Volodi konnte sich ihre Namen nicht merken. Selbst ihre Gesichter waren schwer auseinanderzuhalten. Ihnen ging es mit den übrigen Söldnern rätselhafterweise ganz genauso. Dabei unterschieden sich die sehr deutlich voneinander. Der Drusnier war froh, den Kerl mit den schiefen Zähnen unter den Reitern zu entdecken. Der kleine Krieger empfing ihn mit einem strahlenden Lächeln. »Ich grüße dich, der über den Adlern schreitet! Willst du wieder dein Silber zu uns tragen?«
Volodi lächelte. Sie mochten komplizierte Namen. Der ohne gerade Zähne hatte ihm erzählt, dass ein Adler dicht unter dem Saumpfad vorbeigesegelt sei, als er den Streitwagen auf seinen Schultern getragen hatte. Für die Steppenreiter war das ein gutes Omen!
»Heute ich bieten besser als Silber. Heute Eisen ist Einsatz. Und Blut.« Er erklärte den Ischkuzaia, was er tun wollte. Sie waren zuversichtlich und liehen ihm sogar ein Pferd. Eine alte Mähre, aber die musste genügen. Die Stute schnappte nach ihm, kaum dass er sich ihr näherte. Volodi dachte daran, wie er sich geschworen hatte, nie wieder auf einen verdammten Gaul zu steigen. Die Steppenreiter grinsten, als sie sahen, wie er zögerte, auf das Pferd zu steigen. Volodi drohte dem Gaul mit der Faust. »Ich machen dich Suppe, wenn nicht mich tragen. Verstanden?«
Die Stute schnaubte ärgerlich. Entschlossen griff er nach den Zügel und kletterte ungelenk auf das Pferd. Kaum dass er im Sattel saß, kamen Volodi Zweifel. Er war kein Reiter, und die Steppenpferde waren so klein, dass seine Füße fast bis zum Boden reichten. Als er an den Zügeln zog, warf das Viech den Kopf herum und versuchte erneut ihn zu beißen. Es war am besten, es schnell hinter sich zu bringen, dachte Volodi verzweifelt. Er hielt mit einer Hand die Zügel, mit der anderen klammerte er sich in der Mähne fest. Nur zur Sicherheit. Der verdammte Gaul wieherte und bockte. Volodi war versucht, ihm mit der Faust zwischen die Ohren zu schlagen, um ihm klarzumachen, wer hier das Sagen hatte. Aber die Ischkuzaia liebten ihre Pferde mehr als ihre Frauen. Es wäre nicht gut, wenn sie sahen, dass er eines ihrer Pferde schlug. Er würde sich an einem anderen Tag an dem Gaul rächen. »Kannst du beißen mich, aber bin ich der, der kann fressen dich. Denken klug Pferd. Sein brav, mich tragen, dann alles gut für dich«, raunte er dem Tier ins Ohr und ritt an.
Bald kamen sie in Sichtweite des Torturms. Sofort ertönte ein Horn. Volodi presste die Schenkel fest gegen den Pferdeleib, um besseren Halt zu haben. Der blöde Gaul ging schneller! Warum? Bald war er an der Spitze der kleinen Reiterschar. Das war nie seine Absicht gewesen!
»Langsam, dämliche Tochter von Esel!« Die elende Mähre hatte Gefallen daran, das Gegenteil von dem zu tun, was er wollte. Sie folgte dem Weg und brachte ihn direkt auf das Tor zu.
Volodi dachte daran abzuspringen, aber dann würde er für immer das Gesicht vor den Steppenreitern verlieren. Stattdessen entschied er gleichzeitig an Zügeln und Mähne zu ziehen. Der Mistgaul blieb so plötzlich stehen, dass Volodi fast aus dem Sattel gestürzt wäre. Ein Pfeil flog sirrend über seinen Kopf hinweg.
»Glaube nicht nix, das ich mich sagen Danke zu dir!«
Das Pferd erwartete offenbar nichts von ihm. Es blieb stehen und lieferte ihn als Zielscheibe aus — und sich auch, falls die Bogenschützen oben auf dem Turm eher mittelmäßig waren. Aber von einem Pferd sollte man wohl nicht erwarten, dass es mitdachte.
Ein weiterer Pfeil schlug dicht neben ihnen ins Gras. Volodi schwang ein Bein über den Nacken des Pferds und wollte absteigen. Die Steppenreiter machten das anders. Sie konnten sich in vollem Galopp über die Kuppe gleiten lassen und sicher auf den Beinen landen, aber Volodi wollte möglichst außer Reichweite der Hinterläufe bleiben.
Er hatte sein Bein kaum angehoben, als das Pferd stieg. Volodi landete unsanft im Gras. Er fiel auf seine Schwertscheide. Der Gaul machte sich davon und stieß ein Wiehern aus, das an Gelächter erinnerte.
Fluchend sprang der Drusnier auf. Das lief ganz und gar nicht nach Plan! Die Steppenreiter schossen nun ihrerseits auf die Turmbesatzung, während die Feiglinge da oben Deckung hinter der Brüstung suchten. Weit hinter der Verschanzung erscholl ein Horn. Volodi konnte zwischen den angespitzten Pfählen hindurch sehen, wie die drei schweren Streitwagen Fahrt aufnahmen.
»Komm, der über den Adlern schreitet!« Der schiefzahnige Kerl, der ihn am frechsten beim Knochenwürfeln betrogen hatte, hielt auf ihn zu, streckte die Hand vor und wollte ihn hinter sich auf den Sattel ziehen. Doch Volodi wusste, dass sie gemeinsam niemals entkommen würden. »Hau dich ab!«, rief er – dann rannte der Drusnier los, direkt auf den Turm zu. Wenn er es richtig anstellte, würde er ungeschoren davonkommen.
Die Krieger auf der Plattform kauerten noch hinter der Brüstung. Sie konnten nicht sehen, was er tat. Sein Freund Schiefzahn schien zu erraten, was er wollte. »Mögen dich die Geister deiner Ahnen schützen!« Er zog sein Pferd um den Zügel und preschte auf dem Weg zurück.
Volodi rannte weiter auf das Tor zu. Wenn er dicht genug am Turm stand, war er im toten Winkel der Plattform. Die Wächter würden ihn dann nicht sehen.
Der Boden vibrierte unter dem Hufschlag der Streitwagenpferde. Sie waren viel größer als die Reittiere der Ischkuzaia. Auch größer als die Wagenpferde Arams. Lebende Rammen!
Volodi drückte sich mit dem Rücken gegen die Turmwand. Wenn er Glück hatte und die Tore nach außen aufschwangen, würde er hinter einem der Torflügel verschwinden. Er dachte an den Heiligen Hain im Geisterwald. Dort, wo er die Stimmen seiner Ahnen im Wind und im Raunen der Blätter gehört hatte. Hoffentlich würde sein Geist dorthin zurückfinden. Er war zu weit fort von zu Hause.
Die Torflügel schwangen auf. Natürlich nach innen! Er drückte sich fest an die Holzwand. Die drei Streitwagen donnerten durch das Tor. Jeder war mit einem Fahrer, einem Krieger und zwei Schildträgern bemannt, und sie alle hatten nur Augen für die flüchtenden Steppenreiter. Silbern funkelte das Licht auf den Sicheln an den Rädern der Streitwagen. Fast armlange Eisenklingen! Volodi atmete erleichtert auf, als die Streitwagen vorüber waren. Er brauchte nur auf dem Fleck stehen zu bleiben, dann war er in Sicherheit. Jedenfalls, wenn sein Plan aufging und Juba alles vorbereitet hatte.
»Die werden die dreckigen Hundefresser in Stücke schneiden«, erklang beängstigend nah eine Stimme.
»Nur schade, dass wir es nicht sehen werden«, antwortete jemand.
Der Drusnier schluckte. Warum konnten nicht einmal die einfachen Pläne je so klappen, wie er es sich vorgestellt hatte?
»Die werden sie erst hinter den Hügeln kriegen. Asua hat mir mal erzählt, dass das Blut bis über den Wagen hochspritzt, wenn sie einen mit den Sicheln erwischen.«
»Das werden wir nächstes Jahr auf der Ebene von Kush sehen. Hundertfach!«
Volodi fluchte stumm. Die beiden Krieger, die das Tor geöffnet hatten, waren vor den Turm getreten, um den Streitwagen nachzublicken. Sobald sie sich umdrehten, war es unvermeidlich, dass sie ihn bemerkten. Besser, wenn er sie überraschte! Entschlossen griff er nach seinem Schwert, doch die Klinge wollte nicht aus dem Leder der Scheide gleiten. Das Leder der Scheide knirschte. Endlich kam die Waffe frei. Sein Schwert war nach dem Sturz völlig verbogen! Unbrauchbar …
Das Geräusch des knarrenden Leders ließ die beiden Luwier herumfahren. Einen Moment lag gafften sie Volodi mit offenem Maul an, so überrascht waren sie.
Der Drusnier warf sich vor. Er rammte dem Mann links von sich den Kopf in den Bauch und griff nach dessen Schwert. Leise zischend glitt die Klinge aus der geölten Lederscheide. Der andere Luwier, der so gern sehen wollte, wie es war, wenn ein Mann von den Sicheln eines Streitwagens getroffen wurde, hatte sich von seinem Schreck erholt und ebenfalls seine Waffe gezogen. Es waren nur Bronzeschwerter! Und der Luwier griff mit mehr Wut als Geschick an.
Volodi wich aus. Der Mann am Boden regte sich und tastete nach einem Dolch.