffen, Worte zu formen. Nicht bei Drosseln.

Sie hüpfte in Richtung der Buchstaben und breitete einen Flügel aus, um in großer Geste auf ihr Werk zu deuten.

Gonvalon lächelte. Zumindest das!

»Was bist du, Piep? Ein Gaukler unter den Vögeln?«

Sie nickte und verneigte sich.

Ihr Geliebter lachte laut auf. »Man könnte meinen, dass du mich verstehst.«

Wieder nickte und verbeugte sie sich. Dann deutete sie erneut mit einem ausgestreckten Flügel auf die beiden krakeligen Buchstaben. Endlich beugte sich Gonvalon vor. Er betrachtete die Spuren im Schnee. Sie hörte ihn scharf einatmen.