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Am Ende der Stiege

Volodi war gereizt. »Gleich«, entgegnete er, als der Dolmetscher »Wann gehen wir?« fragte. Zum vierten Mal bereits. Mindestens.

Volodi spähte durch die Vorhänge zu dem kleinen Haus in der Mitte der Straße. Er wusste, dass ihnen im Grunde keine Zeit blieb. Durch das obere Fenster fiel Licht. In jenem Zimmer hatten sie sich geliebt. Volodi hatte gehofft, Quetzallis Schattenriss zu sehen, aber da war nur das Licht.

»Gut, gehen wir«, murrte Volodi, schob den Vorhang der Sänfte zur Seite und drückte dem vordersten Träger einige Kupferstücke in die Hand. Hinter ihm schob sich der Übersetzer aus der Sänfte und stützte sich schwer auf seinen Gehstock. Volodi sah sich nicht nach ihm um. Sein Blick wanderte von der Tür zum Fenster. Sein Kriegerinstinkt sagte ihm, dass es falsch war, noch einmal hierher zurückzukommen. Was konnte er hier noch gewinnen? Nur ein paar Worte. Es war vorbei! Dennoch lief er entschlossen auf die Tür zu – leicht geduckt, als würde das helfen, seine hünenhafte Gestalt in der Gasse verschwinden zu lassen. Seine Hand lag am Griff des Schwertes an seiner Hüfte.

Mit der Schulter drückte er die Tür auf. Sie war unverschlossen, so wie sie es immer gewesen war. Wieder umfingen ihn die Gerüche, die ihm in den wenigen Tagen so vertraut geworden waren. Der Duft von Federn und dem weißen Baumharz, das sie in ihren Räucherschalen verbrannt hatte. Auch all die anderen Düfte, die er lieben gelernt hatte, ohne dass er sie zu benennen vermochte. Und er roch sie. Sie war noch hier.

Hinter ihm schob sich leise knarrend die Eingangstür auf. Erschrocken fuhr Volodi herum, das Schwert in der Hand.

»Ruhig, Junge«, sagte Mitja und schob mit zwei Fingern sehr langsam die Spitze der Klinge zur Seite, die auf seine Kehle zeigte.

Volodi lächelte verlegen. Er machte sich ja zum Narren! »Warte einen Moment«, sagte er mit einem entschuldigenden Lächeln.

Oben erklang eine Stimme. Ihre Stimme. Sie hatte auf ihn gewartet! Er hatte es gewusst.

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend stürmte er die Treppe hinauf.

»Nicht!«, rief Mitja ihm nach.

Volodi stieß die Tür zu dem Zimmer auf, in dem er so viele glückliche Stunden verbracht hatte. Quetzalli saß auf ihrem Lager, inmitten der federgeschmückten Wände. Blaugrauer Rauch wogte um sie und ihre Augen waren weit aufgerissen. Etwas stimmte nicht …

Ein Schlag traf ihn auf den Hinterkopf. Er taumelte nach vorn. Das Schwert entglitt seinen Fingern.

Quetzalli sprang auf. Sie schloss ihn in die Arme. Im selben Augenblick traf Volodi ein zweiter Schlag. Wie wunderbar sie duftete, dachte er noch. Dann schwanden ihm die Sinne.

Im Himmel tanzen

Shaya streckte ihm die Hand entgegen. »Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Du darfst einfach nicht nach unten schauen.«

Artax atmete unregelmäßig. Nach unten hatte er leider schon geschaut, und dass es für eine Kriegerin, die daran gewöhnt war, an einem Luftsack mit Tentakeln gebunden zwischen den Wolken herumzuturnen, nicht weiter schlimm war, glaubte er sofort. Aber er hatte gern festen Boden unter den Füßen — oder zumindest Planken. Am Seil zur Lotsenkabine zu klettern war schon übel gewesen. Aber das hier …

Die Seile, die als ein weites Netz um den Leib des Wolkensammlers geschlungen waren, waren samt und sonders mit zähem Schleim bedeckt, sie waren glitschig, und fast jedes Mal, wenn er danach griff, rutschte seine Hand ein Stück am Seil entlang, bis sie dann irgendwann Halt fand. Oder auch nicht. Dann rutschte er ein paar Schritt tiefer und kämpfte darum, mit den Füßen Halt in einem der querlaufenden Seile des weiten Netzes zu finden. Es war kein Spaß, an diesem verdammten Vieh hinaufzuklettern, und er konnte nicht begreifen, was sie ihm zeigen wollte oder was das heißen sollte, im Himmel zu tanzen.

Er begann wieder zu rutschen. Sofort griff er nach Shayas Hand. Sie war erstaunlich stark. Scheinbar ohne Mühe zog sie ihn hoch. Er machte den Fehler hinabzublicken. Das Lotsenzelt lag unendlich weit unter ihm. Er hing nur an Shayas Hand und …

Endlich fanden seine Füße Halt. Schwer atmend klammerte er sich an eines der quer gespannten Taue.

»Bald sind wir über die Mitte hinweg. Wenn sich der Leib erst einmal zum Zenit hin krümmt, kommt man viel leichter voran.«

»Alles Klasse«, log er wenig überzeugend. »Mir geht es gut.«

»Ich weiß, Unsterblicher. Um dich muss ich mir keine Sorgen machen. Selbst wenn du aus dem Himmel stürzen solltest, wäre das ja nicht das erste Mal für dich.«

Er vermochte nicht einzuschätzen, ob sie das ernst oder ironisch meinte. Sie schaffte es, ihn zu verunsichern. Manchmal ärgerte ihn das, aber alles in allem war es eine Eigenschaft, die er an ihr schätzte.

Schweigend kletterte er weiter. Er war inzwischen über und über mit dem Schleim bedeckt, den der Wolkensammler absonderte. Das Sekret war fast geruchlos. Ihm haftete nur ein ganz leichter Duft nach feuchtem Waldboden an. Gar nicht einmal unangenehm. Trotzdem, so dachte Artax, würde er ein langes Bad nehmen, wenn er endlich in seinem Palast zurück war. Er musste einen anderen Weg ersinnen, sich mit Shaya zu treffen. Am aufgeblähten Leib eines Wolkensammlers hinaufzuklettern passte definitiv nicht zu seiner Vorstellung von einem romantischen Stelldichein – auch wenn man sicherlich Zugeständnisse machen musste, wenn man sich mit einer Barbarenprinzessin traf, die in ihren freien Stunden verdrehte philosophische Schriften las.

Als sie endlich den Äquator der riesigen kugelförmigen Kreatur hinter sich ließen, ging es in der Tat viel schneller voran. Die Haut des Wolkensammlers veränderte sich. Sie fühlte sich jetzt wie weiches, feuchtes Moos an und der Schleim war verschwunden. Die Hand am Seil, stürmten sie dem Zenit der gewaltigen Kreatur entgegen, die ohne Mühe ein palastgroßes Schiff in den Himmel zu heben vermochte.

Am höchsten Punkt fanden sie eine flache Senke, etwa hundert mal hundert Schritt groß. Shaya ließ sich mit einem genüsslichen Seufzer fallen, streckte Arme und Beine weit von sich und blickte zu den Zwillingsmonden empor, die in dieser Nacht sehr nahe beieinanderstanden.

Sie winkte ihm. »Komm, leg dich neben mich!«

»Ist das Tanzen?«

»Nein, das ist: die Welt atmen. Hier gibt es nur uns, den Himmel und die beiden Monde. Alles andere ist in diesem Augenblick bedeutungslos. Wir sind die Welt.«

Artax zog es vor, zu schweigen. Ihre Gefühle waren ihm fremd. Nicht unangenehm, aber unvertraut. Er vermutete, dass es an den Worten lag, die sie wählte. Er hätte gern nachgefragt, spürte aber zugleich, dass jedes Wort von ihm den Zauber des Augenblicks zerstören könnte. Im Grunde hatte er es so haben wollen – sie beide allein unter den Monden. Es hätte nur nicht hoch unter den Sternen auf dem Rücken eines Wolkensammlers sein müssen.

Er streckte sich neben ihr auf der moosigen Haut des Himmelsriesen. Artax spürte den mächtigen Körper unter sich sacht vibrieren. Ein angenehmes Gefühl. Fast, als würde man in den Schlaf gewiegt. Tief unter ihnen ertönte sehr leise eine seltsame Abfolge von Tönen. Ein Zischen und Pfeifen. Nicht willkürlich … Beinahe eine Melodie.

Shaya drehte sich auf den Bauch, stützte den Kopf auf die Hände und blickte auf ihn hinab. Jetzt, wo der Himmel nicht mehr vom riesigen, aufgeblähten Leib des Wolkensammlers verschlungen wurde, reichte das Licht der Zwillingsmonde, um ihre Augen deutlich zu erkennen. Brennend dunkle Augen. Augen, die viel gesehen hatten. Voller Weisheit und zugleich auch wild.

»Ich bin schon Fischen begegnet, die gesprächiger waren als du, Unsterblicher.«

»Wenn man alte Männer dazu bringt, auf berggroße Ungeheuer zu klettern, muss man damit rechnen, dass ihnen die Puste ausgeht.«

Sie runzelte die Stirn. »Du siehst immer noch aus wie ein junger Mann. Bist du sehr alt?«

»So alt wie die Götter.« Er grinste.

»Dann hattest du wohl schon sehr viele Frauen …«