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Volodi schloss die Augen. Was für eine Frau! Er war in Dutzenden Hurenhäusern gewesen, aber einer wie ihr war er noch nie begegnet. Dabei konnten sie kaum ein Wort miteinander wechseln. Nur ihre Augen und Körper sprachen miteinander. So war es schon gewesen, als sie sich das erste Mal begegnet waren, auf dem Vogelmarkt vor drei Tagen. Sie hatte einen Federumhang getragen, der in allen Regenbogenfarben schillerte. Er hatte sie angestarrt, bis er bemerkte, dass sie sein Starren erwiderte. Als er ihr dann geradewegs in die Augen sah, hatte sie ihren Blick nicht etwa gesenkt, nein, sie hatte seinem Blick standgehalten und ihm schließlich mit einer kleinen Geste zu verstehen gegeben, dass er zu ihr kommen solle. Mit einem Nicken hatte sie angedeutet, dass er niederknien solle. Und er hatte es getan! Hatte mitten auf dem Marktplatz im Schmutz vor einer Frau gekniet, die er nie zuvor gesehen hatte!

Sie war ihm mit beiden Händen durch die Haare gefahren. Sie mochte sein Haar. Seitdem hatte sie es immer wieder getan. Ihre Hände in seinem langen Haar vergraben. Er verstand nicht, was sie dabei vor sich hin murmelte, und ihm war egal gewesen, dass man über sie beide tuschelte. Sie hatte ihn bei der Hand genommen und zu sich nach Hause geführt. Seitdem hatten sie sich an jedem Tag geliebt. Sie brauchten keine Worte.

Daran, wie sie ihn berührte, konnte Volodi spüren, dass sie wieder ganz wach war. Er griff in ihr Haar, bog ihren Kopf ein wenig zurück und küsste sie. Sie machte sich frei, biss ihm sanft ins Ohr und schob sich dann auf ihn. Ihre Hände glitten über seine Brust. Sie spielte mit den feinen blonden Härchen, kniff ihn in die Brustwarzen. Plötzlich verharrte sie. Unten im Haus war ein Geräusch zu hören gewesen. Sie rief etwas und von unten kam eine Antwort.

Blanke Angst stand in ihren Augen. Sie sprang auf, packte seine Stiefel und warf sie aus dem Fenster. Einen Herzschlag später folgten seine Kleider. Als sie nach seinen Schwertern griff, packte er ihre Hand. Niemand rührte seine Eisenschwerter an! Ihm dämmerte, was vor sich ging.

Von unten erklang erneut die fremde Stimme. Volodi verstand kein Wort, aber das war auch nicht nötig. Er nahm die Waffen, stieg auf das Fenstersims und blickte hinab. Fünf Schritt. Etwa … Er sprang und kam unsanft auf. Seine Gelenke krachten. Ein sengender Schmerz fuhr durch sein linkes Knie. Ein Huhn gackerte ihn empört an.

Hastig klaubte er seine Kleider zusammen und hinkte zum Hühnerstall. Es war nur ein Dach aus riesigen, verschrumpelten Blättern auf einem Pfostenkarre. Zwischen den Pfosten saßen die Hühner auf weißen Stangen. Sie beäugten ihn misstrauisch. Einige stießen leise gurrende Laute aus.

»Seid euch still!«, zischte er sie an. Dann spähte er unter dem Dach hinweg zum Fenster hinauf. Deutlich sah er die Silhouette eines Mannes – groß, die Haare schulterlang. Viel mehr war nicht zu erkennen. Er war nur ein Schatten in einem Fenster.

Deutlich hörte Volodi die Frage. Der Tonfall ließ keinen Zweifel, dass es eine Frage war, auch wenn der Drusnier kein Wort verstand. Und es war keine freundliche Frage …

Volodi lehnte seine Schwerter an einen der Stallpfosten und schlüpfte in seine Hosen. Der Schatten am Fenster war verschwunden. Wieder hörte er Stimmen. Ein Streit.

Volodi überprüfte, ob er etwas im Zimmer vergessen haben könnte. Nein. Es war alles da. Sie hatten aus demselben Becher getrunken. Es gab keinen verräterischen zweiten Becher. Aber sie würde nach ihrer Liebe riechen. Würde der Kerl an ihr riechen? Wer war er? Ihr Mann? Ihr Bruder? Wenn er doch nur ein Wort verstehen könnte! Ihre Sprache war so fremd …

Seine Schwerter stürzten zu Boden und er fluchte, während die Hühner in Panik aus der Hütte stoben. Wieder erschien der Schatten oben am Fenster. Volodi nahm seine Schwerter auf, als der Kerl dort oben auf das Fenstersims kletterte. Er würde springen.

Der Drusnier entschied sich zu fliehen. Er hechtete aus dem Hühnerstall und setzte über einen niedrigen Zaun aus ineinanderverflochtenen Ästen hinweg. Hinter sich hörte er den Mann im Hof landen. Der Kerl rief ihm nach. Volodi blickte nicht zurück. Er wusste, dass man nicht zurückblicken durfte, wenn man floh. Alle Sinne mussten auf den Weg vor einem gerichtet bleiben. Er rannte eine schmale Gasse entlang, durch deren Mitte eine schlammige Rinne lief. Weitere Hühner flogen auf.

Der Kerl hinter ihm rief etwas. Sehr laut. Türen öffneten sich. Verhuschte Gestalten blieben im Schatten. Sahen zu.

Volodi bog ab. Er sollte oft die Richtung wechseln und zu den Geistern des Waldes beten, dass er sich nicht in eine Sackgasse verirrte. Warum hatte Quetzalli sich ihm hingegeben, wenn sie verheiratet war? Etwas stimmte nicht bei dieser Geschichte. Jungfrau war sie nicht gewesen – und sehr erfahren in der Liebe. Sehr! Er durfte jetzt nicht daran denken. Wieder bog er ab und kam nun in eine etwas breitere Gasse. Läden säumten die Straßenränder, in einigen brannte sogar noch Licht, und es waren Leute unterwegs. Volodi fluchte. Dies hier war eines der Stadtviertel, in dem Menschen aus allen Völkern Daias lebten. Keines der Palastviertel, wo die Unsterblichen keine Fremden duldeten. Es lebten hier auch viele Zapoter.

Wieder ertönte hinter ihm der Ruf seines Verfolgers. Volodi bog ab. Es war verdammt dunkel hier. Die schäbigen Lehmhäuser standen so schief, dass ihre Giebel einander fast berührten. Es stank nach Jauche und ranzigem Fett. Volodi konnte das Ende der Gasse nicht erkennen. Das Schmutzwasser spritzte seine Beine hoch, während er immer schneller lief. Seine teuren Stiefel würden mit Jauche durchtränkt sein.

Voraus brannte ein einzelnes rotes Licht — eine Tür, mit Federschnüren verhängt. Das war das Ende der Gasse! Im Türrahmen kauerte eine Eidechse – mit dem Kopf nach unten. Volodi strich sich mit der Hand über die Augen. War das ein Traum? Egal – Stillstand war Verderben. Er huschte zwischen den Federschnüren hindurch in ein Zimmer, das vom roten Licht glühender Holzscheite erfüllt wurde. Eine alte Frau mit verwittertem flachen Gesicht blickte zu ihm auf und schenkte ihm ein zahnloses Lächeln, als würde sie ihn kennen. Dann rührte sie wieder in dem rußverschmierten Kupferkessel, der vor ihr auf dem Feuer stand. Sie schrie nicht. Weshalb? Egal …

Volodi eilte weiter und in das nächste Zimmer. Ein Kind lag hier nackt auf dem Boden und schlief. Er trat vorsichtig auf, um das Mädchen nicht zu wecken. Dabei drückte er sich mit dem Rücken an der Wand entlang. Die Wand gab ihm ein trügerisches Gefühl von Sicherheit und Halt. Weiter! Irgendwo hier musste es ein Fenster geben, das ihn auf eine andere Straße brachte! Die nächste Kammer war mit Vorratskrügen gefüllt. Hohen, bauchigen Tongefäßen. Manche bemalt. Der rote Schein des Feuers drang nur sehr schwach bis hierher. Er dachte an Quetzalli. Was würde mit ihr geschehen, nun, da der Mann ihn gesehen und sicherlich die einzig möglichen Schlüsse aus der Anwesenheit des fremden Hünen in seinem Geflügelstall geschlossen hatte?

Ein Luftzug streifte sein Gesicht. Ein Teil der Wand wölbte sich auf. Nein, nicht die Wand. Ein Vorhang. Eilig trat er hindurch und stand in einer weiteren Gasse. Unruhig gurrende Vögel drängten sich über ihm auf einer Stange, und tief am Himmel stand ein fahler Mond. Viel tiefer, als der Mond je über den Wäldern von Drus über das Firmament wanderte. Etwas höher schimmerte der zweite Mond. Noch so eine Sache, die ihm zu Hause in Drus keiner glauben würde. Ein Himmel mit zwei Monden! Kein Reisender, der je in die Halle seines Vaters getreten war, war bis in die Neue Welt gewandert.

Volodi atmete tief aus. Er musste die richtigen Entscheidungen treffen, sonst würde er die Halle seines Vaters niemals wiedersehen. Bewegungslos verharrte er und lauschte in die Nacht. Hinter ihm im Haus war es still. Hatte er den Verfolger abgeschüttelt? Er lehnte eines der Schwerter an die Wand. Bislang hatte er sie auf der Flucht in den Händen gehalten. Ebenso seine Tunika. Er streifte sie über und gürtete sein Schwert um die Hüften. Das zweite schlang er über die Schulter. Es hatte einen schönen, mit Bronzescheiben beschlagenen Gurt. Er würde es seinem Bruder Bozidar schenken, wenn er in seine Heimat zurückkehrte.