»Ich werde diesen verdammten Holunder vernichten«, wiederholte er mit fester Stimme. Lyvianne sollte seine Botin sein. Ganz sicher würde sie Matha Naht wieder aufsuchen.
Er machte einen weiteren Schritt vorwärts. »Die Drachen haben viel Mühe darauf verwandt, uns zu unvergleichlichen Mördern zu machen. Ich bin zuversichtlich, dass ich einen Weg finden kann, um mit einem Baum fertig zu werden.«
Über den Großen Krieg
»… Seit die Welt in Trümmer fiel, streiten die Gelehrten, wie es dazu kommen konnte. Hatte der schreckliche Sturm sich schon lange angekündigt oder brach er ohne Vorwarnung los, wie ein Gewitter an einem schwülen Sommertag? Gibt es einen Schuldigen an dem, was geschah? Oder war es unvermeidbar? War jene Welt wie ein Baum, der über jedes Maß hinausgewachsen war und einfach stürzen musste, sobald der Sturm losbrach? Als Bewahrer der Vergangenheit hüte ich mich, all jene wirren Reden hier niederzulegen, die man in diesen Tagen allerorten hören kann. Ich bin einzig der Wahrheit verpflichtet und ich sage, es war Aaron, der Unsterbliche von Aram, der Schuld trägt an allem Elend! Seine Maßlosigkeit und sein unbeherrschter Zorn waren der Quell allen Übels! Lange schon neidete er Muwatta seinen Reichtum. Doch so verdorben sein Charakter auch war, so war der Unsterbliche des Reiches Aram auch von einer verschlagenen Schläue, die ihresgleichen bis dahin nicht kannte. Er war sich bewusst, dass die Göttlichen einen Krieg unter den großen Reichen nicht dulden würden, es sei denn, er würde nach strengen Regeln geführt, so dass die Reiche am Streit der Unsterblichen keinen übermäßigen Schaden nehmen konnten. So glaubte man, blickt man aber nun, nach all den Jahren, zurück, so ist das Bild ungleich deutlicher, als es zu Zeiten jener war, die erlebten, was wir von Ferne und mit dem Wissen der Nachgeborenen betrachten. Heute kann man klar den Tag benennen, der das Leben aller Menschen verändern sollte. Es war jener Tag, an dem Aaron darauf bestand, einem toten Albenkind am Weltenmund Ehren zu erweisen, die allein den größten Helden unter den Menschen vorbehalten waren. Als Muwatta gegen diesen Frevel protestierte, verwundete Aaron ihn schwer, und es wurde vereinbart, dass die beiden Auserwählten der Götter ihren Streit mit ihren Heerscharen auf der Ebene Kush austragen sollten. Nun waren aber die Krieger Luwiens die mächtigsten in allen sieben Reichen. Selbst der verschlagene Aaron erkannte, dass wohl keine List auf dem Schlachtfelde seine Niederlage abwenden könnte. Auch zeigte sich der Unmut der Götter, als ein schrecklicher Sturm bei den Aegilischen Inseln die Zinnflotten Arams auf den Grund des Meeres hinabriss.
Da entschied Aaron der Listenreiche, Muwatta zu hintergehen. Er reiste nach Isatami zur Nacht der Heiligen Hochzeit. Jener Nacht, da Frieden und Gottesfurcht die obersten Gebote sind. Und er missachtete sie beide. Er verstümmelte Kurunta, den Hüter der Goldenen Halle und einen der besten Heerführer Luwiens, und ließ es wie einen Unfall erscheinen. Zur nämlichen Stunde aber fielen seine Heerscharen über eine der Eisenminen an der Grenze zu Ischkuza her. Und seine Mordbrenner raubten nicht nur die eisernen Schwerter und Helme, die dort lagerten. Nein, sie entrissen Familien ihre Väter und verschleppten die Schmiedemeister und jene kundigen Männer, die die Meiler schichteten, in denen das Erz dem Stein entrissen wurde. Um seine Tat aber zu verschleiern, wurden die Gefangenen in die Neue Welt gebracht. Dort mussten sie unter seiner Knute eine Eisenmine erschließen und nun für ihn das kostbare Metall schmieden. Wer sich aber weigerte und die Geheimnisse um das Erz der Erde nicht preisgeben wollte, der wurde auf das Grausamste misshandelt.
Aaron zog in die Neue Welt, wo zu jener Zeit auch Shaya, die Tempelfrevlerin, Prinzessin von Ischkuza, weilte. Vielleicht floh Aaron in die Goldene Stadt, um ferner vom Gelben Turm und dem Blick der Götter zu sein. Vielleicht auch, um dort mit den Albenkindern Verbindung aufzunehmen und kommendes Unheil vorbereiten. Es muss dort gewesen sein, dass er sie traf! Niemals hätten sich die Ausgeburten Albenmarks nach Daia unter die Blicke der Devanthar gewagt. Und während Muwatta seine Krieger rüstete und sein Reich hegte, ersann Aaron den großen Verrat. Anders kann es nicht gewesen sein! Denn alle, die das Verderben der Ordnung auf Daia im Sinne trugen, waren nun in der Neuen Welt versammelt.«
Drachenlaunen
Der Schwerthieb kam so schnell, dass eine Parade unmöglich war. Nandalee wich zurück, ihr Gegner setzte mit einem Stoß nach. Die Elfe schaffte es, die Klinge abzulenken, geriet aber aus dem Gleichgewicht. Gnadenlos nutzte Nodon die Gelegenheit und versetzte ihr einen Stoß.
Nandalee stürzte und kaum dass sie am Boden lag, berührte seine Schwertspitze ihre Kehle. Die Klinge drückte auf die zarte Haut dicht über der Vertiefung am Halsansatz. Ein Tropfen Blut rann über den Stahl.
»Das genügt!«, erklang die Stimme des Dunklen.
Nandalee keuchte. Etliche Tage waren vergangen, seit sie die Drachenhöhle unter der Pyramide verlassen hatte. Tage voller Übungen, denn der Dunkle hatte entschieden, dass ihre Fechtkünste den Ansprüchen, die an eine Drachenelfe gestellt würden, noch lange nicht genügten. Er hatte ihr einen Schwertmeister ausgesucht, der mindestens so schlimm wie Ailyn war. Noch einer, der Gefallen daran fand, sie zu verletzen.
Am Boden liegend, tastete Nandalee über ihren Hals. Zorn wallte in ihr auf. Nodon kämpfte nicht wie ein Fechtlehrer. Er führte sich auf, als sei er ihr Todfeind. Immer wieder verletzte er sie. Es waren nur kleine, oberflächliche Wunden. Aber er wollte ihr Blut sehen.
»Ihre Beinarbeit ist erbärmlich«, verkündete ihr Meister. »Ich kenne Kobolde, die sich beim Ausmisten eines Schweinestalls mit mehr Anmut bewegen! Aus ihr wird niemals eine gute Schwertkämpferin werden. Wir sollten sie zurück zu den Wilden nach Carandamon schicken.«
»Wir sollten uns einmal im Bogenschießen messen«, knurrte sie leise.
»Diese Kunst ist völlig irrelevant«, entgegnete er von oben herab. »Kein Drachenelf benutzt einen Bogen. Wir töten mit der Klinge in der Hand. Bogenschützen sind Feiglinge, die es nicht wagen, ihren Feinden Aug in Aug gegenüberzutreten!«
»Und Schwertkämpfer sind Trottel, die verrecken, während Bogenschützen ihre Mission erfüllen.«
»Diese Aussage beruht auf welchen Erfahrungen, tollkühne Heldin der Wälder?«
»Soll dich der Blitz beim Scheißen treffen!«
Nodon legte in gespielter Betroffenheit seine Hand auf die Brust. »Welche Kraft in deinen Worten liegt! Wahrlich ergreifend. Ich glaube, mit dem ungehobelten Charme deiner Poesie könntest du große Erfolge an den Höfen Arkadiens feiern. Du solltest Dichterin werden. Ich wäre dir nicht gram, sollte deine Hand künftig nur noch nach der Feder greifen und nicht mehr nach dem Schwert.«
Eines Tages greift meine Hand nach der Befiederung eines Pfeils und du wirst erfahren, wie der Bogen über das Schwert triumphiert, dachte sie wütend. Was für eine Laune der Natur, einen solchen Misthaufen in so edler Gestalt daherkommen zu lassen! Anfangs hatte Nodon einen guten Eindruck auf sie gemacht. Hier draußen im Jadegarten war er immer in der Nähe des Dunklen. Allerdings hielt er immer einen Abstand von etwa zehn Schritt. Nur sie allein durfte sich der ältesten der Himmelsschlangen so weit nähern, dass sie ihn berühren konnte. Vielleicht war das einer der Gründe, warum Nodon kaum eine Gelegenheit ausließ, sie zu beleidigen. Sie hatte ihm etwas voraus, auch wenn sie sich selbst nicht zu erklären vermochte, warum sie dieses Privileg genoss. Der Gedanke ließ sie lächeln.
»Steh auf! Unsere Fechtstunde ist noch nicht vorüber.«