»Und genau das wird geschehen, wenn wir uns nicht zurückziehen. «
»Wir schneller sind!«
»Wir am Ende unserer Vorräte sind«, äffte Juba ihn nach. »Verdammt, sieh es ein! Unser Spiel ist aus. Wir können die Männer vielleicht noch für fünf Tage versorgen, und uns sitzt der Feind im Nacken. Wir haben keine andere Wahl. Und glaube nicht, dass ich Angst habe zu kämpfen. Mir macht es auch keinen Spaß, vor diesen verfluchten Bastarden den Schwanz einzuziehen wie ein geprügelter Hund. Sie verspotten Aram! Irgendetwas muss in Isatami geschehen sein. Der unsterbliche Aaron, mögen die Schwingen der geflügelten Sonne ihm Schatten spenden, muss mit seinen Friedensgesprächen gescheitert sein. Drastisch gescheitert … Er schreibt nichts darüber. Aber der Bote berichtet, dass es viele Tote gegeben hat. Er war nicht bei der Gesandtschaft. Nach allem, was er weiß, gab es ein schreckliches Feuer im Quartier der Unsrigen.«
»Dann ist sich noch wichtiger, wir nicht kneifen Schwanz! Wir machen List!«
Juba lachte kurz auf. Dann schüttelte er den Kopf. »Was für eine List?«
»Machen wir unsichtbar uns! Ich weiß, eine Großmutter mit Augen kaputt kann Spur folgen, die wir in Erde drücken. Zu viele Pferde. Zu viele Räder. Ich kann verschwinden lassen Spur. Komm, ich zeigen dir!« Er führte Juba zu dem Platz, an dem er sich mit den Spähern der Ischkuza besprochen hatte. Sie hatten eine Karte entworfen. Asche zeigte die Weiße Wüste an, einige Steine die Bergkette, die einen Teil der Grenze nach Luwien abschirmte.
»Hier wir stehen!« Volodi zeigte auf einen Punkt nahe der Wüste. »Totes Land ist sich halber Tag fort. Bin gewesen dort mit Spähern. Ist trocken wie Furz von sich halb verdurstetem Hund. Aber haben wir Verbündeten einen Starken, wenn wir gehen dort.«
Juba wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Wenn wir in die Wüste gehen, verrecken wir. Wir kennen die Wasserlöcher nicht, und in dem Sand kann man unseren Spuren sogar noch leichter folgen.«
Volodi lächelte verschwörerisch. »Kennst du nicht Macht von Freund Südwind. Ich haben gesehen. Drei Stunden. Dann hat sich alle Spuren gelöscht. Bleibt sich nichts!« Er deutete auf die Karte am Boden. »Gehen wir hier in totes Land. Werden Luwier denken sich, wollen wir zu großer Ebene. Aber wir klug. Wir gehen hierher zu Bergen. Ist sich kürzester Weg. Und …« Er machte eine Pause, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Wir sind schneller viel. Sind sich unsere Wagen von Streit leicht. Nicht wie Wagen von Luwier. Kommen wir besser durch Sand. Sie aber stecken sich fest! In totes Land gehen ist viel große List!
»Natürlich werden sie uns dorthin nicht folgen. Jeder, der klar denken kann, weiß, dass man mit Streitwagen kein Gebirge überqueren kann.«
»Dann wir hoffen, wir haben Feinde, die sich denken klar! Ich sage dir, ich kenne Weg. Und wenn ich sagen Mist, du darfst nehmen Kopf, das ist von mir, und stecken auf deine Speer! Du schlagen ein?«
Jenseits der Mauer
Zum ersten Mal seit Langem fühlte Nandalee sich gut. Sie hatte Angst, die Augen aufzuschlagen und jenen flüchtigen Moment in der Schwebe zwischen Schlaf und Wachen zu beenden. Sie war sich bewusst, wo sie war. So weit war sie ihren Träumen schon entglitten … Vor einem Augenblick noch hatte sie in Gonvalons Armen gelegen. Er hatte sie angelächelt. Es war dieses besondere Lächeln, geboren aus tiefer Liebe und doch verbunden mit einem Anflug von Schalk. Es machte ihn unwiderstehlich. Und er wusste das.
Auch Nandalee musste unwillkürlich lächeln. Sie streckte sich. Etwas stimmte nicht! Ihr Körper … Sie schlug die Augen auf. Sie hatte ihren Körper zurück! Ungläubig strich sie über ihre glatte Haut, tastete nach dem Gesicht, in dem kein Bart mehr wucherte. Sie hatte sich zurück! Endlich.
Vor Glück begann sie hemmungslos zu schluchzen. Der Bart war fort, aber … Sie hielt den Atem an und tastete nach ihrer Nase. Sie war nicht länger verstümmelt! Und ihre Augenbrauen … Sie hatte wieder zwei Augenbrauen! Immer wieder betastete sie sich. Sie kicherte, sie schluchzte. Ihre Gefühle trugen sie fort. Nie zuvor war sie so glücklich gewesen! Jetzt erinnerte sie sich wieder an den Augenblick der beginnenden Verwandlung. An den Schmerz! Das Reißen in den Gliedern. Das Blut … Sie konnte sich erinnern, ohnmächtig geworden zu sein. Wie hatte sie es geschafft, den Zauber zu vollenden? Oder hatte sie es gerade deswegen geschafft? Weil sie nicht eingreifen konnte und alles in seinem natürlichen Fluss war?
Sie öffnete ihr Verborgenes Auge und betrachtete das magische Netz. Sie sah es klarer. Verständiger. Wusste, warum alles miteinander verbunden war. Es war schön! Nie hatte sie es unter diesem Aspekt betrachtet. Wenn sie sich bewusst der Magie geöffnet hatte, dann war da immer eine unterschwellige Angst gewesen. Die hatte sie nun verloren. Sie fühlte sich als Teil dieses Netzes. Das hatte sie früher nie vermocht. Es war ein Hochgefühl! Sie verstand ihren Platz in der Welt! Wie hatte sie bislang nur so blind sein können und …
Da war ein Makel. Etwas, das die Harmonie störte. Die Linie, die sie mit Piep verband, war verändert. Sie war von einem dunklen Rot, das an frisch vergossenes Blut erinnerte. Nandalee überlegte, die Linie zu durchtrennen. Sollte sie sich nicht frei von verlorenen Bindungen machen? Dieses Band … Seine Magie war von einer Beschaffenheit, die sich deutlich von den Kraftlinien ringsherum unterschied. Jemand Fremdes hatte sich eingemischt. Den Zauber verändert …
Nandalee entschied, sich nicht zu entscheiden. Sie wollte ihr Hochgefühl nicht durch Grübelei trüben. Neugierig betrachtete sie alles um sich herum. Die weite Kammer erstrahlte in hellem Licht, ganz anders als das, was sie mit ihren wirklichen Augen wahrnahm. Alles im Thronsaal des Dunklen war von Magie durchdrungen. Selbst die Steine, aus denen die Pyramide erbaut war, waren nicht von Hand behauen. Der Wille des Drachen hatte sie aus dem gewachsenen Fels geschnitten und zu diesem Bauwerk geformt. Und Nandalee entdeckte, dass Firaz die Wahrheit gesagt hatte. Die Form des Bauwerks und der Räume darin beeinflusste das magische Netz. Es schien, als seien gewisse Zauber leichter zu weben, da die Kraftlinien gebündelt wurden. Am hellsten aber leuchtete der Thron des Dunklen. Sie erkannte ein dichtes Netz von Bannzaubern, die in den Fels gewoben waren. Darunter verbarg sich etwas mit einer magischen Struktur, die durch die Bannsprüche bis fast zur Unkenntlichkeit verzerrt war. Es war fremd, noch viel fremder als jener Zauber, der in ihr magisches Band zu Piep eingeflossen war. Was mochte dort liegen? Nandalee war versucht, den Zauber zu durchbrechen, und sie war zuversichtlich, dass ihr dies gelingen würde. Bereits seit sie die Fugen im Gestein entdeckt hatte, fragte sie sich, was so bedeutend war, dass der Erstgeschlüpfte es unter seinem Thron verbarg. Auf der anderen Seite … Sie dachte an das Fenster in der Bibliothek der Weißen Halle und all ihre Neugier versiegte. Einen solchen Fehler würde sie nicht wiederholen. Vielleicht verbarg sich unter dem Thron noch eine andere Pforte. Ihr genügte es, einmal unbedarft in ein Gefängnis gestolpert und dabei fast umgekommen zu sein – und sogar sie konnte aus ihren Fehlern lernen.
Versonnen betrachtete sie die Wände ringsherum. Ob sie einen Weg hinaus finden konnte? Nie zuvor hatte sie versucht, einen magischen Fluchtweg zu finden. Sie stieg vom flachen Thronhügel und watete durch das lauwarme Wasser. Die stickige Hitze war bedrückend.
Im Wasser entdeckte sie die Auren der Kreaturen, die dort lebten. Lange, schlangenartige Geschöpfe. Vielleicht Aale? Ein blasses blaulila Licht umfing sie. Sie wichen vor ihr zurück.
Als sie in den Gang trat, der vom Thronsaal fortführte, fand sie schon bald einen verschlungenen Wirbel, in dem sich das magische Netz zu einem leuchtenden Tunnel zusammenzog. Sie erkannte die Merkmale der Drachenmagie. Es war ein Zauber, der sich nicht am natürlichen Muster des magischen Netzes orientierte, um ihn zu manipulieren. Hier hatte man die Magie in eine Form gezwungen, die im Widerspruch zu den Gegebenheiten des Ortes stand. Man hatte ihr geradezu Gewalt angetan. Nandalee spürte, wie tiefgreifend diese Veränderung war und dass sie nicht gänzlich beherrschbar war. Hier konnten unvorhersehbare Dinge geschehen. Der Tunnel könnte nach ihr schnappen, als sei sein Ende das weit aufgerissene Maul einer immer hungrigen Schlange. Es lag keine Ruhe in diesem Zauberwerk. Es richtete sich mit derselben aggressiven Kraft, die der Dunkle bei seiner Erschaffung genutzt hatte, gegen Geschöpfe, die ihm unbedarft nahe kamen. Deutlich konnte sie die zerstörerische Kraft spüren, die in dem Zauber mitschwang. Nandalee musste daran denken, was Gonvalon ihr über die Schwerter in der Weißen Halle erzählt hatte. Dieser Makel haftete wohl allem an, was von Drachen erschaffen wurde.