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Das hätten unsere Worte sein können. Du überraschst uns, Barbar. Wenn wir nicht um deine wirklichen Absichten wüssten, wären wir entzückt!

Kanita blieb gelassen. Er blickte wieder zu dem weißen Hengst. Früher einmal hatte der Statthalter den Ruf gehabt, ein arger Menschenschinder zu sein. Ein Mann, der Diener köpfen ließ, weil sie seine Trinkschale nicht genau in die Mitte seiner Tischseite gestellt hatten. Von diesem Tyrannen schien nicht mehr viel geblieben zu sein. Er war schon sehr lange auf Nangog.

»Würdet Ihr mir noch einmal erklären, warum genau Ihr ausgerechnet meine Leibwache benötigt, um Euren Feldzug zu führen, Erhabener Aaron, Beherrscher alle Schwarzköpfe? Ihr habt den Wunsch vorgetragen, dass ich Euch mit meinen Kriegern unterstütze. Aber mir ist immer noch nicht klar, warum es ausgerechnet die Männer aus Ischkuza sein sollen. Soweit ich unterrichtet bin, verfügt Ihr durchaus selbst über genügend Kämpfer für ein solches Unternehmen.«

»Ich brauche deine Palastgarde, weil sie fliegen kann. Sie werden die Spitze unseres Angriffs führen und die Schiffe der Himmelspiraten entern. Ich will ehrlich zu dir sein – ohne deine Männer fürchte ich einen Misserfolg.«

»Haben nicht auch die Zapoter Krieger, die fliegen können? Adlermänner nennt man sie, glaube ich.«

»Aber wer hat sie je gesehen, werter Kanita? Ich bin ein Feldherr. Ich plane nicht mit Truppen, deren Kampfkraft ich nicht kenne. Aber deine Palastwache habe ich selbst schon im Angriff gesehen. Sie ist diszipliniert, furchtlos und stellt sich, ohne zu zögern, jedem Feind.«

Dem Statthalter war die Spitze nicht entgangen. »Es tut mir leid, dass es damals zu jenem Missverständnis kam, Erhabener Unsterblicher, als Ihr so freundlich wart, unser treibendes Wolkenschiff zu bergen. Ich hoffe, Ihr tragt uns dies nicht nach.«

»Säße ich dann nun vor dir in diesem Palast, um dich um die Hilfe ebenjener Krieger zu bitten, die mir so eindrucksvoll zeigten, wie man ein fliegendes Schiff entert?«

Kanita winkte den Kriegern um Shaya, die bei Juba und Volodi am Tor des weiten, grasbewachsenen Hofes warteten. »Würdet Ihr der hochwohlgeborenen Prinzessin Shaya Euren Plan noch einmal unterbreiten? Wie Ihr ja wisst, befehligt sie meine Palastwache. « Er schaffte es, bei diesen Worten einen Ton anzuschlagen, der nur gerade eben erahnen ließ, dass er nicht davon erbaut war, dass eine Frau eine Kriegerschar befehligte.

Artax vermied es, zu Shaya zu blicken, denn er fürchtete, zu erröten oder sich auf eine andere Art zu verraten. Stattdessen griff er nach der Trinkschale, die vor ihm auf dem niedrigen Tisch stand, und nippte an der sauren Milch, mit der sie gefüllt war. Allein der Geruch der Milch war dazu angetan, jeglichen romantischen Gedanken verkümmern zulassen.

Artax erläuterte den Plan erneut. Ab und zu blickte er kurz auf – Shaya gar nicht anzusehen wäre auch auffällig gewesen, vermied es aber, ihr in die Augen zu blicken. Sie hingegen schien gar kein Problem damit zu haben zu überspielen, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Sie verhielt sich ihm gegenüber kühl, fast schon herablassend.

»Nun, verehrte Prinzessin, was denkst du?«, fragte Kanita, nachdem Artax seine Ausführungen beendet hatte. »Ist der Plan des unsterblichen Aaron durchführbar?«

»Ohne Zweifel.«

»Und wird es unserem Volke zum Ruhme gereichen, wenn wir uns an diesem Kampf gegen die Wolkenpiraten beteiligen?«

»Meine Männer haben zu lange kein Blut mehr vergossen. Eine Klinge, die nicht genutzt wird, wird stumpf und rostig.«

»Du würdest also unbedingt empfehlen, an der Seite des unsterblichen Aaron in die Schlacht zu ziehen?«

»Ich würde es nicht eine Schlacht nennen, eher ein Scharmützel. Doch ich stimme zu, dass dieses aufkeimende Übel bei der Wurzel gepackt werden muss, und es wäre mir eine Ehre, eine Abteilung der Palastwache in diesen Kampf zu führen.«

»Dann folge ich deinem Rat, hochwohlgeborene Shaya.«

Alter Fuchs, dachte Artax. Sollte das Unternehmen ein Fehlschlag werden, konnte er nun alle Schuld daran Shaya anlasten, die empfohlen hatte, sich zu beteiligen. Wenn es aber ein Erfolg wurde, dann würde Kanita den Ruhm gewiss für sich allein beanspruchen.

»Damit unser Feldzug einen glücklichen Verlauf nehmen kann, müssen die Vorbereitungen schnell und in aller Heimlichkeit getroffen werden«, erklärte Artax. Er hätte jauchzen können vor Glück. Alles fügte sich so, wie er es sich erhofft hatte. »Ich habe bereits zwei Handelsschiffe ausgewählt. Wir können in zwei Tagen zum Aufbruch bereit sein.«

»Wir werden unser eigenes Schiff auswählen«, sagte Shaya bestimmt.

Er sah auf und sein Blick traf ihre brennend braunen Augen. Sein Mund wurde trocken. Er sehnte sich danach, sie zu berühren.

»Ich schlage vor, wir nutzen den Nordwind, der gewöhnlich in der Stunde vor der Dämmerung weht. Wir werden bereit sein, unsterblicher Aaron.«

Und wir werden uns von nun an jeden Tag sehen, dachte er triumphierend. Die Wolkenpiraten waren ihm im Grunde genommen völlig gleichgültig. Nur Shaya zählte.

Der Schrank

Volodi fühlte sich völlig zerschlagen. Er hatte das Gefühl, er habe sich gerade erst zur Ruhe gelegt, aber am Stand der Zwillingsmonde konnte er sehen, dass er mindestens zwei Stunden geschlafen haben musste. Zum Kampf gerüstet eilten sie durch die nächtlichen Straßen und das Pflaster hallte unter dem Tritt der genagelten Sandalen. Er hatte zwanzig Mann in voller Ausrüstung mitgenommen. Seine Krieger waren zum Äußersten entschlossen, keiner von ihnen murrte. Er hatte ihnen nur gesagt, dass es um Koljas Häuser ging, und sie alle hatten Geld in dieses Geschäft gesteckt. Den Dolch hatte er verschwiegen. Dabei hatte der Bote, der ihn geweckt hatte, nur davon gesprochen. Er solle sofort zu Kolja kommen. Es ginge um einen Dolch. Er solle ihn unbedingt mitbringen.

Unruhig blickte Volodi zu den Dächern. Er hatte sich über die Jaguarmänner erkundigt. Die meisten hielten sie für ein Ammenmärchen. Wer aber etwas über sie zu berichten hatte, sprach nur im Flüsterton. Und alle waren sich einig, dass jemand, der den Zorn der Jaguarmänner erregte, so gut wie tot war.

Wieder spähte Volodi unruhig in die Schatten. Verdammt, er war kein Feigling, aber diese Jaguarmänner … Es hieß, sie würden durch die Schatten gehen, als seien es verwunschene Pforten. Man sah sie nicht kommen! Sie waren einfach plötzlich über einem! Verdammter Dolch! Hätte er ihn doch bloß nie angerührt.

»Eilschritt!«, rief er und beschleunigte sein Marschtempo. Der Laut der genagelten Sandalen klang jetzt wie schwerer Hagelschlag. Seine Jungs waren Veteranen – Söldner und Piraten. Jeder von ihnen hatte sich bei den Kämpfen in Luwien ein Eisenschwert erstritten. Üblicherweise waren sie es, vor denen man Angst hatte.

Endlich erreichten sie die Straße, an der Koljas Tempel der Lüste lag. Vor der Treppe hinab zum Eingang stand etwas Großes auf der Straße. Eine Kiste? Volodi gab seinen Kriegern ein Zeichen zu halten. »Drei Mann sichern den Eingang zur Straße ab. Bogenschützen in die Mitte der Straße. Achtet auf die Dächer! Die übrigen: Schilde hoch und Vorsicht!«

Der Drusnier ging auf die Kiste zu. Nein. Es war ein Schrank! Als er ihn fast erreicht hatte, schob sich ein großer Schatten die Treppe hinauf. Volodi hatte bereits die Hand am Schwert, als er Kolja erkannte.

»Was geht hier vor?«

»Mach den Schrank auf, dann wirst du sehen. Es ist Licht drinnen, damit man auch alles gut erkennen kann.«

Erst jetzt bemerkte Volodi das Licht, das durch die schmalen Ritzen der Schranktür fiel. Der Schrank war etwa anderthalb Schritt hoch. Er schien aus soliden Holzbohlen gezimmert zu sein. Die Tür war mit Schnitzarbeiten geschmückt, die an Federn erinnerten.

Er zog am Griff. Die Tür schwang leicht auf.

Entsetzt machte Volodi einen Schritt zurück. Zwei Öllampen auf dem Schrankboden leuchteten das Innere gut aus. Atmos kniete dort. Ein Lederriemen, der unter seinen Achseln durchlief und an der Rückwand befestigt sein musste, verhinderte, dass er aus dem Schrank fiel. Sein Gesicht war in einem irren Grinsen erstarrt, das seinen zahnlosen Oberkiefer präsentierte. Etwas steckte in seinen Mundwinkeln … Angelhaken? Schnüre liefen von den Haken über die Wangen zum Hinterkopf. Sie waren straff gespannt und sorgten für das irre Lächeln.