Nach allem, was ich gehört habe, hat Datames den Streit nicht angefangen.
Du weißt, wie sie sind!, zischte seine Schwester wütend. Elfen! Die Sklaven der Drachen. Aufreizend. Arrogant. Ihm war es ein Leichtes, Kurunta zu diesem Streit zu verleiten. Er ist der wahre Schuldige! Ich will sein Herz!
Der Löwenhäuptige nickte. Ihm war klar, dass er auf einem gefährlichen Grat balancierte. Wenn sie in Rage geriet, war niemand vor ihr sicher. Sie würde selbst ihn angreifen. Du wirst sein Herz bekommen.
Sie nickte zufrieden. Ich selbst werde es mir holen.
So sei es. Er wartete noch zwei Herzschläge lang. Aber nicht jetzt, Schwester.
Du maßt dir an, mir Vorschriften zu machen? In meinem Königreich! Du …
Willst du einen Dorn ausreißen, Schwester, oder lieber den ganzen Dornenbusch?
Rede klar, Löwe! Und nicht in Orakelsprüchen!
Ich weiß, wohin er geht, wenn er sich nach Albenmark zurückzieht. Er tut das selten und er ist stets sehr vorsichtig. Aber ich weiß, durch welchen Albenstern er in seine Welt tritt. Und ich weiß, dass es sehr nahe einen Ort gibt, an dem viele seinesgleichen leben. Wenn wir dort zuschlagen, können wir das Übel bei der Wurzel packen. Was nutzt es, einzelne ihrer Spitzel zu ermorden? Das haben wir schon dutzendfach getan. Ihm bin ich gefolgt, und ich weiß nun, was sie uns nie verraten haben. Ich weiß, wo sie herkommen.
Und du würdest nach Albenmark gehen und sie dort töten, Löwe?
Wenn die Zeit dafür gekommen ist, ja. Ich glaube, dass nicht alle unsere Brüder und Schwestern den Mut dazu haben werden. Aber auf dich habe ich gezählt. An diesem Tag kannst du dir das Herz des Datames nehmen, und du kannst dich an dem Entsetzen in seinem Antlitz laben, wenn er begreift, dass er es war, der uns an diesen Ort geführt hat.
Jetzt lachte sie vor Freude und aller Zorn war verflogen. Du willst gegen die Alben ziehen? Ich bin dabei!
Nicht die Alben. Nur gegen ihre Kinder. Sie schicken seit Jahrhunderten Spitzel gegen uns aus. Sie planen etwas. Wir sollten nicht einfach abwarten. Wir werden Daia in Albenmark verteidigen. Wenn ihre Spitzel vernichtet sind, werden sie es nicht wagen, uns anzugreifen. Es ist entscheidend, dass wir schnell und völlig überraschend zuschlagen. Die Alben sind träge, sie werden auf unseren Angriff nicht schnell reagieren. Und wenn wir uns in unsere Welt zurückgezogen haben, werden sie uns nicht folgen.
Aber ihre Spitzel, wandte seine Schwester ein. Das widerspricht dem, was du sagst. Warum schicken sie Späher, wenn sie niemals hierherkommen würden?
Die Drachen schicken sie — und die Alben dulden das. Aber sie werden nicht dulden, dass es einen offenen Krieg gibt. Ihr Denken ist erfreulich vorhersehbar. Wir riskieren so gut wie nichts, wenn wir den Ort angreifen, von dem uns Datames geschickt wurde. Und wie ich schon sagte — wir tilgen das Übel mit der Wurzel.
Ihre Züge verhärteten sich plötzlich. Wo wir von Übeln sprechen … Ich weiß darum, dass ein großes Streitwagengeschwader von Aram nach Ischkuza eingedrungen ist. Sollte es diesen Kriegern einfallen, die Grenzen Luwiens zu überschreiten, werde ich Himmelsfeuer auf sie regnen lassen. Ich werde sie …
Ich habe Muwattas Piraten auch gewähren lassen, unterbrach er sie verärgert. Es wäre mir ein Leichtes gewesen, ihre Schiffe zu vernichten, noch ehe sie eine der Zinnflotten Arams erreicht hätten.
Sie haben die Grenzen Arams nicht verletzt, entgegnete sie aufgebracht . Das ist etwas völlig anderes!
Er hielt ihrem Blick stand. Es sind keine Krieger Arams, die euch angreifen. Es sind dieselben Piraten und Söldner, die ihr gegen die Zinnflotte Aarons geschickt habt. Das Übel, das ihr heraufbeschworen habt, fällt nun auf euch zurück. Aaron hat ihnen befohlen, nicht anzugreifen, bis er aus Isatami zurück ist. Er ist hierhergekommen, weil er Frieden wollte. So, wie Muwatta ihn empfangen hat, wird der Krieg nun unvermeidlich sein.
Was kein Schrecken für uns ist!, entgegnete sie selbstsicher. Wir werden die Heere Arams auf der Ebene von Kush zerschmettern!
Ihr seid sicherlich besser bewaffnet. Aber Aaron überrascht mich immer wieder. Er denkt in ungewöhnlichen Bahnen. Anders als die übrigen Unsterblichen.
Wo hast du ihn her, Bruder?
Der Löwenhäuptige lächelte. Das bleibt mein Geheimnis.
Sie spreizte ihre Flügel ein wenig. Ich weiß genug über ihn. Ich bin mir sicher, er wird sich in der Schlacht wieder an die Spitze seiner Truppen stellen, und das wird er nicht überleben. Nicht, wenn zwei Heere aus fünfzigtausend Kriegern aufeinandertreffen.«
»Ich werde mich nicht einmischen, sagte der Löwenhäuptige bestimmt und doch zugleich mit Bedauern. Wenn er wieder einmal in vorderster Reihe kämpft, muss er die Gefahr alleine tragen. So, wie vor ein paar Wochen, als er sich alleine den Piraten gestellt hat. Allerdings erwarte ich, dass ihn die Ereignisse hier zur Vernunft bringen. Ihm muss klar sein, dass Muwatta in der Schlacht ein Kopfgeld auf ihn aussetzt, vermutlich eine ganze Satrapie.
Sie schenkte ihm ein schmallippiges Lächeln. Ein guter Vorschlag. Ich werde es erwägen …
Er knurrte gereizt. Du musst mir nichts vormachen. Ich weiß, was hier geschieht. Jetzt in diesem Augenblick, in dem wir miteinander reden, ist schändlicher Verrat im Gange. Muwattas Mörder ziehen durch die Nacht, und du triffst dich mit mir, hier weit außerhalb der Stadt, damit ich ihnen nicht ins Handwerk pfusche. Warum all dieser Hass? Der Muwatta, der Aarons Schwert zu spüren bekommen hat, lebt doch längst nicht mehr. Er wäre nicht in der Lage gewesen, die Himmlische Hochzeit zu vollziehen.
Sie sah ihn hochmütig an. Du weißt, wie es um die Unsterblichen bestellt ist. Die Erinnerungen ihrer Vorgänger leben in ihnen weiter. Auch der Hass. Mein Muwatta erinnert sich so deutlich daran, wie seinen Vorgänger das Schwert Aarons getroffen hat, als habe er es selbst in den Leib gerammt bekommen. Und was in dieser Nacht geschehen wird, ist die angemessene Sühne.
Hass wird stets nur Hass gebären, Schwester. Wir könnten Besseres bewirken …
Sie spreizte die Flügel. Nicht in dieser Nacht!
Der Löwenhäuptige seufzte. Gut, ich lasse dich gewähren. Aber mische dich nicht ein, wenn Aaron seinerseits Rache nimmt. Ich werde ihn und die Seinen beschützen. Und ich verspreche dir, ich werde zu verhindern wissen, dass Feuer vom Himmel fällt.
Zwei Drachen
Artax erwachte von dem Gefühl, gewürgt zu werden. Jemand kauerte neben seinem Lager.
»Endlich, Erhabener! Bitte, Ihr müsst aufstehen. Sofort!«
Artax hustete. Es war ein regelrechter Hustenkrampf, der gar nicht mehr aufhören wollte. Tränen traten ihm in die Augen. Als er endlich wieder atmen konnte, fühlte er sich benommen. Verwundert sah er sich um, bis er sich erinnerte, wie er hierhergekommen war. Wie alle anderen hatte er sein Quartier in den Schilfbündelhallen bezogen. Er hätte Gemächer im Palast haben können, aber er wollte nicht von seinem Gefolge getrennt werden.
»Schnell, Herr!« Der Diener, ein schielender Mann mit ergrauendem Haar, hielt seine Öllampe hoch. Nebel schien aus den Schilfrohrbündeln zu sickern. Er füllte bereits das obere Drittel der Halle aus und leises Zischen drang aus den Schilfwänden.