Breite goldene Armreife und ein langer Dolch in einer rubinbesetzten Scheide waren der einzige Schmuck, den er trug. Er war gleich mit zwei Konkubinen zu dem Fest gekommen. Einer Drallen mit falschem blonden Haar und einem zierlichen Mädchen, das kaum zu überspielen vermochte, wie unangenehm es ihr war, von Kurunta begrapscht zu werden. Der Blonden quollen die üppigen Brüste aus dem Dekolleté und Kurunta liebte es, sie mit leichten Schlägen in Schwingung zu versetzen, während er lautstark mit den umsitzenden Gästen plauderte. Dem zierlichen Mädchen hatte er auch schon mehrfach in den Ausschnitt gepackt. Sie zog ihr Kleid immer wieder zurecht, sobald ihr Herr von ihr abließ. Die Kleine war stark geschminkt und hatte die Augen mit Kohlestrichen umrandet.
Talawain dachte daran, einen Meuchler aus der Weißen Halle auf dieses widerliche Schwein anzusetzen. Aber das wäre unverantwortlich. Mit Kurunta in Amt und Würden erlitt Luwien sicherlich größeren Schaden als durch sein Ableben.
»Heh, Eunuch!« Kurunta hob den Arm und winkte.
Talawain senkte den Blick und nippte an seinem Schnaps.
»Dich mein ich, Bartloser! Was starrst du so herüber? Magst den Blick nicht von meinen Weibern lassen? Ich hab es gesehen, Lüstling. Los! Sag was!«
Talawain seufzte. Dann blickte er auf. Alle Gespräche ringsherum verstummten. »Ich bitte vielmals um Entschuldigung, wenn der Eindruck entstanden ist, dass ich die Damen in deiner Begleitung mit unschicklichen Blicken belästigt habe. Wenn ich zu starken Schnaps trinke, pflege ich gelegentlich zu schielen. Mir fiele niemals ein, die beiden anzustarren.«
»Willst du damit sagen, dass du die beiden keines Blickes würdigst? «
Talawain fiel auf, dass Kurunta ganz klar sprach. Er war auf keinen Fall betrunken. Der Hüter der Goldenen Gewölbe suchte Streit!
»Ich habe dich etwas gefragt, Eunuch! Willst du mich beleidigen und mir sagen, ich würde mich mit Weibern umgeben, die nicht ansehnlich sind?«
»Nichts liegt mir ferner, Erhabener. Die Schönheit der beiden Grazien macht mich so fassungslos, dass es mir schwerfällt, mein Erstaunen über ihren Anblick in Worte zu fassen.«
»Also gaffst du sie doch an und geilst dich an ihnen auf. Ich finde, jetzt ist es an der Zeit, dass wir gaffen.«
Talawain sah aus den Augenwinkeln, wie der unsterbliche Aaron sich erhob. Das alles hier war inszeniert! Es ging darum, Aaron und dessen Gefolge bloßzustellen.
»Was hat mein Hofmeister dir getan?«, fragte Aaron harsch.
»Meinen Stolz verletzt!«, entgegnete der Luwier dreist. »Und nun ist es an ihm, dass er sich demütigt! Soll er seinen Rock öffnen und uns allen zeigen, was ihm fehlt. Damit wäre mir Genüge getan.«
»Ist es wirklich das, was du willst?«, entgegnete Talawain rasch. Er wollte nicht, dass Aaron in diese Sache hineingezogen wurde. »Wenn ich meinen Rock öffne, so fürchte ich, könnten deine Damen mehr erblicken, als sie zu sehen gewohnt sind. Willst du dir das wirklich antun, Kurunta?«
Schallendes Gelächter erhob sich. Der Luwier wurde rot wie eine gekochte Languste. Er zog seinen Dolch. »Diesen Makel werde ich mit deinem Blut von meiner Ehre waschen! Ich schwöre dir, wenn da noch etwas zwischen deinen Schenkeln baumelt, dann wird es die nächste Morgenröte nicht erblicken!«
Talawain erhob sich ein wenig schwankend. Er wollte den Eindruck erwecken, nicht mehr ganz nüchtern zu sein. »Ich werde meine Ehre verteidigen«, rief er ein wenig zu schrill. Dabei machte er einen weiten Schritt über den niedrigen Tisch hinweg. Er stieß einige Trinkpokale um und die Fransen seines Wickelrocks kamen dem Docht einer Öllampe gefährlich nahe.
Sein unbeholfener Auftritt wurde mit Gelächter quittiert.
Aaron packte ihn am Arm. »Lass das! Der Kerl wird dich ausweiden. Er ist ein erfahrener Krieger. Dich zu töten, nur darum geht es ihm.«
»Bin ich nicht auch ausgeweidet, wenn seine Worte meine Ehre von mir nehmen und ich hier sitze und mich demütig ducke? Soll er lieber meine Eingeweide auf den Kissen hier verteilen, als dass ich Morgen für Morgen aufwache und damit leben muss, ein Feigling zu sein?«
»Wohl gesprochen, Bartloser!«, rief einer der Luwier. »Macht Platz für die beiden.«
Aaron ließ ihn los. »Du bist betrunken«, sagte er resignierend. »Ein betrunkener Narr!«
Talawain lächelte in sich hinein. Ja, genau als das wollte er erscheinen, als ein betrunkener Narr. Das war der einzige Weg, der ihm blieb, wenn er nicht offenbaren wollte, wer er wirklich war.
Der Elf streckte die Arme seitlich aus und tat so, als müsse er um sein Gleichgewicht kämpfen. Kurunta kam mit gezücktem Dolch auf ihn zu. Keiner der Luwier unternahm einen Versuch ihn aufzuhalten. Muwatta war nicht anwesend. Er wartete darauf, von Išta zur Himmlischen Hochzeit getragen zu werden. Morgen könnte er die Ereignisse der Nacht einfach abtun. Ein Tadel aus diplomatischen Gründen, das war alles, was Kurunta zu befürchten hatte. Talawain war sich sicher, dass dieser Vorfall mit Muwatta abgestimmt war.
Der Elf griff nach einem Weinpokal auf dem nächststehenden Tisch. Er hob ihn wie eine Waffe und goss sich dabei den Wein über Brust und Rock.
»Ich habe mir den Rock ruiniert«, stammelte er fassungslos.
Eine grell geschminkte Konkubine brach in schrilles Gelächter aus.
Kurunta trat einen Tisch zur Seite und stand nun unmittelbar vor ihm. Der Hüter der Goldenen Gewölbe stieß mit dem Dolch zu. Es war ein flacher Stoß, der ihn im Bauch treffen sollte. Talawain wich mit schlenkernden Armen zurück. Der goldene Pokal schlug vor den Dolch und drängte ihn gerade so weit ab, dass ihn die Klinge um Haaresbreite verfehlte. Der Elf ließ sich nach hinten fallen, riss ein Bein hoch und trat gegen die Hand, die den Dolch führte. So konnte Kurunta nicht nachsetzen.
»Lass ihn wenigstens wieder aufstehen«, herrschte Aaron den Luwier an. »Ich weiß nicht, wie du mit diesem Mord deine Ehre reinwaschen willst.«
Talawain kam auf die Beine und schüttelte sich.
Kurunta funkelte ihn wütend an. Wieder stieß er vor.
Der Elf trat auf eines der Kissen und ließ sich nach vorne fallen. Ein erschrockenes Hoppla rundete den Auftritt ab. Er klammerte sich Halt suchend an den rechten Arm des Luwiers, vermied, der Klinge zu nahe zu kommen, und drückte auf einen Nervenknoten unterhalb des Ellenbogens. Die Hand des Kriegers öffnete sich und sein Dolch fiel klirrend zu Boden.
Kurunta versetzte Talawain einen heftigen Stoß, doch der Elf nahm dem Treffer die Wucht, indem er mit ihm mitging. Erneut ließ er sich fallen und achtete darauf, dass er so auf der Kante eines der niedrigen Tische aufschlug, dass das andere Ende hochschnellte und Kurunta gegen das Kinn krachte. Talawain ging zwischen zerquetschten Weintrauben, gebratenen Täubchen und scheppernden Trinkpokalen zu Boden, während der Luwier benommen zurücktaumelte. Blut troff von seinem aufgeplatzten Kinn.
Der Elf setzte sich auf und musste sich ein Lächeln verkneifen. Das sollte ein großer Krieger sein? Jeder Novize in der Blauen Halle könnte Kurunta besiegen. Die einzige Schwierigkeit bei diesem Kampf bestand darin, so tollpatschig aufzutreten, dass jeder Zuschauer überzeugt wäre, dass er allein durch Glück gesiegt hatte.
Ein weiter Kreis hatte sich um sie beide gebildet. Kurunta atmete schwer. Talawain wusste, dass der Hüter der Goldenen Gewölbe die Rebellion der Priester unterstützt hatte. Der Elf hatte mehreren Verhören beigewohnt. Er hielt nicht viel von Folter, aber der Name Kurunta war immer wieder gefallen. Angeblich hatte er sich mit Abir Ataš, dem gestürzten Hohepriester, bereits auf Nangog getroffen. Luwien würde es in Zukunft besser ergehen, wenn Kurunta nicht mehr lebte. Jeder hier konnte bezeugen, dass der Hüter der Goldenen Gewölbe diesen Streit begonnen hatte. Es wäre eine gute Gelegenheit, sich seiner zu entledigen. Aber seine Sorge sollte allein Aram gehören. Er konnte Kurunta demütigen, seinen Ruf und seinen Stolz töten, aber das Leben musste er ihm lassen.