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Aaron schnellte vor, griff nach ihrer Hand, zog sie zu sich heran — und glitt ebenfalls aus. Er stürzte, ohne sie loszulassen. Hart fiel sie auf seine Brust und spürte seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht. Er hielt sie immer noch fest. Sein Blick war tief, voller unausgesprochener Wünsche. Und dann hob er den Kopf — langsam, fast als wolle er ihr die Gelegenheit geben, ihn abzuweisen. Seine Lippen fanden die ihren – und verweilten dort. Es war ein langer Kuss. Ganz anders als jeder Kuss, der ihr zuvor geschenkt worden war. Seine Arme umfingen sie und Shaya spürte ein Vibrieren tief in sich, so wie damals, als sie auf der Trommel getanzt hatte. Doch diesmal wurde es von einer unbekannten Wärme begleitet. Von einem süßen Schmerz …

Sie zuckte zurück. Sofort löste sich die Umarmung. Aaron setzte sich auf. Er lächelte, versuchte aber nicht, sie erneut an sich zu ziehen.

»Das ziemt sich nicht«, sagte sie leise und war sich mehr als bewusst, dass der Klang ihrer Stimme eine andere Sprache sprach. Sie hatte sich geborgen gefühlt und mehr – es durfte nicht wieder geschehen!

Er sah sie lange an — aufmerksam, offen. Und verletzbar, erkannte sie.

»Wir sind allein. Hier entscheiden nur wir, was sich ziemt und was nicht.«

»Wir dürften aber nicht hier sein …«

»Und doch sind wir es. Jeder aus freien Stücken.« Er sah sie unverwandt an. Nicht fordernd, doch seine Schüchternheit war gewichen. Sie dachte an die Geschichten, die man sich über ihn erzählte. Daran, dass er immer wieder Dinge tat, die niemand von einem Unsterblichen erwartete. Würde sie einen Mann wollen, der immer wieder Dinge tat, die sie nicht von ihm erwartete? »Die Devanthar verbieten …«

»Es ist mir gleich, was die Götter verbieten, denn sie sind nicht gerecht. Deshalb unterwerfe ich mich nicht ihren Gesetzen. Die einzige Macht, die mich aufhalten kann, bist du.«

Sie starrte ihn mit weiten Augen an, war tief gerührt und zugleich entsetzt. Sie glaubte ihm. Aaron wollte sie. Sie war sich nicht sicher, warum er so stark für sie empfand. Aber die Götter herausfordern … An der Seite eines solchen Mannes würde es niemals Frieden geben.

Tief unter ihnen erklang ein Trinklied. Es war eine brüchige, alte Stimme, die sang. Eine Stimme, der man anhörte, dass die Kehle, der sie entsprang, in dieser Nacht in Wein gebadet hatte.

»Der Mann, der mich heimlich zurück in den Palast bringen soll«, sagte Aaron.

»Wir haben einen langen Abstieg.« Sie war erleichtert, sich nicht entscheiden zu müssen. Shaya stand auf, doch Aaron rührte sich nicht.

»Willst du mich wiedersehen?«

»Das ist nicht leicht. Ich kann nicht so schnell noch einmal hierherkommen. Es würde auffallen …« Was für alberne Ausflüchte! Sie dachte an das Vibrieren in ihrem Bauch. Daran, wie sehr sie sich danach gesehnt hatte, noch einmal umarmt zu werden. »Ja, ich will«, sagte sie entschieden.

Ihm war seine Erleichterung anzusehen. »Dann werde ich einen Weg finden.«

Und ich auch, dachte sie. Wir werden einen Weg finden. Gemeinsam.

Geschäfte

Volodi blickte die Straße zurück. Der feine Regen hatte aufgehört. Strahlend hell standen die Zwillingsmonde über der Stadt. Viel zu hell für eine Nacht dunkler Geschäfte.

Zu dieser Stunde war kaum noch jemand unterwegs. Obwohl der schmierige kleine Kerl mit den Wurfmessern sich stets im Schatten hielt, war er auf der offenen Straße leicht auszumachen. Er folgte ihm mit etwas mehr als zehn Schritt Abstand.

Der Drusnier blickte zu den hohen Steinfassaden. Dies war eines der reicheren Stadtviertel. Manche Häuser schmückten sich mit Figuren aus gegossener Bronze. Sie schimmerten längst nicht mehr golden, aber dennoch zeigten sie, dass die Bewohner reich genug waren, um ein kleines Vermögen für den Schmuck ihres Hauses auszugeben. Hier ein Haus zu erwerben war ziemlich teuer gewesen. Volodi war erst zweimal zuvor hierhergekommen. Nicht weil er es nicht mochte … Im Gegenteil! Es tat ihm leid, an diesem wunderbaren Geschäft nicht beteiligt zu sein.

Der Drusnier stieg die schmale Treppe zum Eingang hinab. An der Tür lungerte ein hagerer, stoppelbärtiger Kerl herum. »Na, Atmos? Bist dich froh, wieder ein Tag nicht glotzen auf Pferdearsch? «

Der Türsteher grinste ihn an und zeigte einen Oberkiefer ohne Zähne. »Verdammt froh, von den Streitwagen fort zu sein. Und die Ärsche, die es hier zu sehen gibt, sind nun mal hübscher als die von den Pferden.«

»Ist sich Kerl hinter mir, mit Gesicht wie Ratte, das sich ist halb tot. Wenn sich kommt, lass ihn rein. Nicht nix fragen was will.«

Atmos nickte und öffnete Volodi die schwere Holztür.

Der Drusnier durchquerte einen kurzen Flur, in dem Hunderte von Perlschnüren von der Decke hingen und den Blick versperrten. Der Duft von Rosenöl und roten Kirschblüten umfing ihn. Irgendwo jenseits der Schnüre aus schillernd bunten Tonperlen erklang leises Flötenspiel. Es war warm hier drinnen. Zu warm. Große, hellblaue Augen schimmerten zwischen den Perlschnüren. Ein goldhaariges Mädchen begrüßte ihn mit einem vieldeutigen Lächeln. Sie trug nur einen Rock. Er schien aus denselben Perlschnüren gefertigt zu sein wie die Vorhänge. »Womit kann ich dir dienen, mein Schöner?« Sie beherrschte seine Muttersprache!

Volodi musterte sie. »Du bist neu hier, nicht wahr? Wie heißt du?«

»Djamile.« Ihr Blick hatte nun etwas Herausforderndes, als habe er einen Fehler gemacht.

»Ich will zu Kolja.«

»Der ist nicht hier«, antwortete sie ein wenig zu schnell.

»Djamile, ich bin der Mann, der die Freiwachen für Kolja einteilt. Damit bin ich auf ganz Nangog wohl derjenige, der am besten darüber unterrichtet ist, wo sich dieser ungewaschene Hurenbock aufhält und wo nicht. Richte ihm aus, Volodi möchte ihn sehen.«

Er trat an ihr vorbei in einen Raum, der mit Bedacht im Halbdunkel lag. Mit anzüglichen Szenen bemalte Wandschirme sorgten für Sichtschutz und schufen verwinkelte Nischen. In der Mitte des Raums stand ein Brunnen, um den ein halbes Dutzend spärlich bekleideter Mädchen kauerte. Alle blickten pflichtbewusst zu ihm auf. Ihr Lächeln war müde. Blassgraue Rauchschwaden hingen in der Luft. Der Rauch kratzte im Hals, aber irgendwie sorgte er schnell für ein wohliges, warmes Gefühl im Bauch. Obwohl er der alles beherrschende Geruch war, konnte er die anderen Düfte nicht ganz verdrängen. Den Odem von schwerem, süßem Wein und Schweißgeruch von Männerleibern. Ein paar Stunden zuvor musste es hier noch sehr voll gewesen sein. Der Gedanke daran versetzte Volodi einen leichten Stich. Der Laden war wirklich ein gutes Geschäft. Ein Geschäft, an dem er nicht teilhatte, obwohl er es unterstützte. Als sie erfahren hatten, dass sie mit dem Unsterblichen nach Nangog in die Goldene Stadt gehen würden, war Kolja mit der Idee gekommen, den Männern ihre Beute aus der Minenstadt abzuquatschen und das Gold in Lustsklavinnen zu investieren. Keine billigen Kneipenhuren, sondern jene kostbaren Geschöpfe, die dazu ausgebildet wurden, in den Frauengemächern der Satrapen zu verschwinden. Mädchen, die jede der sechsunddreißig Künste der Verführung beherrschten. Jeder wusste, dass es zu wenige Frauen auf Nangog gab. Deshalb war ihnen auch von Anfang an klar, dass sie gewiss nicht die Ersten waren, denen es einfiel, ein Freudenhaus in der Goldenen Stadt zu eröffnen. Ihres aber sollte besonders sein. Ein Ort, an den die reichen Händler und die Würdenträger der Paläste kamen, um ihre geheimen Träume auszuleben. Männer, die bereit waren, ein Goldstück für eine besondere Nacht auszugeben. Kein billiger Puff für die Lastenträger der Ankertürme oder die Schiffer der Flusskähne.

Volodi war überzeugt, dass jeder, der sein Gold in dieses Geschäft gesteckt hatte, sehr reich werden würde. Er war nicht daran beteiligt, weil dem verdammten Kriegsmeister nicht verborgen geblieben war, was vor sich ging. Auch nach dem gemeinsamen Sieg in Luwien misstraute er den Söldnern und Piraten, und Juba hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass es sich für einen Hauptmann der Palastwache nicht ziemte, in solche anrüchigen Geschäfte verwickelt zu sein.