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Nandalee hob ihr Schwert auf und beobachtete Nodon argwöhnisch. Er hatte etwas Katzenhaftes an sich. Es war nicht nur die Art, wie er sich bewegte, es lag auch an seiner Unberechenbarkeit. Er erklärte ihr etwas und griff mitten in seinen Erklärungen an. Wie eine Katze, die man streichelte und die einen unvermittelt ihre Krallen spüren ließ. Dabei hatte er solche Spielchen nicht nötig. Er war ihr ohnehin unendlich überlegen.

So seltsam wie sein Benehmen war auch sein Aussehen. Er war sehr zartgliedrig und ein wenig kleiner als sie. Sein langes Haar trug er offen. Es war weißblond, fast schon silbrig. Nodon kleidete sich ganz in Rot. Und dann seine Augen. Es waren diese Augen, die ihn nicht ungewöhnlich sondern unheimlich erscheinen ließen. Sie waren ganz schwarz – man konnte weder Pupille noch Iris erkennen und kein Weiß. Von diesem Blick berührt zu werden ließ Nandalee jedes Mal erschauern. Nie zuvor hatte sie solche Augen bei einem Elfen gesehen.

Er hob sein Schwert zum Fechtergruß und Nandalee ging in die Grundstellung. Sie war auf der Hut, denn üblicherweise eröffnete er ihre kleinen Duelle nicht so förmlich. Plötzlich musste sie an Ailyn denken und daran, wie die Schwertmeisterin sie an ihrem ersten Tag in der Weißen Halle verprügelt hatte. Lag es vielleicht an ihr, dass ihre Lehrer immer wieder so mit ihr umgingen?

Nodon täuschte ein Schlag auf den Kopf an. Nandalee riss ihr Schwert hoch. Zu langsam. Als der Schwertmeister seine Schlagrichtung änderte, vermochte sie nicht mehr darauf zu reagieren. Er versetzte ihr mit der Breitseite der Waffe einen Schlag auf die Hüfte, und der Schmerz trieb Nandalee Tränen in die Augen.

»Tot, Mädchen«, sagt er abfällig. »Zum siebzehnten Mal heute. « Dann wandte er sich an den Dunklen. »Ihren Schwertmeister sollte man in den Kerker werfen! Sie kann gar nichts, außer Prügel einzustecken. Nun, wo ich das sehe, wundert es mich nicht mehr, dass seine Schülerinnen regelmäßig ihre erste Mission nicht überleben. Man sollte ihn aus der Weißen Halle entfernen!«

»Gegen wen kämpft Ihr?«, erwiderte der Dunkle ruhig und sah zwei Schmetterlingen nach, die dem Wald entgegenflogen. »Gegen Nandalee oder gegen Gonvalon?«

Nodon schob sein Schwert zurück in die Scheide und verneigte sich vor dem Dunklen. »Bitte verzeih! Ich vergaß mich.«

»Für heute bedürfen wir Eurer Dienste nicht mehr. Wir freuen uns, Euch morgen zu einer weiteren Fechtstunde zu begrüßen.«

Der Drachenelf verneigte sich ein weiteres Mal. In seinem Gesicht spiegelte sich keine Regung. So unbeherrscht er im Kampf gewesen war, so vollkommen hatte er sich nun in der Gewalt. Er war furchteinflößend, dachte Nandalee, und sie war froh, dass er ging. Allerdings ging er nicht sehr weit. Er bezog Posten. Er befehligte die Drachenelfen, die in einer Festung, hoch in den Bergen verborgen, über den Jadegarten wachten. Er war nie weit fort. Nandalee störte das. Sie brauchte es, allein zu sein.

Der Dunkle legte ihr die Hand auf die Schulter. Seine Berührung war ihr unangenehm. Es lag an der Elfengestalt. Sie hatte das Gefühl, angelogen zu werden, wenn er in dieser Gestalt bei ihr war. Er verschleierte die Wahrheit durch so viele Zauber. Sie wusste um das wahre Aussehen der Krallenhand, die sie berührt hatte. Um ihr Gewicht. Sie wollte ihn sehen, wie er war. Nicht dieses Zerrbild! Das einzig Gute war, dass er in Elfengestalt ganz normal mit ihr sprach und seine Stimme keine glühenden Pfeile durch ihren Körper jagte.

»Ihr habt mich heute einmal mehr überrascht, Nandalee. Ich hatte befürchtet, Nodon würde dasselbe Ende nehmen wie Sayn. Aber Ihr seid ganz offensichtlich nicht mehr jene zornige, talentierte Elfe, die vor zwei Jahren vom Schwebenden Meister unterrichtet wurde.«

Er hatte sie also auf die Probe gestellt! Deshalb diese Fechtstunden. Vielleicht hatte er Nodon sogar befohlen, sie derart zu reizen. »Es freut mich, dich nicht enttäuscht zu haben«, entgegnete sie glattzüngig.

Er lachte. »Vergesst nicht, ich muss nicht in Euren Gedanken lesen können, um zu wissen, wann Ihr das Gegenteil von dem sagt, was Ihr denkt, meine Holde.«

»Wenn du schon weißt, was ich denke, warum redest du dann noch mit mir? Ist es nicht unglaublich langweilig, sich stets bestätigt zu sehen?«

Er blieb stehen. Seine Hand glitt von ihrer Schulter. »Mit Eurer Zunge seid Ihr wesentlich treffsicherer als mit dem Schwert.«

Sie sah ihn aus den Augenwinkeln an. Er wirkte verletzt. Der älteste der Drachen. Der Statthalter dieser Welt. War sie vollkommen verrückt, sich mit ihm anzulegen? Wenn er in Elfengestalt vor ihr stand, vergaß sie allzu leicht, dass er ein riesiges Raubtier war. Ein Ungeheuer, das sie mit einem einzigen Schnappen seiner Fänge vernichten konnte. Und obendrein war er launisch. Sie wusste nie, woran sie bei ihm war. Sie sollte vorsichtiger sein und wusste zugleich, dass es gerade seine schiere Unbesiegbarkeit war, die sie immer aufs Neue zu Widerstand reizen würde.

»Langeweile …«, sagte er sinnierend. »Ihr habt es recht gut getroffen, Dame Nandalee. Mein Leben birgt nur wenige Überraschungen und ich kann in den Gedanken eines jeden lesen. Das verstößt gegen die guten Umgangsformen, und manchmal geschieht es ohne Absicht. Gerade wenn jemand seine Gedanken vor mir verbergen will, spüre ich sie besonders deutlich. Fast als würde er sie mir ins Gesicht schreien. Nur bei Euch ist Schweigen. Finsternis. So viele Wochen seid Ihr nun hier, aber ich kenne Euch noch immer nicht. Und was Eure Vorwürfe anbelangt … Ja, ich studiere Euch. Es war wichtig zu sehen, dass Ihr Euch verändert habt. Dass Euer Zorn sich nicht in einem zerstörerischen Zauber manifestiert, der Eurer Beherrschung entgleitet. Ich habe Großes mit Euch vor!«

»Wusste Nodon, in welcher Gefahr er war?«

»Das war nicht notwendig. Dieses Wissen hätte ihn nur gehemmt. « Der Dunkle lächelte. »Seine Handlungen sind sehr vorhersehbar. «

»Und irgendwann in der Zukunft werde ich eine wie er für dich sein? Eine Figur auf einem Spieltisch, die sich nicht einmal bewusst ist, dass sie fremdbestimmt ist. Die glaubt, sie lebt einfach nur ihr Leben.«

»Das ist unter Eurem Niveau, meine Holde.«

»Nie wo? Was soll das heißen?«

Er seufzte. »Niveau ist etwas, dass man sich erarbeiten muss. Man erreicht es, wenn man über sich hinauswächst. Sich auf eine neue Stufe erhebt.«

»Hast du vergessen, dass ich eine Wilde aus Carandamon bin? Von uns kann man alles erwarten. Zum Beispiel, dass wir in langen Wintern unsere jüngsten Kinder schlachten und verspeisen. Aber Nie wo … Nein, Nie wo passt nicht zu uns Wilden!«

Seine himmelfarbenen Augen blitzten, als bräche die Mittagssonne hinter einer Wolkenfront hervor. »Vielleicht ist es das, was ich suche? Eine Elfe, die wild, aufsässig und niveaulos ist. Leicht erzürnbar. Gut in jeder erdenklichen Art zu verletzen. Zu gefährlich selbst für ihre Meister. Ja, sogar für sich selbst.«

Fassungslos sah sie ihn an. War es das, was er wirklich über sie dachte? War sie für ihn nicht mehr als eine unbeherrschte Närrin mit hohem Unterhaltungswert? Dazu eine Prise Nervenkitzel, damit es nicht so schnell langweilig wurde? War sie wirklich derart unbeherrscht? Noch immer eine Gefahr für sich und andere? Und vor allem … Hatte sie die Macht, ihn zu verletzen?

»Und was ich noch vergessen habe. Sie ist absolut humorlos!« Er lächelte. »Geradezu perfekt für mich. Balsam für meine verstaubte Seele.«

Es war also ein Scherz gewesen? Nandalee glaubte ihm nicht. Da war etwas an seiner Art zu sprechen, das sie argwöhnisch machte. Immer häufiger. Nur benennen konnte sie es nicht. Es war besser, vor ihm auf der Hut zu sein. »Darf ich mir ein paar wilde Blumen ansehen gehen? Allein?«

Der Dunkle sah sie an, wie ein Habicht den Hasen in seinen Krallen betrachtete. Er nickte. Sie durfte gehen, aber sie sollte besser nicht an Flucht denken, bedeutete das.

Was sie natürlich dennoch tun würde!

Ein Fehler

Gedankenverloren sah er Nandalee nach. Er wusste, dass er einen Fehler machte. Er war geradezu besessen von ihr! Dieser Umstand beunruhigte ihn. Es gab keine vernünftige Erklärung dafür. Es war nicht nur, dass er ihre Gedanken nicht lesen konnte, es war … ihre ganze Art. Er hatte versucht, sie zu formen. Damit würde er aufhören. Er wollte sie so, wie sie war. Ungebändigt! Es war erfrischend, jemanden um sich zu haben, der nicht jedes Wort abwägte.