Выбрать главу

»Ich brauche sogar jemanden, der mir in den Sattel hilft.«

»Ich glaube, es haben nicht nur deine Beine, sondern vor allem dein Verstand Schaden genommen.«

»Sagt man nicht, dies sei eine der Gefahren der Liebe? Und sieh es einmal von der anderen Seite. Welche Zukunft habe ich hier? Ich hasse es, bemitleidet zu werden. Nicht nur ich gehe den anderen aus dem Weg, umgekehrt ist es ebenso. Sie vermeiden es, mir in die Augen zu sehen, wenn wir uns zufällig begegnen. Meister wie Schüler. Ist es nicht besser, heldenhaft in einer Schlacht unterzugehen, die zu schlagen sich lohnt, als ein Leben vor gesenkten Blicken zu führen?«

Statt zu antworten, verschränkte Lyvianne ihre Hände ineinander. Gonvalon griff nach einer der Fußschlaufen des Sattels, setzte einen Fuß auf Lyviannes Hände und zog sich hoch.

Nachtschwinge schnaubte, als wolle der Hengst ihn willkommen heißen. Er stand ganz still.

Gonvalons Finger krallten sich in die Lederriemen der Lehne, die sich über den Sattel erhob. Verbittert zog er sich daran hoch.

Lyvianne half ihm, die Füße, die er weder sehen noch fühlen konnte, in die Schlaufen auf dem Sattel zu führen. Dann blickte sie zu ihm auf. »Ich wünsche dir eine gute, letzte Schlacht. Einer Himmelsschlange trotzen zu wollen ist so verrückt wie ehrenvoll. Ich bin stolz, einen Teil deines Weges mit dir gegangen zu sein. Lebe wohl, Winterkind.«

Der Pegasus hob sich in die Lüfte und Gonvalon spürte den Nachtwind auf seinem Gesicht. Unter ihm wurde Lyviannes helle Gestalt schnell kleiner. Lyvianne hatte recht. Er zog nicht aus, um Nandalee zu finden, er ritt sehenden Auges in seinen Untergang.

Adler und Jaguare

Volodi stand nun schon eine halbe Stunde am Fenster im dritten Stock und noch immer hatte sich nichts getan. Bald würde die Dämmerung ihre fahlen Finger nach den Gassen der Stadt ausstrecken. Der Blasrohrschütze wartete auf ihn immer noch dort. Er lauerte im Schatten eines Hauseingangs. Wenn er sich bewegte, konnte Volodi manchmal einen Herzschlag lang das harte, hagere Gesicht des Mannes sehen. Ja, er hatte das absurde Gefühl, sein Verfolger könne auch ihn sehen. Dabei war das schlechterdings unmöglich! Volodi spähte durch den Spalt eines Fensterladens, der kaum einen Fingerbreit geöffnet war. Und er verhielt sich völlig ruhig. Er war ein Schatten unter Schatten. Unsichtbar! Auch für diesen kleinen, Blasrohrpfeile verschießenden Mistkerl!

Lautes Grölen erklang weiter die Straße hinauf. Warum dauerte das alles so lange? Was zum Henker tat Kolja? Volodi musste an Mitja denken. Er hatte ihm versprochen, in einer Stunde zurück zu sein. Die Stunde war längst vorüber.

Drei schwankende Gestalten näherten sich; sie sangen aus voller Brust und herzzerreißend schief eine bekannte Ballade aus seiner Heimat. Das Lied eines Säufers und Weiberhelden. Der Größte in der Mitte der Zecher, ein wahrer Hüne, war unverkennbar Kolja.

Der Blasrohrschütze drückte sich tief in den Schatten des Hauseingangs und gab sich alle Mühe nicht aufzufallen. Das Trio kam unaufhaltsam näher. Sie torkelten von einer Straßenseite zur anderen. Einer von ihnen stürzte. Atmos! Verdammt! Warum hatte Kolja ihn mitgenommen? Weil er gut mit Messern war. Konnte dieser verdammte Hurenbock nicht denken? Wahrscheinlich hatte der kleine Scheißer aus Zapote den Türsteher in der letzten Stunde ein halbes Dutzend Mal gesehen. Er könnte sich denken … Der Blasrohrschütze rannte los. Im selben Augenblick spurtete auch das Trio vor und weitere Männer kamen vom anderen Ende der Straße. Es gab keine Gasse, keinen Abzweig. Etwas Schimmerndes sirrte durch die Luft. Ein Messer! Einer der Schläger aus der zweiten Gruppe ging zu Boden. Dem Kleinen flog derweil ein Knüppel zwischen die Beine; er stürzte und kam erstaunlich schnell wieder hoch. Jetzt hatte er sein verdammtes Blasrohr an den Lippen. Einer von Koljas Halsabschneidern schlug fluchend nach seinem Hals, als habe ihn eine Mücke gestochen. Dann lachte er. Hatte Kolja sie nicht gewarnt? Wussten sie nicht, was es mit den Pfeilen auf sich hatte?

Der Meuchler aus Zapote duckte sich unter einem Dolchstoß und trat einem von Koljas Schlägern in die Kniekehle. Diesmal wehrte er sich wesentlich effektiver als in der Gasse, wo er ihn gestellt hatte, dachte Volodi. Hier war auch mehr Platz. Und vor allem schien der Kleine nicht überrascht zu sein. Wahrscheinlich hatte er längst mit einem Angriff gerechnet.

Wieder schoss ein Messer durch das helle Licht der Zwillingsmonde. Ein Mann schrie auf, dann war Kolja über dem Kleinen. Er täuschte einen rechten Haken an. Der Zapoter wich aus und bewegte sich direkt in eine linke Gerade, die ihn mitten ins Gesicht traf. Sein Kopf wurde hart nach hinten gerissen. Er schlug schwer auf das Straßenpflaster auf.

Volodi verließ seinen Beobachtungsposten. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte er die Treppen hinab und rannte hinaus auf die Straße. Keuchend griff er dem Zapoter an den Hals. Das Gesicht des Kleinen war eine formlose, blutige Masse. Volodi fand keinen Puls mehr. Der Blasrohrschütze war tot.

Volodi blickte zu Kolja auf. Der Hüne hatte bronzebeschlagene Lederriemen um seine Fäuste gewickelt. »Du hättest mir sagen müssen, dass das Kerlchen Vogelknochen hat. Außerdem hat er ziemlichen Ärger gemacht. Sieh dir mal unsere Männer an. Das war nicht …«

»Warum hat das so lange gedauert?«, zischte Volodi wütend.

Kolja streckte bedrohlich die Fäuste vor. »Meine Riemen … Ich musste jemanden in unser Quartier im Palast schicken, sie zu holen. Sie bringen mir Glück.«

Volodi schluckte seine Wut herunter. Sie mussten los. »Einen Bruder aus Drus wird dein Aberglaube Kopf und Kragen kosten. Ich hätte den Kleinen als Geisel gebraucht, um ihn auszutauschen. «

»So was musst du vorher sagen«, murrte Kolja. »Und der Kerl, um den es geht, kommt wirklich aus Drus?«

»Ja – und sie haben ihm verdammt noch mal schon die Ohren abgeschnitten. Die machen ihn fertig …«

Kolja rollte mit den Augen. »Du verkehrst in seltsamen Kreisen, Hauptmann. Atmos!« Er winkte dem Messerstecher. »Atmos! Schneid dem Kleinen die Ohren ab. Wir brauchen sie.«

»Was wird das?«

»Volodi, du hättest mir alles sagen sollen. Wie man mit verdammten Dreckschweinen umgeht, weiß ich. Irgendwie habe ich Pech in meinem Leben und treffe immer wieder welche. Mein Fluch … Wenn du mit solchen Kerlen verhandelst, geht es manchmal Ohr um Ohr und Zahn um Zahn. Wir sagen ihnen, dass wir den Kleinen festhalten. Und als Beweis legen wir die Ohren vor. Dann nehmen wir unseren Mann mit. Vertrau mir, Volodi. Ich weiß, wie man so was regelt.«

Er blickte in das vernarbte Gesicht des Faustkämpfers, in dessen kalte Augen. Nein, Vertrauen war das Letzte, was er ihm entgegenbringen würde. »Was immer du tust, ich bin an deiner Seite. « Volodi konnte sehen, dass Kolja genau verstanden hatte, wie diese Worte gemeint waren.

Das erste Morgenlicht war nicht mehr fern, und ein wolkenloser Himmel spannte sich über ihnen. Es würde ein heißer Tag werden. In der Gasse, an der Quetzallis Haus lag, roch es nach frisch gebackenem Brot und Hirsebrei. Ein kleiner, weißer Hund mit schwarzen Schlappohren spielte im Müll. Neugierig strich er um die Sandalen der zwölf Männer, die den Zugang zur Gasse an beiden Enden abriegelten.

Volodi konnte die Blicke aus dem Schatten der Fenster spüren. Außer dem leisen Hecheln des kleinen Hündchens erklang kein Laut in der Gasse. Der Kerl, der oben auf sie wartete, hatte sicher schon bemerkt, dass etwas nicht stimmte, dachte Volodi. Es war egal! Er konnte es nicht mehr ändern. Quetzallis Haus hatte, mal abgesehen vom Fenster ihres Schlafgemachs, nur einen Ausgang. Vielleicht würde sich ihr Mann ja am Fenster zeigen und verhandeln? Vielleicht nutzte er auch die letzten Augenblicke, die ihm blieben, um Mitja umzubringen.

»Worauf warten wir?«, fragte Kolja ruhig.

Der Faustkämpfer hatte recht. »Gehen wir hinein!«

Kolja winkte Atmos. »Du kommst auch mit. Und vergiss die Ohren nicht. Der Kerl da oben soll gleich wissen, woran er ist.«

Volodi blickte aus den Augenwinkeln zu Kolja. Die Ohren mitzunehmen war überflüssig. Wer dem hünenhaften Faustkämpfer gegenüberstand, wusste auch so, woran er war.