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Aber er musste seine Obsession in vernünftige Bahnen lenken. Seit Wochen hatte er den Jadegarten nicht verlassen. Er hatte sie beobachtet, als sie sich im Herzen der Pyramide allein gefühlt hatte. War Zeuge ihres Ringens mit sich gewesen. Er hatte sich selbst geschworen, in diesen Kampf nicht einzugreifen, selbst wenn sie sich umbringen würde, und er war froh, diesem Schwur treu geblieben zu sein. Sie war stärker geworden.

Der Erstgeschlüpfte dachte an jenen Blick in die Silberschale der Devanthar, den ihm der Goldene gewährt hatte. Ein kurzer Blick nur, der ihm für immer den Frieden genommen hatte. Ein Elf oder eine Elfe würde ihn töten. Jemand, auf den er sich verlassen hatte. Ein Drachenelf! Würde sie es sein? Sie hätte beste Aussichten auf Erfolg. Der Arm, den er in der Silberschale erblickt hatte, war mit einer sich windenden Himmelsschlange tätowiert.

Bis sie ihre Tätowierung erhielt, war er sicher vor ihr. Es mochten noch Jahre vergehen, bis Nandalee so weit war. Sie müsste drei Drachenelfen finden, die sie für würdig befanden, in ihre Reihen aufgenommen zu werden. Und dann war da noch die letzte Prüfung … So talentiert sie auch war, mochte diese Hürde unüberwindbar für sie bleiben. Sie verstand es zu gut, andere vor den Kopf zu stoßen.

Er sah ihr nach, wie sie am Ufer des Sees entlangging und schließlich zwischen den Bäumen verschwand. Der Garten, der die Pyramide umgab, ersteckte sich über das ganze Tal. Er war gut gepflegt; mehr als dreihundert Kobolde und Faune hegten ihn. Sie boten ihre ganze Kraft auf, die Illusion aufrechtzuerhalten, dass man durch ein Stück Wildnis wanderte. Es gab keine Blumenbeete. Keine Alleen. Und doch war jeder Baum, ja, jede Blume mit Bedacht gesetzt. Es war ein ästhetischer Entwurf von Wildnis. Ob er Nandalee auf diese Weise formen könnte? Könnte sie zu einem ästhetischen Entwurf von Wildheit werden? Er musste lächeln. Wohl kaum. Und sollte es ihm wider Erwarten doch gelingen, sie zu verändern, hätte er dann nicht zerstört, was er so sehr an ihr schätzte?

Er ließ sich auf einem Fels am See nieder. Der Erstgeschlüpfte konnte die Nähe Nodons spüren. Sehen konnte er ihn nicht. Der Anführer der Drachenelfen des Jadegartens hatte ein unvergleichliches Gespür dafür entwickelt, immer gerade außerhalb seines Gesichtsfelds zu bleiben. Er würde ihm zutiefst misstrauen, hätte er eine tätowierte Himmelsschlange auf einem seiner Arme, doch seine Tätowierung zog sich vom Nacken bis zu seiner linken Wade hinab. Seine Arme waren makellos. Er war nicht der Meuchler, der eines Tages kommen musste.

Der Dunkle atmete tief ein. Da lag noch eine Spur von Nandalees Witterung in der Luft. Er leckte sich über die Lippen. Mehrfach hatte er sich beherrschen müssen, sie nicht zu beißen. Die Vorstellung faszinierte ihn – ihr weiches Fleisch zwischen seinen Zähnen, seine Zunge, die über ihre Haut glitt. Diese Gedanken irritierten ihn. Er kannte sie von der Jagd und doch waren sie anders. Er wollte sie nicht töten …!

Er blickte auf die Fische, die dicht unter der Oberfläche des Teiches dahinglitten. Auch sie waren ausgewählt. Fische, deren Farben ihm nicht gefielen, landeten in den Kochtöpfen der Kobolde. Manchmal brachte er von seinen Reisen einen Fisch mit. Oder einen Flusskrebs, dessen Panzer in besonders intensiven Farben strahlte.

Jetzt, zu dieser Stunde, trafen sich die übrigen Himmelsschlangen. Er hätte dort sein sollen. Sie waren es gewohnt, dass er oft nicht kam, aber diesmal übertrieb er es. Er mochte den Jadegarten einfach nicht verlassen, wollte Nandalee nicht aus den Augen lassen. Nicht einmal für einen einzigen Tag.

Seine einzigen Ausflüge in den letzten Monden hatten ihn zu den Alben geführt. Es ging etwas vor sich. Zumindest den Sänger hatte er ebenfalls davon überzeugen können. Es waren zu viele Alben verschwunden. Neun in den letzten zwanzig Monden! Und sie waren gewiss nicht alle in dieses verlockende mondhelle Licht getreten. Nicht solche wie der Fleischschmied! Er war Albenmark durch und durch verhaftet gewesen und hätte sich noch auf Jahrhunderte daran ergötzen können, neue Kreaturen zu erschaffen.

Jemand aus der Anderen Welt kam verstohlen nach Albenmark. Aber wer? So knapp hatten sie sich in der Zwergenstadt verpasst. Seine Spur verlor sich im Goldenen Netz. Wer immer es auch war, er agierte geschickt.

Der Erstgeschlüpfte mochte sich nicht vorstellen, dass die Devanthar einen versteckten Angriff auf Albenmark begonnen hatten. Aber wer außer ihnen hätte die Macht, einen Alben zu töten? Und wer hätte einen Nutzen davon? Wenn die Alben doch nur nicht so lethargisch wären! Dass sie nicht von sich aus diesem Geheimnis nachspürten, war ihm unbegreiflich. Selbst der Sänger, der zu den weniger Entrückten unter ihnen zählte, hatte es entschieden abgelehnt, über die Grenzen Albenmarks hinaus im Goldenen Netz zu suchen. Manchmal erschienen ihm die Schöpfer wie eine Herde Lämmer, die auf der Weide darauf warteten, vom Schlachter geholt zu werden. Was hatte sie so werden lassen?

Er dachte an jene unter den Alben, die von dunklem Charakter waren. Jene wie den Fleischschmied. Sie aufzusuchen war ein Risiko; man konnte nie wissen, was sie tun würden. Sie waren launenhaft. Es gab das Gerücht, dass einer von ihnen den Purpurnen auf eine Mission zu den Devanthar geschickt hatte. Ein Auftrag, der einem Todesurteil gleichkam. Doch man widersetzte sich keinem Alben! Sie hatten sich ihre unvergleichliche Macht erhalten, auch wenn sie diese kaum nutzten. Ihre Lethargie lähmte ganz Albenmark, dachte der Erstgeschlüpfte verdrossen.

Rührte sie daher, dass sie zu viel gesehen hatten? Waren sie ihrer eigenen Welt überdrüssig geworden? So wie es auch ihm manchmal erging? Es war Nandalee gewesen, die den ermüdenden Gleichklang aufgebrochen, ihn geweckt hatte. Durch sie war ihm bewusst geworden, wie sehr ihm Überraschungen in seinem Leben gefehlt hatten. Nandalee hatte nicht unrecht gehabt, als sie ihm unterstellt hatte, dass er dessen überdrüssig war, seine Erwartungen stets erfüllt zu sehen. Nicht überrascht zu werden. Sie war in dieser Hinsicht Balsam für ihn. Launisch und unberechenbar und … einfach nur köstlich. Wieder leckte er sich über die Lippen. Er belauerte sie schon zu lange. Er würde sich nicht für immer beherrschen können, das wusste er. Eines Tages würde er seiner Lust, sie zu beißen, nachgeben.

Es war nicht gut, diesen Gedanken allzu oft nachzuhängen. Er konzentrierte sich auf die Fische. In Gedanken formte er ein immer komplexer werdendes Muster aus den Bahnen, die sie durch den Teich schwammen. Dann überlagerte Nandalees Gesicht dieses Muster.

Er atmete schwer aus. Warum verfolgte sie ihn bei jedem seiner Gedanken! Sie war nützlich … Und das war es auch schon. Er sollte sie von hier fortbringen. Aber würde er ruhiger werden, wenn sie nicht mehr hier war? Vielleicht war es doch besser, sie jetzt gleich zu reißen. Dann wäre es vorüber? Er wusste es nicht. Die uralten Gesetze der Jagd hatten sich geändert, und das verunsicherte ihn. Er war das mächtigste Raubtier dieser Welt. Geschaffen, die Feinde der Alben zu vernichten, und er versagte. Jemand war in sein Revier vorgedrungen. Wilderte … Und er konnte ihn nicht stellen. War es wirklich ein Devanthar? Alles deutete darauf hin und doch erschien es ihm zu einfach. Wieder schweiften seine Gedanken zu Nandalee ab, dieser undurchschaubaren Elfe, die ihm seinen inneren Frieden stahl. Die es schaffte, dass er hier im Jadegarten blieb, statt auf die Jagd zu gehen. Er musste das beenden! Er würde sie benutzen. Bald schon würde er sie auf eine tödliche Mission schicken und sollte sie wider Erwarten überleben, dann würde er sie reißen und die Ordnung wäre wiederhergestellt. Zufrieden stellte er fest, dass er ruhiger wurde.

Er dachte an die Mission. Nandalees Mission, die gegen die Befehle der Alben verstieß. Er sollte jetzt bei seinen Brüdern sein und mit ihnen darüber reden. Allerdings war sein Plan so radikal, dass er sich auslieferte, wenn er ihn ihnen vorstellte. Die Alben würden nicht dulden, was er plante. Und doch war es das einzig Richtige! Eine kleine Gruppe von Elfen könnte das Gleichgewicht zwischen Menschenkindern und Albenkindern wiederherstellen. Nandalee würde dabei eine entscheidende Rolle spielen. Die Tatsache, dass man ihre Gedanken nicht lesen konnte, zeichnete sie aus. Allerdings war der Feind, der sie erwartete, übermächtig.