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Artax dachte an die vergangenen beiden Jahre. Daran, wie er im Harem nicht hatte finden können, was er gesucht hatte. Eine wirkliche Gefährtin! »Vielleicht hältst du das, was ich dir jetzt sagen werde, nur für schöne Worte, aber glaube mir, es die Wahrheit. Von ganzem Herzen die Wahrheit! Einer Frau wie dir bin ich noch niemals begegnet.«

Sie lächelte versonnen. »Ich glaube dir.« Plötzlich legte sich ein Schatten auf ihr Gesicht. »Du hast deinen Harem aufgelöst.« Ihre Stimme klang fast bitter.

»Ja.«

»Die Menschen reden viel über dich. Du bist anders. Manche haben Angst vor dir. Andere sagen, du seiest fast so groß wie ein Gott. Sie sagen auch, dass du keinen Harem brauchst, weil du jedes Weib besitzen kannst, auf das dein Blick fällt.«

»Wer sagt das?«

»Dieselben, die erzählen, dass du nur mit deinem Blick tausend blutdürstige Piraten zum Niederknien gezwungen hast und dass du einen Geist in deinem Schwert gefangen hältst, der dir alle Gedanken deiner Feinde zuflüstert, sodass du im Zweikampf unbesiegbar bist.«

»Du hast an meinem Krankenlager gestanden. Habe ich da unbesiegbar ausgesehen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe um dein Leben gefürchtet. «

»Warum?«

»Weil …« Sie setzte sich auf. »Weil … Weil! Genügt es nicht, dass es ist, wie es ist? Muss man immer hinter die Dinge blicken?«

»Unsterbliche müssen das.«

Sie schnaubte. »Jetzt hast du zum ersten Mal etwas gesagt, was von meinem Vater hätte sein können.«

»Magst du ihn nicht?«

»Kann man einen Unsterblichen mögen? Als ich klein war, war er sehr nett zu mir. Und dann plötzlich, in meinem siebten Jahr, kurz nach der Sommersonnenwende, war er von einem Tag auf den anderen völlig verändert. Er interessierte sich nicht mehr für mich.« Sie saß jetzt ganz steif. Ihre Hände ruhten zu Fäusten geballt auf ihren Schenkeln. »Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass ich damals zu seinen bevorzugten Kindern gehört habe. Dass er den Älteren gegenüber schon immer so kühl gewesen war, wie er mir von diesem Tag an begegnete. Ein paar Jahre später ist es noch einmal geschehen. Und das gilt nur für die Kinder, die am Wandernden Hof bleiben durften. Ich bin keineswegs seine siebenunddreißigste Tochter. Es gibt unendlich viel mehr! Am Wandernden Hof zählen sie nur die Kinder, die von Prinzessinnen geboren werden. Früher hatte er immer an mir gemocht, dass ich wie ein Junge war. Dass ich reiten konnte und mit dem Bogen schießen. Ich bin diesen Weg weitergegangen, auch nachdem ich seine Gunst verloren hatte. Er hat mich letztlich hierher geführt. Ich habe darauf gewartet, dass ich verheiratet werde. Das ist das Los von uns Prinzessinnen.« Sie lachte bitter auf. »Aber wer will schon ein Weib, das sich darauf versteht, mit einer Dornaxt Schädel einzuschlagen? Das hatte ich nicht bedacht, als ich mich entschieden habe, eine Kriegerin zu werden. Ich verfüge über keinerlei Tugenden, die eine Prinzessin auszeichnen sollten. Ich spiele kein Instrument. Ich habe zu schmale Hüften, um leicht Kinder zu gebären und wenn ich singe, bleibt den Nachtigallen im Palastgarten vor Schreck das Herz stehen.«

Ihre Worte erfüllten Artax mit Schmerz. Wie gern hätte er ihr den Kummer genommen. Hätte ihr zumindest erklärt, dass sie nicht die Gunst ihres Vaters verloren hatte, sondern ihr Vater damals gestorben war — und auch wieder nicht. Dass er an jenem Tag, als er ihr noch einmal nahe gewesen war, zurückgefunden hatte an die Oberfläche jenes Mannes, der jetzt ihr Vater war – nur um einen Augenblick an ihrer Seite zu verbringen. Er musste sie sehr geliebt haben. Auch er, Artax, liebte ihre Andersartigkeit; liebte sie gerade weil sie nicht so war wie all jene, die sie als gute Partie beschrieb. Doch nichts davon kam über seine Lippen. Aus Furcht. Aus Scham. Und weil er sich sicher war, dass er die Geduld des Devanthar mit dem Verrat des Geheimnisses um die Unsterblichkeit deutlich überfordern würde. Er konnte ihr nicht helfen. Nicht so. Nicht jetzt. Nicht hier. Er musste einen anderen Weg finden, sie aufzuheitern. »Du wolltest mit mir im Himmel tanzen«, erinnerte er sie.

»Falls du auf eine Art Tanz hoffst, die den Männern das Blut zwischen die Schenkel treibt, wirst du enttäuscht sein. Ich tanze für mich. Um mich zu vergessen. Mich frei zu fühlen von allem. Ich bin ein altes Weib. Ich habe schon silberne Haare.«

»Darf ich dein Silberhaar im Mondlicht sehen?«

Sie blickte ihn entsetzt an. »Kein gutes Kompliment! Ich reiße sie aus, sobald ich sie entdecke.«

»Wie alt bist du denn, du Greisin?«

Sie presste die Lippen zusammen und eine steile Zornesfalte erschien zwischen ihren Brauen. »So etwas fragt man nicht.«

»Unsterblichen ist alles erlaubt.« Kaum waren die Worte über seine Lippen, da er hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Das war nicht witzig. Das war nur frech! Sprach etwa Aaron aus ihm?

In ihren Augen loderte ihr ganzes Temperament. »Vierundzwanzig! « So wie sie es sagte, klang es wie eine Herausforderung.

»Kannst du ermessen, wie jung das für einen Unsterblichen ist?«

Auf diese Antwort war sie sichtlich nicht gefasst gewesen. Er konnte förmlich sehen, wie ihr Zorn verrauchte. Lange sahen sie einander wortlos an. Das Licht der Zwillingsmonde schmeichelte ihr. Er hätte bis zum Morgengrauen einfach nur zu ihr aufblicken können. Ein leichter Wind war aufgekommen und spielte mit ihrem Haar. Sie war die Frau, nach der es ihn immer verlangt hatte, das wusste er nun ganz sicher. Sie war Almitra – und noch unendlich viel mehr. Bislang war Shaya nur ein Gefäß gewesen, das er mit seinen Träumen und Wunschvorstellungen gefüllt hatte. Er war hierhergekommen, um der Wirklichkeit zu begegnen. Und was er sah, gefiel ihm besser noch als alle Bilder seiner Träume.

Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Komm, tanz mit mir«, sagte sie leise.

»Ich fürchte, ich tanze etwa so gut, wie du singst.«

Sie lächelte. »Außer mir und den beiden Monden wird es niemand wissen.«

Der Dolch

Volodi hatte einen unangenehmen metallischen Geschmack im Mund. Blut? Nein. Etwas drückte gegen seinen Gaumen. Etwas war in seinem Mund. Was für ein seltsamer Traum, dachte er benommen. Stimmen redeten in einer fremden Sprache. Er schüttelte den Kopf und etwas schnitt in seinen Mundwinkel. Erschrocken riss er die Augen auf. Er hatte ein Messer im Mund! Blut troff sein Kinn hinab auf die Brust!

Er blickte in das Antlitz des kleinen Mistkerls von einem Blasrohrschützen, der auf ihm hockte, das Messer hielt und ihn gehässig angrinste.

»Du solltest jetzt nichts Unbedachtes tun«, nuschelte Mitja.

Volodi schielte am Messer vorbei. An der gegenüberliegenden Wand kauerte Mitja. Sein Gesicht erinnerte an einen Klumpen rohen Fleischs. Sein Kopf war nach vorne gesackt, die Augen zugeschwollen. Seine Hände hielt er vor die Brust gepresst. Sie umklammerten etwas.

Jemand redete in einer fremden Sprache. Drängend.

Volodi wollte den Kopf drehen, doch sofort drückte die Messerspitze gegen seinen Gaumen und schnitt in das weiche Fleisch.

Der Drusnier verdrehte die Augen. Dicht neben der Tür stand Quetzallis Mann. Auch sein Gesicht war zerschlagen und er stützte sich auf einen Holzknüppel.

»Sie wollen wissen, wo du das Messer gelassen hast. Überleg dir gut, was du sagst. Ich glaube, wenn sie das Messer haben, sind wir tot, Arschloch.« Beim Sprechen quoll Mitja Blut aus dem Mund.

Volodi wollte etwas antworten, doch das Messer ritzte seine Zunge.

Quetzallis Mann sagte etwas in scharfem Tonfall und die Klinge glitt aus Volodis Mund. Die Messerspitze senkte sich jetzt auf sein linkes Augenlid. Sie drückte auf die zarte Haut.

»Pass auf, Idiot!«

»Auf ein Auge kommt es denen nicht an«, nuschelte Mitja und streckte seine Hände vor. Auf jedem Handteller lag ein großes, fleischiges Ohr.

»Das …«

»Das wird dich deine beiden Eisenschwerter kosten, wenn wir das überleben, du hirnloser Haufen Scheiße! Hast du überhaupt eine Ahnung, worauf du dich eingelassen hast?«

»Einen Ehemann mit einem harten Schädel …«