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»Ihr tragt zwei Drachen in Eurem Herzen, Erhabener. Den Drachen Ehrgeiz und den Drachen Romantik. Beide trachten danach, Euer Leben zu beherrschen. Das macht Euch zu einem gefährlichen Mann für jeden, der dazu verdammt ist, in Eurer Nähe zu sein, Freund wie Feind. Der Himmelssturz hat Euch verändert. Der Mann, den ich kannte, hatte nur ein Zieclass="underline" sein eigenes Vergnügen. Der andere Aaron folgt zu vielen Zielen. Besiegt einen der Drachen in Euch, dann werdet Ihr ein großer Mann sein.«

»Welchen Drachen hast du in dir getötet? Und hat dich das zu einem größeren Mann gemacht? Ich werde keinen von beiden aufgeben, denn sie machen mich zu dem, der ich bin. Und nun besorg mir Karren. Wir werden jeden Toten und jeden Verwundeten auf Karren laden. Und wir werden diese verfluchte Tempelstadt noch heute Morgen verlassen!«

Datames nickte knapp. »Und wie werdet Ihr mit den Wachen verfahren, Erhabener?«

»Sie werden auf der Ebene von Kush in der ersten Reihe stehen, wenn wir den Heerscharen Muwattas entgegentreten. Dort werden sie ihre verlorene Ehre wiederfinden können.«

»Gestattet Ihr, dass ich dann ebenfalls in der ersten Reihe stehe, Erhabener?«

Artax musterte den Höfling vom Scheitel bis zur Sohle. Datames war zu zart gebaut; er war kein Mann für den Kampf. Mit Kurunta hatte er Glück gehabt. Für ein Schlachtfeld würde dieses Glück nicht ausreichen, aber ihn zurückzuweisen würde ihn beschämen. »Ich lade dich ein, dort an meiner Seite zu stehen.«

Der Hofmeister lächelte schmal. »Bitte verzeiht, Erhabener, wenn ich mir die Gunst erbitte, ein paar Schritt entfernt zu stehen. Solange Ihr nicht einen Eurer Drachen besiegt habt, erwartet jeden, der Euch nahe steht, der Tod.« Mit diesen Worten wandte er sich ab.

Artax war fassungslos über so viel Impertinenz. Er sollte ihn ersetzen, dachte er, und wusste doch zugleich, dass er nicht auf ihn verzichten konnte.

Verzweifelt

Gonvalon rammte seinen Dolch in den verharschten Schnee und zog sich nach vorn. Seine Kleider waren mit Eiskrusten überzogen, sein Körper starr vor Kälte, und das war gut so. Die Kälte hatte die Schmerzen getilgt. Zumindest für den Augenblick.

Er blickte nicht an sich hinab. Und er blickte nicht zurück. Die Tanne auf der Anhöhe voraus war das Ziel seines Lebens. Sie musste er erreichen. Und wenn er das schaffen sollte, dann würde er sich ein neues Ziel suchen. Wenn …

Wieder streckte er die Arme vor. Knirschend fuhr der Stahl des Dolches durch die vereiste Oberfläche. Es war Nacht. Geisterhaftes Licht tanzte über den Himmel und reflektierte grün auf dem Schnee. Er wusste nicht, wie lange Matha Naht ihn festgehalten hatte. Waren es Stunden gewesen oder Tage? In der Qual war die Zeit außer Form geraten. Unmessbar! Er konnte sich nicht mehr erinnern, ob Licht und Dunkelheit über den Himmel gewandert waren. Nur an die Wolfsaugen konnte er sich erinnern. Nie würde er sie vergessen! Blaue Augen, die Iris eingefasst von einer dünnen schwarzen Linie.

Lyvianne hatte gesagt, dass der beseelte Holunder sich von Angst und Schmerz nährte. Matha Naht hatte ein Festmahl an ihm gehalten! Wie er entkommen war, daran erinnerte er sich nicht mehr. War er über den Drachenpfad gegangen? Wer hatte ihn geöffnet? Wollte Matha Naht, dass er floh?

Er rammte das Messer in den Schnee und zog sich wieder ein Stück weiter. Auch wenn der frühzeitige Kälteeinbruch die Landschaft drastisch verändert hatte, wusste er, wo er war. Es befand sich auf der Rückseite des Hügels, zu dem er mit Nandalee jeden Morgen gelaufen war. Die Weiße Halle war nur wenige Meilen entfernt. Er musste durchhalten!

Wieder zog er sich einen halben Schritt durch den Schnee. Die Erinnerung an die Wölfe … Nie würde er die Laute dieser Schreckensnacht vergessen. Das Schnappen der Kiefer, die splitternden Knochen. Matha Naht musste einen Zauber auf ihn geworfen haben. Er war nicht ohnmächtig geworden. Hatte alles mit angesehen …

Er war kein Schwertmeister mehr. Er war ein Krüppel. In einem jedoch hatte Matha Naht Wort gehalten. Das blasse Band zwischen Piep und Nandalee war nun von einem kräftigen, dunklen Rot. Auch hatte der beseelte Holunder die Wölfe vom kleinen Vogelkäfig ferngehalten. Gonvalon legte sein Haupt in den Schnee und tastete nach dem Käfig auf seinem Rücken. Leise meldete sich die Misteldrossel.

Der verharschte Schnee war ein hartes Kissen. Gonvalon dachte an Nandalee. An ihr helles Lachen, ihr ungebändigtes Temperament. Er hatte es versuchen müssen, sie wiederzufinden. Selbst jetzt, wo er wusste, wie die Suche enden musste, würde er sie erneut beginnen, hätte er noch einmal zu entscheiden. Sein Opfer war nicht vergebens gewesen. Das Band zum Vogel war voller Kraft und Gonvalon stellte sich vor, dass der dunkle Zauber Matha Nahts Nandalee ihre verlöschende Lebenskraft zurückgegeben hatte. Es hatte geholfen, was er getan hatte. Ganz sicher! Wenn er im Schnee liegen bliebe und starb, würde er mit einem Lächeln auf den Lippen gehen.

In den nahen Wäldern heulte ein Wolf. Hatte Matha Naht sie losgelassen, um ihr Werk zu vollenden? Gonvalon umklammerte den Dolch fester. Er würde nicht kampflos aufgeben! Mindestens einen der Wölfe wollte er in die Dunkelheit mitnehmen. Und er würde wiedergeboren werden. Vielleicht war es das Beste so? Er konnte Nandalee erneut begegnen. Seine alte Seele in junges Fleisch gewandet. Dann wäre er kein Krüppel.

»Das ist nicht das Ende«, murmelte er trotzig und stemmte sich hoch. Dann tastete er nach dem Käfig auf seinem Rücken. Mit zitternder Hand öffnete er die Tür, damit Piep entkommen konnte.

Die Misteldrossel landete neben ihm im Schnee. Mit schief gelegtem Kopf sah ihn der kleine Vogel mit seinen schwarzen Augen an. Erstaunlich, wie treu er war …

»Flieg fort! Das ist kein Platz für dich. Flieg!«

Piep hüpfte ein wenig zur Seite, verharrte dann und sah ihn erneut an. War sie wieder in ihm? Den Gedanken konnte Gonvalon nicht ertragen! Sie sollte ihn so nicht sehen! Nicht die Beine! Sie sollte den Schwertmeister in Erinnerung behalten, ihren Liebhaber, vielleicht auch noch den Steinmetz, der sich die Hände blutig gearbeitet hatte, wenn er versuchte, die Last seiner Seele in Stein zu schlagen. Aber nicht so!

»Flieg weg!«, zischte er den Vogel an. »Weg!« Er warf Klumpen gefrorenen Schnees nach dem Vogel. Piep stieß ein verärgertes Zwitschern aus. Dann flog er davon.

Gonvalon rang mit den Tränen. War sie dort gewesen? »Bitte nicht …«, flüsterte er schwach. »Bitte.«

Er schob sich ein Stück weiter den Hang hinauf. Wenn er es bis zur Tanne schaffte und den Baum im Rücken hatte, würde er einen besseren letzten Kampf liefern.

Wie eine höhnische Herausforderung erklang das Wolfsgeheul. Waren sie auf seiner Spur? Jagten sie ein anderes Wild?

Er entschied, dass er gar nicht entkommen wollte. Ein guter Abgang, das war alles, was er sich noch wünschte. Er lachte bitter auf. Abgang! Nein, den würde er nicht haben. Er würde nie mehr gehen. Matha Naht und die Wölfe hatten ihn zum Kriecher gemacht.

Mit verbissener Wut rammte er den Dolch durch den Schnee in den gefrorenen Boden und zog sich weiter. Stück für Stück kämpfte er sich den Hang hinauf, und die Wut verlieh ihm neue Kraft. Es war das letzte Aufbäumen, das wusste er.

Allmählich erstickte die Kälte das Feuer seiner Wut. Der Baum war nur noch drei oder vier Schritt entfernt. Würde er es schaffen? Sein Atem ging keuchend. Er dachte an seine Kindheit. Seine frühesten Erinnerungen waren jene an die Wölfe im Schnee. Alles was davor lag, war hinter ehernen Pforten verborgen, die sich nie mehr für ihn geöffnet hatten. Sein bewusstes Leben war ein Kreis, der sich nun schloss. Der Gedanke ließ ihn lächeln. Stimmte ihn friedlicher. Er war so müde.

Mit Wölfen im Schnee hatte es begonnen. Sie hatten ihn zu Gonvalon, dem Winterkind, gemacht. Nun würden die Wölfe ihren Fraß doch noch bekommen.