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»Du hast wirklich nichts begriffen … Nichts.« Mitja schloss seine Finger um die abgeschnittenen Ohren und drückte die Hände wieder gegen die Brust, als mache es noch irgendeinen Sinn, die Ohren aufzuheben. »Dein Mädchen … Die hat dich ausgesucht, nicht wahr? Hat dir schöne Augen gemacht, bis dein Schwanz das Denken übernommen hat. Richtig?«

»So war das nicht. Nicht ganz … Sie … hat mich gewollt … Aber ich …«

»Sie hat dich hierhergebracht, nicht wahr? Und du würdest für sie bis ans Ende der Welt gehen, oder?«

Volodi mochte nicht, dass der alte Übersetzer so von Quetzalli sprach. Wenn da nicht dieses Messer vor seinem Auge wäre und der Kerl nicht seine abgeschnittenen Ohren in seinen Wurstfingern halten würde …

»Du bist groß, blond und gut aussehend«, nuschelte Mitja. »Ich hab das immer für eine wilde Kneipengeschichte gehalten. Kerle wie du verschwinden immer wieder. Es heißt, eine Priesterin der gefiederten Schlange …«

Der gehörnte Ehemann unterbrach Mitja. Seine Stimme klang ärgerlich, als er im unverständlichen Kauderwelsch der Zapote auf den Übersetzer einredete. Auf den Alten wirkten die Worte wie Schläge. Er sank regelrecht in sich zusammen.

»Du musst ihm seinen Dolch zurückbringen, Volodi. Unbedingt! War die Klinge aus Stein?«

Der Drusnier nickte und Mitja fluchte leise. »Das ist ein Ritualmesser. Verdammt, Junge. Die werden uns umbringen.« Er hob den Kopf und versuchte seine zugeschwollenen Lider zu öffnen. »Kurz bevor wir mit der Sänfte losgezogen sind … Da hast du diesen Dolch versteckt, nicht wahr? Du hast eine Stunde, ihn zurückzubringen. Wenn du dann nicht wieder hier bist, werden sie mir die Hand zerschlagen. Jeden einzelnen Knochen darin, bis nur noch Splitter und zerquetschtes Fleisch bleiben. Er hat es mir gesagt …«

»Und du glaubst, wenn ich den Dolch bringe, werden sie uns verschonen?«

»Nein. Aber es wird schneller gehen …«

»Was ist mit dem Mädchen?« Volodi wollte zu dem Ehemann blicken, doch sofort verstärkte sich der Druck des Messers auf sein Augenlid. Er konnte spüren, wie die Klinge die Haut aufritzte. »Was werden sie mit ihr machen?«

»Du hast es immer noch nicht begriffen. Sie …«

Der Mann an der Treppe unterbrach Mitja barsch.

»Du sollst gehen und den Dolch holen. Sofort!«, übersetzte der Alte. »Bitte lass mich hier nicht hängen. Bitte …«

Der Kerl mit dem Messer erhob sich und deutete mit der Klinge auf die Treppe.

»Hast du ihnen gesagt, wo das Messer ist?«

»Nein, noch nicht. Ich …« Seine blutverschmierten Wangen zuckten. Er schluchzte. »Der kleine Kerl begleitet dich.«

Der Blasrohrschütze schien verstanden zu haben, dass von ihm die Rede war. Er lächelte kurz, dann zog er mit fließender Bewegung ein Messer und schleuderte es Volodi entgegen. Zitternd blieb die Bronzeklinge einen Fingerbreit neben seinem Gesicht in der lehmverputzten Wand stecken. Der Kleine hatte bereits ein weiteres Messer in der Hand und sagte etwas, das sich für Volodis Ohren wie Schlangenzischen anhörte.

»Er wird dich umbringen, wenn du versuchst, ihn hereinzulegen«, übersetzte Mitja. »Er behauptet, die Messer sind vergiftet. Es genügt, wenn sie ganz leicht deine Haut ritzen, und du stirbst wie ein Hund.«

Volodi blickte auf die Klinge in der Wand. Das Metall schimmerte ölig.

»Ich werde wiederkommen«, sagte er mit fester Stimme.

Das Vibrieren im Bauch

Er ist wirklich kein guter Tänzer, dachte Shaya. Ob er ein guter Mann war? Zumindest sah er gut aus. Und er schien Sinn für Humor zu haben. Leider war er etwas zu schüchtern. War sie nicht deutlich genug gewesen? Noch nie hatte sie ein Mann angesehen, wie er es tat. Sie sah nicht schlecht aus, das wusste sie. Sie wusste auch um die Wirkung ihres Lächelns und ihrer tiefen Blicke. Und doch war sie immer zurückhaltend gewesen. Selbst wenn sie ein Gesicht hätte, bei dessen Anblick die Milch sauer wurde, hätten ihr die Männer in Scharen den Hof gemacht. Es ging dabei nicht um sie. Wer sie heiratete, der gehörte zur Familie des Unsterblichen. Deshalb konnte sie sich bei Liebesschwüren niemals sicher sein. Selbst wenn sie den Kopf voller weißer Haare hätte, wäre sie immer noch ein attraktives Tauschobjekt. Aaron hingegen hatte sie geglaubt, als er ihr gesagt hatte, dass sie für ihn etwas Besonderes war. Er war selbst ein Unsterblicher. Es gab für ihn keinen Grund zu lügen … Und trotzdem war es nicht klug, mit ihm hier oben zu sein! Wie er sie ansah! Als Kind hatte sie einmal einen Hund gehabt, der sie immer so angesehen hatte, bis er groß genug war, um in den Kochtopf zu kommen. Dieser Blick passte nicht zu einem Unsterblichen! Er war seltsam. Sie hatte erzählen hören, dass er die Toten in Isatami auf die Stirn geküsst habe. Die einfachen Palastdienerinnen! Und nun tanzte er für sie auf dem federnden Rücken des Wolkensammlers, die Arme seitlich ausgestreckt, um auf dem unsicheren Grund die Balance zu halten. Manchmal schüttelte er dabei überraschend den Kopf, als glaube er selbst nicht, was er dort tat.

Auch sie tanzte nun. Mit kurzen, kräftigen Sprüngen; die Augen geschlossen und ganz in ihre Erinnerungen versunken. So hatte sie früher für ihren Vater getanzt. In jener längst vergangenen Zeit, als er noch manchmal ein Lächeln für sie gehabt hatte. Sie dachte an die große Trommel im Zelt des Unsterblichen. Daran, wie ihre kleinen Füße den Rhythmus zu ihrem Tanz gestampft hatten. An das Vibrieren des straff gespannten Trommelfells unter ihren Sohlen. Den dumpfen Laut des Instruments, der tief in ihren Bauch gefahren war. Die Arme eng an den Körper gelegt, hatten ihre Füße immer schneller gestampft. Man musste sich sehr in Acht nehmen beim Trommeltanz. Ein falscher Schritt auf dem schwingenden Fell und man wurde von dem Instrument abgeworfen. Vor den Augen ihres Vaters war ihr das zum Glück nie passiert. Stets hatte sie den Tanz damit beendet, in seine Arme zu springen.

Wenn sie in einsamen Nächten zu einem der Wolkensammler schlich, um im Himmel zu tanzen, dann war die Erinnerung an jenen freundlichen Vater, der sie gerne in seine Arme geschlossen hatte, so nah, als sei seit dem letzten Tanz für ihn nur ein Augenblick verstrichen und nicht viele Jahre.

Shaya blinzelte und blickte zu Aaron. Er wirkte auf charmante Art unbeholfen. Sie wusste, dass er sich bemühte, ihr zu gefallen. Seit der letzten Umarmung ihres Vaters hatte kein Mann sie mehr zärtlich berührt. Sie war ein Schatz des Reiches. Die Tochter eines Unsterblichen! Leider ein Schatz, dessen Wert von Tag zu Tag schwand. Sie würde eine säuerlich riechende alte Jungfer werden! Es gab keine Zukunft für Aaron und sie, denn es war den Töchtern von Unsterblichen verboten, ein Ehebündnis mit einem anderen Unsterblichen einzugehen. So sollte verhindert werden, dass zwei Reiche eine zu enge Allianz eingingen und das empfindliche Gleichgewicht zwischen den Großreichen gestört wurde. Nur wenn die göttlichen Devanthar einer solchen Hochzeit zustimmten, mochte das eherne Gesetz aufgehoben werden. Doch warum sollten sie ihre eigenen Gesetze aufheben? Nein, sie durfte sich nicht in Aaron verlieben! Durfte sich nicht davon geschmeichelt fühlen, wie offensichtlich er sich um sie bemühte! Es wäre besser, wenn sie ihn nicht mehr wiedersah.

Wolken zogen vor die Zwillingsmonde und tranken deren Licht. Regentropfen, fein wie Staub, umfingen sie. Der moosige Untergrund wurde rutschig. Sie konnte sehen, wie Aaron mehr und mehr Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Seine Tunika klebte nass an seinem Körper. Er war gut gebaut. Ein starker Mann. Wirre Haarsträhnen hingen in sein Gesicht. Wer ihn jetzt sah und nicht kannte, wäre niemals auf die Idee gekommen, vor einem der mächtigsten Herrscher der Menschheit zu stehen. Er sah aus wie ein ganz normaler Mann.

Sie konnte spüren, wie ihr Herz wilder schlug.

Ihre alte Sehnsucht war erwacht. Jenes warme, schmerzliche Gefühl, das sie seit so vielen Jahren verdrängte. Mit Kampfübungen verdrängte, mit wilden Tänzen oder der geistigen Askese durch das Studium alter Philosophen. Und doch kehrte es beharrlich immer wieder, stets zu unpassender Zeit. Die Sehnsucht, umarmt zu werden. Die Sehnsucht, eine ganz normale Frau zu sein. Keine Prinzessin. Kein … Sie rutschte aus.