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Muwatta verstand gewiss genau, wie das gemeint war. Doch er schaffte es, seine Stimme zu beherrschen, als er entgegnete: »Stimmt es, dass du in den letzten beiden Jahren keinen Nachkommen mehr gezeugt hast, Bruder? Meine Priester können dich segnen. Vielleicht hilft das? Deine Priester verfluchen dich, wie man hört.«

Muwatta trug ebenfalls seinen Maskenhelm. Artax konnte das Gesicht des Unsterblichen nicht sehen, aber er war sich sicher, dass Muwatta seinen Auftritt genoss.

»Ich hatte gehofft, wir könnten über Frieden sprechen«, sagte er eine Spur lauter als bisher. »Aber wie es scheint, wiegen die Leben deiner Krieger leicht in der Waagschale deines Stolzes.«

»Das siehst du falsch«, entgegnete Muwatta ebenfalls etwas lauter. »Meine Krieger tragen eiserne Waffen. Sie werden deine Krieger niedermetzeln, und deine Männer wissen das. Jene, die du mitgebracht hast, werden weitererzählen, was sie hier gesehen haben. Wenn wir uns in einem Jahr auf dem Schlachtfeld begegnen, wird dein Heer mit dem Wissen aufmarschieren, dass es geschlagen werden wird. Die Moral deiner Männer wird so schlecht sein, dass ich gar keine eisernen Klingen bräuchte, um zu triumphieren. Nicht ich werfe hier Leben in die Waagschale meines Stolzes. Du tust es.«

Muwatta hatte mit jedem Wort recht. Artax griff nach dem Verschluss des Maskenhelms. Er öffnete ihn und nahm den Helm ab. Dabei lächelte er. Er kam aus einem kleinen Dorf. Feilschen und Schachern hatte zu seinem Leben gehört, seit er laufen gelernt hatte. »Es ist immer eine Freude, einen Gegner zu haben, der sich seiner Sache so sicher ist. Am Abend nach der Schlacht werde ich dir erklären, warum du verloren hast. Und nun wollen wir nicht weiter Angst und Zweifel in die Herzen deiner Untertanen säen. Heute ist ein Festtag. Wenn ich es richtig verstanden habe, wirst du eine schöne Jungfrau besteigen, und wenn du es schaffst, sie zu schwängern, dann werden die Felder im nächsten Jahr reiche Früchte tragen.«

»Aber, mein Freund, wo sind deine Manieren? Hunde besteigen eine Hündin. Und vielleicht Barbaren ein Weib. Ich aber werde der Auserwählten dieser Nacht ein unvergessliches Vergnügen bereiten. Und nun sei eingeladen, meinen Elefanten zu besteigen. Hier vorne, werter Aaron. Bei der kleinen Treppe. Nicht von hinten.«

Artax hörte die Umstehenden verhalten lachen. Er breitete die Arme aus. »Ich gebe mich geschlagen. Mit Worten bist du wahrlich treffsicherer als mit deiner Klinge.«

Muwatta deutete zu der zierlichen vergoldeten Treppe, die seitlich der Howdah über die Flanke des zweizahnigen Kopfschwänzlers hinabhing, reichte ihm sogar die Hand und zog ihn das letzte Stück auf den Elefantenrücken, wo sie gemeinsam auf dem breiten Thron unter dem seidenen Baldachin Platz nahmen. Artax suchte nach Worten, um mit dem Herrscher Luwiens noch einmal ins Gespräch zu kommen. Es musste doch einen Weg geben, diesen Irrsinn aufzuhalten.

Unter den scharfen Befehlen des Treibers wendete der Elefant und ging zurück zum Stadttor. Artax gab seinem Gefolge ein Zeichen, ihnen zu folgen. Sie hatten das Tor fast erreicht, als auch Muwatta seinen Maskenhelm abnahm. Er hatte schulterlanges, leicht gewelltes Haar. Sein Bart war überaus eindrucksvoll und reichte ihm bis zur Mitte der Brust. Er strahlte eine erdrückende Selbstsicherheit aus. »Weißt du, ich habe ernsthaft überlegt, dich und dein ganzes Gefolge ermorden zu lassen. Hierherzukommen und mich vor meinem Volk zu beleidigen war überaus frech. Bist du so verzweifelt oder so dumm?«

»Ich will Frieden für unsere Reiche! Es gibt so viel Sinnvolleres zu tun, als diese Schlacht zu schlagen.«

»Dann überlass mir deine Hälfte der Provinz Garagum. Du wirst ohnehin nicht verhindern können, dass ich sie mir nehme. Das wäre eine weise Tat.«

Das lässt sich nicht von der Hand weisen. Allerdings wird man dich dann in Zukunft den Schwanzlosen nennen und nicht mehr ihn.

»Eben fragtest du noch, ob ich dumm sei. Wie kannst du da mit weisen Taten rechnen?«

Muwatta strich sich über den Bart, dann schüttelte er bedächtig den Kopf. »Unsere Gespräche führen zu nichts. Ich werde einige deiner fähigeren Berater ermorden lassen. Dann hatte dieser Besuch wenigstens einen Nutzen für mich.«

»Die Männer, die ich mitgebracht habe, sind verzichtbar.«

Muwatta schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Du bist ein schlechter Lügner. Glaube nicht, dass ich meine Feinde nicht kenne. Ich habe Spitzel an deinem Hof, und ich weiß, dass dieser bartlose Schnösel, den du als Hofmeister hältst, wertvoll ist. Du bist zu spät gegen meine Piraten ausgezogen, um deine Zinnflotten zu retten, und damit, dass du Datames hierhergebracht hast, hast du seinen Untergang besiegelt. Sein Tod ist bereits vorbereitet, und du wirst ihn nicht verhindern können. Siehst du dein Schicksal? Jeder deiner Schritte führt dich näher an den Abgrund.«

Artax’ Hoffnungen hatten sich in Luft aufgelöst. Als er vor Jahren mit Siran, dem reichsten Bauer seines Dorfes, im Streit gelegen hatte, war er uneingeladen auf der Hochzeit von dessen jüngster Tochter erschienen. Er hatte ein paar hübsche Geschenke mitgebracht und sich höflich benommen. Danach war ihr Streit erledigt. Aber Muwatta war nicht Siran und ein Streit zwischen Königreichen verlief wohl nach anderen Gesetzen als ein Streit auf dem Dorf. Artax wünschte, er wäre nicht hierhergekommen. Um einen Rückzieher zu machen, war es jetzt zu spät.

Der Hüter der goldenen Gewölbe

Talawain prüfte noch einmal den Sitz seiner Kleider, die ihm die Rolle des Hofmeisters Datames aufzwangen. Die mit Drähten versteifte Robe war überaus unbequem, aber sie war nützlich. Er hätte nicht hier sein sollen. Mit Händen und Füßen hatte er sich gewehrt. Ihm war klar, dass er sich dadurch verdächtig gemacht hatte. Es war selbstverständlich, dass der Hofmeister eine solche Reise nicht nur organisierte, sondern auch an ihr teilnahm.

Beklommen blickte er zu der großen Stufenpyramide. Artax und sein engeres Gefolge waren zu einem großen Festgelage auf eine Dachterrasse des Palastes geladen. Von hier aus hatte man den besten Blick auf die Zikkurat, die Stufenpyramide, auf deren Spitze jener kleine, weiße Tempel stand, in dem die Himmlische Hochzeit vollzogen wurde. Es gab keine Wände. Nur vier plumpe Säulen, die ein leichtes Dach stützten. Alle sollten Zeugen sein, wie der Unsterbliche das Ritual vollzog. Barbarisch! Selbst für die Verhältnisse von Menschen, dachte Talawain.

Genauso barbarisch wie die plumpe Beleidigung, die ihre Unterbringung darstellte. Aaron und sein Gefolge waren in Schilfbündelhallen auf dem Hof des Palastes einquartiert. Vordergründig hieß es, man habe keine Zeit gehabt, für den überraschenden Besuch angemessene Quartiere zu finden. Schilf war zu zehn Schritt langen Bündeln zusammengebunden, die man zu Bögen krümmte und an Holzpflöcken im Boden verankerte. Viele dieser Bögen hintereinander bildeten eine Halle. Dicht an dicht standen siebzehn solcher Hallen im weiten Palasthof. Einige der niederen Diener aus Aarons Gefolge waren notdürftig in Ställen untergebracht. Die Schilfbündel waren mit Duftölen durchtränkt worden, was Talawain nicht als Bereicherung empfunden hatte. Man hatte zu sehr übertrieben! Drückte man fest gegen das Schilf, sickerte Duftöl von schlechter Güte hervor. Rosenöl und andere Duftstoffe waren mit billigem Olivenöl gestreckt worden. Die Duftnote, die sich daraus ergab, war wahrlich unverwechselbar. In keiner der Hallen konnte Talawain länger verweilen, ohne Kopfschmerzen zu bekommen. Allerdings schienen die Menschen unempfindlicher zu sein.

Unruhig schweifte Talawains Blick über die Palastterrasse. Der Elf konnte die Anwesenheit von mindestens zwei Devanthar spüren. Zu sehen vermochte er sie jedoch nicht. Vielleicht hatten sie Menschengestalt angenommen.

Die Devanthar waren vollendete Täuscher – und sie waren in seinen Augen nicht nur Feinde. Er hatte auch Respekt vor ihren Fähigkeiten. Und gerade deshalb wollte er nicht hier sein. Es war unvernünftig und gefährlich, denn er wusste, wie unendlich sie ihm überlegen waren. Am Hof Aarons war es ihm bisher stets geglückt, sich im Hintergrund zu halten, wenn der Löwenhäuptige anwesend war, aber hier, während dieses bedeutenden Festes, war es so gut wie unvermeidlich, einem Devanthar unter die Augen zu kommen.