Talawain wusste, dass die Drachen ihm nicht gestatten würden, zur Blauen Halle zurückzukehren. Alles einfach aufzugeben. Er war zu weit aufgestiegen.
Dem Elfen war auch bewusst, dass ihm dieser Umstand bald zum Verhängnis werden musste. Er verkehrte zu nahe bei den Devanthar. Es war ein Wunder, dass er noch nicht entdeckt worden war. Und Wunder währten nicht ewig … Wie alle, die die Blaue Halle verließen, war er darauf vorbereitet, wie er sich den Befragungen entziehen konnte. Noch nie hatte einer von ihnen etwas verraten, und der Tod schreckte ihn nicht. Nur die überaus unästhetische Art seines Ablebens war ihm ein Gräuel. Die Menschenkinder, die es mit ansehen mussten, würden es bis ans Ende ihrer Tage nicht vergessen. Aber das war kein Trost!
Talawain entschied, seine Verbindungen zum luwischen Königshof zu nutzen. Nicht alle Spitzel waren Elfen. Er hatte ein Netzwerk aus menschlichen Spionen aufgebaut, die keine Ahnung hatten, dass sie des Öfteren auch Albenmark zu Diensten waren. Er wollte wissen, wer das Feuer gelegt hatte.
Der Elf hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass es auf Befehl des unsterblichen Muwatta geschehen war. Doch dieser Mistkerl war unberührbar. Er durfte keinen der Weißen anfordern, um ihn ermorden zu lassen. Selbst Kurunta, der sicherlich in die Mordpläne eingeweiht war, sollte er in Frieden lassen. Der Hüter der Goldenen Gewölbe würde seine Verbrennungen wohl überleben. Aber er war entstellt. Seine Nase, beide Ohren und ein Auge waren durch das Feuer zerstört worden. Er würde wie das Ungeheuer aussehen, das er auch war.
Nein, dachte Talawain, es mussten die Wachen sein. Und sie sollten auf eine Art sterben, die selbst Muwatta mit Schrecken erfüllte. Eine Art, die ihm klarmachte, dass der Tod den Weg selbst zu ihm finden konnte. Wieder schüttelte er den Kopf. Nein, genauso durfte es nicht sein. Das würde die Aufmerksamkeit Ištas wecken. Und das wiederum könnte ungeahnte Folgen haben. Welcher Meister der Weißen Halle wäre geeignet? Es war gegen die Regeln, einen von ihnen zu rufen, um seine Rachegelüste zu stillen, aber Talawain würde es tun. Er würde sich bis hin zu seinem Tod an alle Regeln halten.
Nur dieses eine Mal nicht.
Meister Gonvalon war nicht geeignet. Er liebte es, den Tod zu einer Inszenierung zu machen. Auch Lyvianne sollte er besser nicht rufen. Sie war zu düster und abgründig, und vielleicht würde sie sogar durchschauen, worum es ihm wirklich ging.
Nodon war vielleicht der beste Schwertkämpfer unter den Weißen. Sein Wettstreit mit Gonvalon währte schon Jahrhunderte und hatte Formen angenommen, dass die Drachen Sorge trugen, dass Nodon und Gonvalon nie am gleichen Ort ihren Dienst verrichteten. Auch Nodon würde es mit der Klinge erledigen. Das war zu auffällig! Vielleicht Ailyn? Sie war einfallsreich! Sie würde es wie einen Unfall aussehen lassen. Einen Unfall, dem die Ahnung anhaftete, dass es doch mehr als nur ein willkürliches Unglück gewesen sein könnte. Ja, Ailyn war die richtige Wahl. Sie würde er an Muwattas Hof schicken.
Der Mann, der über den Adlern schreitet
Volodi betrachtete ruhig die Verteidigungsanlagen. Sie waren neu. Frisch aufgeworfene Erde lag rings um die zugespitzten Pfähle, die aus dem Boden ragten. Schräg gestellt, sodass ihre Spitzen auf jeden wiesen, der sich dem Tal näherte. Es gab keinen Graben, keinen Erdwall, keine Mauer – nur die Pfähle, die im Abstand von etwa einem halben Schritt zueinander standen. Man konnte zwischen ihnen hindurchlaufen. Aber kein Reiter und schon gar kein Streitwagen würde dieses Hindernis überwinden.
»Das wird blutig«, sagte Juba.
In der Mitte der Barriere erhob sich ein hölzerner Torturm, an dem noch gearbeitet wurde. Einige Krieger patrouillierten hinter der Barriere aus Pfählen. Ein Stück weiter standen drei Streitwagen. Die Pferde waren angeschirrt, doch die Besatzungen der Wagen konnte Volodi nirgends entdecken. Wahrscheinlich lungerten sie irgendwo herum. Die Wagen waren verdammt groß! Ganz anders als ihre Streitwagen. Die Räder waren fast mannshoch!
Weiter hinten im Tal erhoben sich einige Lehmhäuser. Dichter Rauch stieg auf und wurde vom Wind dem Taleingang entgegengetragen. In der Ferne hörte Volodi Metall auf Metall schlagen. Sie waren am Ziel!
»Sie haben mindestens fünfhundert Krieger im Tal zusammengezogen. « Juba seufzte. »Wir werden sie nicht überraschen. Zu Fuß überwinden wir diese Pfähle, aber der Lärm des Geplänkels wird die anderen alarmieren und ihnen genug Zeit lassen, sich tiefer im Tal zu formieren.«
Juba war ein guter Mann, aber es störte Volodi, dass stets eine dunkle Wolke über dem Gemüt des Kriegers zu hängen schien. Er nahm das Leben zu schwer! »Woher du wissen, dass dort fünfhundert Mann?«
»Auf dem Turm steht ein Feldzeichen mit drei silbernen Halbmonden. Nur Einheiten von fünfhundert Kriegern führen den dreifachen Mond.«
Volodi schüttelte den Kopf. »Ich sehe Stock mit drei Monden. Ja. Ich sehe sich nur wenig Krieger. Weißt du, ich glauben, dass sehr billiger Weg uns denken lassen, viele Männer dort.«
»Wenn die Luwier dafür bekannt wären, heimtückische Winkelzüge zu betreiben. Leider sind sie das nicht. Sieh dir an, wie zerwühlt der Weg vor dem Tor ist. Dort liegt keine kleine Garnison. Ihre Eisenminen und Schmieden sind der größte Schatz ihres Reiches, und ganz offensichtlich sind sie gewarnt. Diese Pfahlreihe wurde für uns errichtet.«
»Gut. Kennen wir nun Stärken von Feind. Packen wir ihn bei Schwächen und hauen ihm Schädel ein.«
Juba lachte leise. »Es ist doch immer wieder erfrischend, sich mit einem Meisterstrategen zu unterhalten. Was willst du tun? Hinuntergehen, gegen den Turm pinkeln und mit deinem mächtigen Strahl das Fundament wegspülen?«
Volodi grinste. »Das ist sich guter Plan für einen anderen Tag. Ich werde heruntergehen. Brauch ich mich ein paar von unseren Spähern. Werde ich packen Luwier bei ihre Arro … Agro … bei ihrer Dings Gans! Und dann ich werde ihnen Hals umdrehen. Du machst sich kampfklar. Ich mache Tor klar. Du musst dich Folgendes tun …«
Juba widersprach ihm nicht. Der Feldherr hatte schließlich auch die einfachere Aufgabe. Sie beide krochen vorsichtig von dem Hügelkamm, auf dem sie gelegen hatten, rückwärts. Das Gelände war zu ihrem Vorteil – ihre Streitwagen standen kaum eine Meile von den Stellungen des Feindes entfernt und konnten doch von ihm nicht entdeckt werden. Sie hatten einen ganzen Schwarm Späher ausgeschickt, um das Gelände zu erkunden. Fast ausschließlich Steppenreiter. Ihnen war kein einziger luwischer Späher in die Hände gefallen. Ihre Feinde fühlten sich so sicher, dass es schon fast eine Beleidigung war.
In der vergangenen Nacht hatte es geregnet. Das machte ihre Streitwagen langsamer — aber es verhinderte auch, dass ihre vorrückenden Truppen eine Staubwolke aufwirbelten, die schon von Weitem zu sehen war. Die Götter des Waldes waren auf ihrer Seite, dachte Volodi zufrieden. Er würde ihre Hilfe brauchen! Heute galt es, unsterblichen Ruhm für seinen Namen zu erringen. Und ein Eisenschwert!
Sein bronzener Schuppenpanzer war voller Schlamm, als er sich erhob. Auch der Feldherr sah nicht besser aus. Volodi rechnete es Juba hoch an, dass er sich auf einem Hügelkamm in den Dreck legte, um den Feind auszuspähen. Er war anders als die anderen wohlgeborenen Anführer, die ihm bisher begegnet waren.
»Du bist sicher, dass du das tun willst?«, fragte Juba.
»Ich will sein Erster in Lager von Feind. Dann ich sein Erster, der nehmen Schwert. Werde bestes finden!« Mit diesen Worten wandte Volodi sich ab und ging zu den wenigen verbliebenen Steppenreitern, die ihr kleines Heer begleiteten. Er hatte ein paar Worte ihrer Sprache erlernt. Und einen beträchtlichen Haufen Silber in dem Knochenspiel verloren, mit dem sie sich die Stunden am Lagerfeuer verkürzten. Er war sich fast sicher, dass sie ihn betrogen hatten. Jedes Mal, wenn er glaubte zu gewinnen, rückten sie mit neuen Regeln im Spiel heraus, die sie ihm bis dahin verschwiegen hatten. Regeln wie Adlerknochen schlägt Hühnerknochen. Schlitzäugige Betrüger waren sie! Er lächelte. Und sie konnten reiten, als wären sie mit ihren Pferden verwachsen. Darauf kam es nun an.