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Talawain nippte lustlos an seinem Wein. Er wurde in kitschigen, mit Edelsteinen besetzten goldenen Bechern serviert. Man konnte ihnen ansehen, dass sie vor allem teuer sein sollten. Von Schönheit und ästhetischer Komposition hatten diese Wilden keine Ahnung. Der Hofstaat Muwattas war ein Grauen. Überall wurde mit Gold und Reichtum geprotzt. Daran allein war ja nichts Verwerfliches, aber die Menschen verstanden es einfach nicht, dass weniger manchmal mehr war. Nicht überbordende Fülle erfreute das Auge. Sie verwirrte nur. Ein Kunstwerk brauchte Raum, um zur Geltung zu kommen.

Aarons Palast war unvergleichlich viel schöner gestaltet, denn er war sein Werk. Viele Jahre lang hatte er langsam Überflüssiges verschwinden lassen und gelegentlich ein neues Kunstwerk aufgestellt. Eine Skulptur von den Nomaden von jenseits der Glaswüste, eine bemalte Vase aus den Werkstätten Trurias. Der Unsterbliche des Großreiches Valesia hatte angeblich einen erlesenen Geschmack. Es gab Gerüchte, dass er schon seit vielen Jahren an einer Weißen Stadt bauen ließ, die tief in den Bergen verborgen lag. Selinunt hieß sie, und sie sollte ganz und gar aus Marmor errichtet sein. Er würde diesen Ort gerne einmal sehen. Wahrscheinlich würde er enttäuscht werden, aber er war neugierig. Gewiss war Selinunt schöner als Isatami, die Hauptstadt der Geschmacklosigkeiten!

Talawain blickte zu der Zikkurat. Die turmhohe Stufenpyramide war ganz mit meergrün glasierten Ziegelsteinen verkleidet. Ziegelreliefs mit Bildern der geflügelten Göttin und des unsterblichen Muwatta hoben sich goldgelb ab. Tausende Öllämpchen standen an den Kanten der Terrassen der Pyramide und auf den Stufen der Treppe, die hinauf zum kleinen Tempel führte. Im Licht der Lämpchen sah das Bauwerk fast schön aus. Priesterinnen in weißen Gewändern, eskortiert von kahl geschorenen Eunuchen, die Fackeln trugen, stiegen die große Treppe hinab. Sie hatten das Bett für die Himmlische Hochzeit vorbereitet.

Talawain dachte an das zierliche Mädchen, das er am Morgen kurz gesehen hatte. Die Braut des Unsterblichen. Sie war gerade einmal fünfzehn, schätzte er. Vielleicht auch jünger. Ein hübsches Mädchen nach den Maßstäben der Menschen. Mit großen, dunklen Augen, in denen sich am Morgen Stolz und eine Spur von Furcht gespiegelt hatten. Er hatte sie gemocht und sich diskret erkundigt, was sie erwartete. Was er gehört hatte, hatte ihn nur mit noch mehr Abscheu erfüllt.

Die Kleine musste jetzt irgendwo in einem Tunnel unter der Stadt sein. Eskortiert von einigen Eunuchen. Der Geheimgang führte zu einer verborgenen Treppe im Inneren der Zikkurat. Diese Treppe war allein den Bräuten des Unsterblichen vorbehalten. Kein anderer Mensch durfte sie betreten. Am Fuß der Treppe würden die Eunuchen das Mädchen entkleiden. Dann müsste sie, mit einer Öllampe in der Hand, die dreihundert Stufen zum Tempel auf der Spitze der Zikkurat erklimmen. Angeblich gab es an den Wänden entlang der Treppe Fresken, die sie über die Freuden der Himmlischen Hochzeit belehrten. Das Mädchen stand für die Erde, und deshalb hatte man sie durch den Tunnel gehen lassen. Sie würde aus der Erde geboren werden und, vor Blicken verborgen, direkt in den Himmel hinaufsteigen. Muwatta aber würde von Išta selbst zum Tempel getragen werden. Er verkörperte den Himmel und würde vom Himmel herabsteigen. Die Vereinigung von Erde und Himmel, den erneuerten Bund zwischen Menschen und Göttern, all das versinnbildlichte diese Hochzeit. Das Mädchen würde man nach dieser Nacht Priesterinnen anvertrauen. Von Männern weit entfernt, würde sie in einem Tempel tief in den Bergen verborgen warten und beten. Wenn sie ein Kind empfangen hatte, stand dem Land ein gutes Jahr bevor. Wuchs aber keine Frucht in ihrem Leib heran, so war dies ein böses Omen für die kommende Ernte. Dann würden der Unsterbliche und die Priesterschaft sie im nächsten Frühjahr auf einem Tempelacker vor den Mauern Isatamis opfern und ihr Blut in die Ackerfurchen rinnen lassen, um eine Dürre vom Land abzuwenden.

Heller Zimbelklang und das dumpfe Dröhnen zahlloser Handtrommeln ertönten aus den Straßen der Stadt. Zehntausende feierten. Den ganzen Tag über waren Stiere geopfert worden, und ihr Fleisch hatte man unter den Armen verteilt. Wein floss in Strömen, und Datames war sich sicher, dass die Gläubigen hundertfach in Hauseingängen und dunklen Gassen ihre eigene Variante der himmlischen Hochzeit zelebrierten. Längst waren die Krieger von den Straßen abgezogen und sicherlich feierten etliche mit Bauern und anderem Pöbel. Es gab keine Ordnung mehr dort unten. Nur noch Ekstase. Es war schlimmer als ein Koboldfest!

Talawain blickte über die weite Terrasse. Hier ging es kaum weniger zügellos zu. Die Gäste hockten oder lagen in kleinen Gruppen um niedrige Tische; große Kissen und dicke Teppiche sorgten für Bequemlichkeit. Niedrige Wolken zogen über den Himmel und in der Ferne konnte man manchmal Wetterleuchten sehen. Es war drückend heiß. Eine Nacht für Ausschweifungen. Die meisten Luwier und auch etliche Gefolgsleute Aarons waren aufreizend leicht bekleidet. Manche der Damen trugen mehr Schmuck als Stoff!

Talawain war nicht prüde, doch zog er es vor, seine Affären nicht unter den Augen Dutzender Gaffer auszuleben. Die Mentalität der Menschen würde er niemals ganz begreifen. Er fand es interessant, sie zu beobachten. Sie überraschten ihn immer wieder. Seine Aufgabe erfüllte ihn und ihm war bewusst, dass er der einflussreichste Elf der Blauen Halle in Aram war, vielleicht sogar auf ganz Daia. Nur selten gelang es einem von ihnen, bis zu den höchsten Ämtern aufzusteigen und einem der Unsterblichen nahe zu sein. Sogar seinen Pflichten als Hofmeister ging er gerne nach. Und doch wuchs in den letzten Wochen seine Sehnsucht nach Albenmark. Er vermisste es, unter seinesgleichen zu sein, und sehnte sich danach, einmal nicht mehr in jedem Augenblick auf der Hut vor Entdeckung sein zu müssen.

Unter den Würdenträgern Muwattas waren viele Krieger. Erfolgreiche Feldherren belohnte er gerne mit Statthalterposten und Hofämtern – eine Praxis, die Korruption Tür und Tor öffnete. Statt fähige Beamte zu befördern, setzte er diesen erfahrene Totschläger vor die Nase. Stolz dachte Talawain, dass die Wirtschaft Arams besser florierte. Die Abgaben an den Unsterblichen verloren sich nur in geringem Umfang in den Schatztruhen von Provinzfürsten. Und seit die gierige Priesterschaft gezügelt worden war, wurde weniger Gold für unnützen Tempelpomp verschwendet.

Talawain beugte sich vor und schob seinen Weinpokal zur Seite. Er war des süßlichen Roten überdrüssig und versuchte sich an dem Anisschnaps, der in irdenen Krügen auf jedem der niedrigen Tische stand. Zwei Fingerbreit goss er in einen mit luwischen Helden bemalten Tonbecher und füllte dann Wasser nach. Er mochte den Geruch von Anis. Als er das Wasser beimengte, nahm der klare Anisschnaps eine milchige Farbe an. Löwenmilch nannten die Luwier dieses Gebräu und zahllos waren die Geschichten, die sich darum rankten.

Dröhnendes Gelächter ließ Talawain über den Rand des Bechers blicken. Nicht weit entfernt saß Kurunta, der Hüter der Goldenen Gewölbe. Er war der Schatzmeister Luwiens und wahrscheinlich der einflussreichste Mann am Hof Muwattas. Ein ehemaliger Krieger, der seine Lorbeeren im Kampf gegen Ischkuza gesammelt hatte. Die Grenze zu den Steppennomaden war friedlos. Immer wieder kam es zu Viehdiebstahl und alle paar Jahre sogar zu ausgedehnten Plünderzügen, die Madyas, der Unsterbliche von Ischkuza, zwar scharf tadelte, aber nie ahndete. Kurunta hatte seine Streitwagenschwadronen tief in die weiten Steppen geführt und dort zahllose Scharmützel geschlagen. Verbrannte Jurten und niedergemetzeltes Vieh hatten seinen Weg gesäumt. Er war ein berüchtigter Folterer. Angeblich ließ er seine Gefangenen an einem Spieß braten, wobei er stets mit den Kindern begann. Talawain war sich darüber im Klaren, dass viele dieser Geschichten Lügen sein mussten. Aber wenn man Kurunta ansah, glaubte man sofort daran, dass es einen wahren Kern geben musste. Er war ein massiger, verlebt aussehender Kerl. Sein breites Kreuz und die muskulösen Arme passten nicht recht zu dem Schmerbauch, der über seinen Wickelrock quoll. Ein Nabelbruch ließ seinen deformierten Bauchnabel wie ein Fingerglied zwischen den Speckrollen hervorlugen. Über seine Stirn zog sich eine weitere, hässliche Narbe. Talawain fragte sich, ob Kurunta schlecht genähte Narben als Schmuck betrachtete. Der Schädel des Hüters der Goldenen Gewölbe war mit grauen Stoppeln bedeckt. Ein üppiger, rechteckig gestutzter Bart verdeckte sein Doppelkinn.